Wenn aus Genuss „Suff“ wird …
Auch im Freundeskreis gehörte der Konsum alkoholhaltiger Getränke bei geselligen Anlässen zu einem festen Ritual. So wurde der Alkohol ein stetiger Begleiter in seinem Leben. Mit dem Eintritt in den Ruhestand verschwand zwar der Stress, dafür kam immer häufiger Langeweile auf, und es entwickelte sich das Gefühl, "nicht mehr gebraucht zu werden". Diese Leere war mit ein bis zwei Gläsern Schnaps für Manfred K. besser zu ertragen. Aus dem einen oder den zwei Gläsern wurde über einen Zeitraum von sieben Jahren eine ganze Flasche Schnaps am Tag. Von da an kontrollierte der Alkohol das Denken und Handeln von Manfred K.
So oder in ähnlicher Form beschreiben Alkoholkranke ihren Weg in die Abhängigkeit. Ein Teufelskreis, aus dem es nur schwer ein Entrinnen gibt und der nicht selten auf der Straße endet. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen gibt an, dass 15,4 % der Menschen ab 60 Jahren einen riskanten Alkoholkonsum aufweisen. Es müssten die Öffentlichkeit und alle beteiligten Fachleute sensibilisiert werden, die Suchtprobleme älterer Menschen zu erkennen und ernst zu nehmen.
Seit Anfang des Jahres bietet die Caritas in Bottrop mit Unterstützung der ortsansässigen "Erich Backhaus Stiftung" allen
Menschen im Ruhestand, bei denen ein zunehmender Alkoholkonsum zu einer Einschränkung der Lebensqualität führt, Beratung und Begleitung an. Gemeinsam mit einem qualifizierten Experten werden Grundlagen für eine gesundheitsbewusste, zufriedenstellende Lebensführung erarbeitet.
Dieses "Mehr" an Lebensqualität ist über die Reduktion und stabile Kontrolle des Alkoholkonsums erreichbar. In manchen Fällen ist sogar die völlige Abstinenz nötig. "Auch im Alter ist Beratung und Therapie möglich", so Martin Schindler, Suchtberater der Caritas in Bottrop. Damit räumt er mit dem Vorurteil auf, dass Verhaltensänderungen bei älteren Menschen nicht mehr möglich sind. "Das Thema wird in der Gesellschaft noch sehr verharmlost."
Ursachen
Die Ursachen sind vielschichtig: Es kann, wie bei Manfred K., die Perspektivlosigkeit nach Beendigung des Berufslebens sein. Aber auch das Nachlassen der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit oder die Häufung altersbedingter Beschwerden können mögliche Ursachen für einen sich langsam steigernden Alkoholkonsum sein. Hier wird der Alkohol schnell zu einem leicht zu beschaffenden Medikamentenersatz. Zwei weitere Faktoren beeinflussen diese Entwicklungen eher ungünstig. Der Freundes- und Bekanntenkreis wird kleiner und/oder es kommt zum Verlust des Partners.
Viele Menschen reagieren auf all diese Veränderungen mit angemessenen Verhaltens- und Einstellungsänderungen. Für eine größer werdende Anzahl ist jedoch der regelmäßige Konsum von Alkohol und Tabletten die oftmals bequemere Art, damit umzugehen. Schindler: "Es geht nicht darum, den Genuss zu verteufeln, sondern auf die Gefahren abnehmender Kontrolle im Umgang mit Suchtmitteln hinzuweisen. Die Grenzen zwischen Genuss, Gewöhnung und Abhängigkeit verlaufen fließend, der gesamte Prozess erstreckt sich in der Regel über mehrere Jahre."