Angst vor der Stille
Sechs Jahre hat Monika Manthey mit ihrem Team um die Plegeoase gerungen und freut sich jetzt über ein "Nein". Dass die schwer demenzkranke Bewohnerin wieder klar ihren Willen bekunden kann, mag im Einzelfall auch mal lästig werden, ist aber tatsächlich ein großer Erfolg. Und vor allem eine Bestätigung für das neue Wohnkonzept im Altenheim Maria Rast in Telgte, eines der Häuser des Caritas-Seniorenheime Verbunds im Kreis Warendorf. Nur eine weitere vom Land genehmigte Pflegeoase gibt es in NRW in Solingen sowie eine dritte im Altenheim Franz von Assisi der Caritas Herten.
Das Grundprinzip ist einfach: Eine kleine Gruppe demenzkranker Menschen lebt in einem weitgehend offenen Bereich, in dem durch verschiebbare Wände bei Bedarf einzelne Zimmer abgetrennt werden. Sie können damit am Gemeinschaftsleben teilhaben und die Pflegemitarbeiter stehen ständig mit ihnen im Kontakt. Aber das "widerspricht natürlich dem in den letzten Jahren propagierten Ziel des Einzelzimmers für jeden Bewohner", erklärt Manthey ihr Durchsetzungsproblem.
Die Pflegeoase passe auch nicht für jeden, weiß die erfahrene Altenheim-Leiterin: "Man muss genau schauen". Mehrere Kriterien muss der Bewohner erfüllen. Er muss schon im Haus wohnen, um seine Bedürfnisse einschätzen zu können, immobil und demenzkrank und in der Regel nicht mehr erreichbar sein, nennt Manthey die wesentlichen Punkte. Dann wird mit den Angehörigen überlegt und bei Einverständnis ein mindestens einwöchiges Probewohnen vereinbart. "Bei den Angehörigen sind wir bis jetzt auf großes Vertrauen gestoßen und alle waren sofort einverstanden", sagt die Altenheimleiterin.
Auch sie erleben den Wandel bei den alten und kranken Menschen nach dem Umzug. Sie reagieren wieder auf Reize, atmen ruhiger und "haben einen gelösteren Gesichtsausdruck", erklärt Sabine Grohnert, die sich an diesem Morgen mit einem Kollegen um die acht Frauen in der Pflegeoase kümmert. Drei von ihnen sitzen um den Tisch im "Wohnzimmer", die anderen schlafen noch, sind aber im Blick. Spürbar sei auch, dass "die Angstgefühle der Bewohner nachhaltig zurückgegangen sind, zum Beispiel die Angst vor Stille, die sie in ihrer Krankheit nicht mehr einschätzen können," ergänzt Manthey die Erfahrungen nach knapp einem Jahr.
Wie sich diese neue Wohnform genau auswirkt, wird die wissenschaftliche Auswertung zeigen, um die sich die Uni Witten-Herdecke kümmert. Im Oktober ist geplant, die Ergebnisse vorzustellen. Für Monika Manthey hat sich die Idee, die ihr beim Lesen eines Fachartikels über die erste Pflegeoase in Deutschland im niedersächsischen Holle kam, längst bestätigt.
Die Annahme, dass das ein überzeugendes Konzept und damit leicht umsetzbar ist, bestätigte sich allerdings nicht. Der eigene Vorstand war noch schnell zu begeistern, aber auch die Heimaufsicht musste von der Vorgabe der Éinzelzimmer Abschied nehmen. Notwendig war zudem die Zustimmung des damaligen Landessozialministers Laumann. Die Länder hatten sich abgesprochen, nur eine Pflegeoase pro Bundesland versuchsweise zu genehmigen. Manthey konnte Laumann zu einem Besuch in der hessischen Einrichtung in Kassel-Witzenhausen überreden. Der war auf ganzer Linie überzeugend, im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW durfte es dann auch eine zweite Einrichtung geben.
Realisiert wurde die Plfegeoase im Zuge eines umfassenden Umbaus und der Sanierung des mit 55 Jahren ältesten Altenheims im Kreis Warendorf. Die Wände wurden für die Pflegeoase durchbrochen, nur ein paar Reste mussten aus statischen Gründen erhalten bleiben. In einem komplizierten Schienensystem sind die Trennwände eingehakt. Ein großes Pflegebad wurde eingebaut und eine Kochecke eingerichtet.
Monika Manthey sieht die Pflegeoase als einen weiteren wichtigen Baustein der unterschiedlichen Lebensformen, die für die individuellen Bedürfnisse der alten Menschen angeboten werden müssen. Seit längerem ist Maria Rast auf demenzkranke Menschen spezialisiert und konnte damit viel an Alltagserfahrung in die Konzeption der Pflegeoase einbringen.
Von 6.30 bis 20.30 Uhr abends kümmern sich durchgehend zwei Mitarbeiter um die alten Menschen, Angehörige kommen auf Besuch vorbei, bei schönem Wetter kann die 200 Quadratmeter große Dachterasse genutzt werden und gerne lassen sich die Bewohner, wenn körperlich noch möglich duch das Haus oder die Grünanlagen schieben. "Sie nehmen wieder am Leben teil", freut sich Manthey. Auch für die Angehörigen ist es weit angenehmer, in Gemeinschaft zu sitzen als an einem Einzelbett, ohne das eine Unterhaltung noch möglich ist.