Die Würde des Menschen
Der Europäische Verband nationaler Organisationen der Wohnungslosenhilfe versucht die Wohnungslosigkeit anhand von vier Hauptgruppen zu beschreiben. Das ist zum einen die Obdachlosigkeit, die nur einen geringen Teil der Wohnungslosigkeit ausmacht. Sie wird deutlich sichtbar, wenn die Betroffenen sich im öffentlichen Raum aufhalten und dort auch oftmals nächtigen. Als zweites wird die Wohnungslosigkeit genannt. Sie vollzieht sich vielfach unsichtbar. Durch Scham- und Schuldgefühle wird das Problem verschwiegen. Irgendwie versuchen diese Menschen, unterzukommen. Sei es in Einrichtungen oder bei Personen, zu denen Kontakt besteht. Ungesichertes Wohnen als dritte Hauptgruppe beschreibt, dass die Betroffenen zwar zeitweilig eine Unterkunft haben, aber ungesichert. Es gibt keinen Mietvertrag und es fehlt das Geld, um in Zukunft über einen abgesicherten Wohnraum zu verfügen. Die vierte Hauptgruppe, ungenügendes Wohnen, bedeutet für die Betroffenen, dass sie in irgendeiner Notunterkunft "Aufnahme" finden, bis hin zu denen, die "Platte machen". Das ist ein szeneüblicher Ausdruck und bedeutet, ohne jede Unterkunft auf der Straße zu leben.
Gesellschaftliche Ausgrenzung
In der sozialen Arbeit erleben wir immer wieder, dass diese Menschen mit mehreren Problemlagen belastet sind. Solche Überforderungssituationen führen zu völligem Kontaktabbruch zu Beratungseinrichtungen und Behörden. Diese Betroffenen führen ihr Leben auf der Straße weiter. Das erscheint ihnen einfacher zu sein, als der Umgang mit Behörden oder auch sozialen Organisationen.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Wohnungslosenhilfe (der Deutsche Caritasverband e. V. ist Mitglied) beschreibt mit folgenden Worten die Situation:
Die durch die Wohnungslosigkeit hervorgerufene gesellschaftliche Ausgrenzung und Stigmatisierung ermöglicht den Betroffenen nur wenige Rückgriffsmöglichkeiten auf ein soziales Umfeld, das sie materiell und emotional angemessen unterstützen könnte. Viele Wohnungslose stammen aus defizitären familiären Verhältnissen, die nur wenig Schutz und Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Traumatische Erfahrungen, wie zum Beispiel der Tod nahestehender Personen oder der Verlust beruflicher Existenz, stellen dabei häufig Faktoren dar, die wesentlichen Anteil an der Entstehung einer Wohnungslosigkeit tragen (Essendorfer 2006). Weiterhin ist das fehlende Arbeitseinkommen häufig der Grund, warum wohnungslose Menschen aus dem Regelsystem der sozialen Absicherung und der Gesundheitsfürsorge weitgehend ausgeschlossen sind. Die Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen erhöht die Gefahr der Fremdbestimmung durch die Akteure des Hilfesystems und öffentlicher Behörden (Notz 2005). (Quelle: Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe)
Wie sieht die Situation von Wohnungslosen auf dem Gebiet der Diözese Görlitz aus?
Die Zuständigkeit für die Vermeidung und Bekämpfung von Obdachlosigkeit und auch Wohnungslosigkeit liegt bei den Kommunen. Das macht Sinn. So können die Notlagen dort gelöst werden, wo die Betroffenen sich aufhalten. Leider gibt es weder im Land Brandenburg noch im Freistaat Sachsen belastbare Zahlen, die eine umfassende Beantwortung ermöglichen. Es fehlt in beiden Bundesländern eine landeseinheitliche Wohnungsnotfallstatistik. Das Fehlen einer solchen Statistik wird mit einem hohen Aufwand für die einzelnen Kommunen begründet. Die Träger der freien Wohlfahrtspflege und auch die Caritas fordern bereits seit vielen Jahren diese Statistik. Sie ist erforderlich, um die vielfältigen Probleme der Obdach- und Wohnungslosigkeit zu bekämpfen. Aus der Wahrnehmung unseres Caritasverbandes ist auch unklar, mit welcher Qualität die einzelnen Kommunen ihre Zuständigkeit und Verantwortung ausüben. Es reicht nicht aus, wenn die Betroffenen oder die Familien nur aus ordnungsrechtlichen Gründen untergebracht und versorgt werden. Die Beratung, Betreuung und auch präventive Angebote sind unerlässliche Maßnahmen für diesen Personenkreis. In einigen Landkreisen/Kommunen gibt es bereits solch ein funktionierendes Hilfesystem. Diese Tatsache verdient Anerkennung. Leider gibt es unter den einzelnen Kommunen große Unterschiede. Eine Übersicht über die bestehenden Angebote in den Kommunen beider Länder gibt es nicht.
Klare Sachaussagen fehlen
Es ist aus sozialpolitischen Gründen nicht zu verstehen, warum die gesamte Problematik nicht transparent behandelt wird. Bei steigenden Mietpreisen und einer unterschiedlichen Mietentwicklung in den Flächenländern fehlen hier klare Sachaussagen. Auch die Frage nach Wohnungsräumungen durch Gerichtsvollzieher konnten im Land Brandenburg durch den Städte- und Gemeindebund nur durch die Angaben für die kreisfreien Städte beantwortet werden. (Im Freistaat Sachsen sind uns keine Zahlen bekannt.)
Anzahl der Räumungsmitteilungen der Gerichtsvollzieher an die zuständigen Ordnungsbehörden und Träger der Sozialhilfe
Stadt Brandenburg an der Havel |
Stadt Cottbus |
Stadt Frankfurt (Oder) |
Landeshauptstadt Potsdam | |
2010 |
112 |
85 |
74 |
153 |
2011 |
103 |
97 |
84 |
197 |
2012 |
100 |
120 |
117 |
171 |
Quelle: Städte- und Gemeindebund Brandenburg
Als Caritasverband der Diözese Görlitz begegnen wir der Wohnungslosigkeit mit unseren Beratungsangeboten. Hier ist in besonderer Weise die Allgemeine soziale Beratung zu nennen. Dieser Dienst ist erster Ansprechpartner für die Fragen der Existenzsicherung. Ohne den Einsatz von kirchlichen Mitteln würde dieser Dienst an vielen Orten unserer Diözese nicht zum Einsatz kommen.
iederschwellige ambulante Beratungs- und Betreuungsangebote der Caritas für Menschen, die von Wohnungs- und Obdachlosigkeit bedroht sind, gibt es in den Städten Weißwasser und Senftenberg. Beide Standorte werden durch die Kommunen gefördert und sind in ein Netzwerk integriert.
Flächendeckende Hilfsangebote wichtig
Es gibt eine Diskussion um die Fragen: Wie kann ich Obdachlosen helfen? Soll ich sie unterstützen, wenn sie betteln? Soll ich ihnen Geld geben? Die Fragen sind nicht generell zu beantworten. Es ist bekannt, dass Geld oftmals in Suchtmittel umgesetzt wird. Kleinkinder und schwangere Frauen werden durch Hintermänner ausgenutzt. Armut kann dadurch nicht bekämpft werden. Etwas anderes ist es, wenn eine Person im Ort bekannt ist und sich eine persönliche Beziehung entwickelt. Ich fühle mich in solchen Diskussionen auch hilflos. "Seid barmherzig zueinander." Dieser Satz fällt mir dann oft ein und die eigene Grundhaltung, dass jeder Mensch eine "Würde" hat. Es kommt auf die Situation an und eine Geldspende kann sinnvoll sein. Sinnvoll und wichtig erscheinen mir flächendeckende Hilfsangebote für die Betroffenen. Diese müssen in ländlichen Gebieten anders aussehen als in den Großstädten. Als Beratungs- und Anlaufstelle für Betroffene und in ein Netzwerk eingebunden sind sie regional erforderlich. Die Angebote müssen für die Hilfesuchenden niederschwellig sein und sollten Orte sein, wo menschliche Begegnung möglich ist. Solche Angebote sind auf Spenden angewiesen und brauchen unsere Unterstützung.
Bei all den ungelösten Fragen und unterschiedlichen Erfahrungen muss die Gesellschaft die Gruppe der Obdachlosen und von Wohnungslosigkeit Gefährdeten im Blick behalten und nach Lösungen suchen. Keinem Menschen darf die Würde abgesprochen werden, wenn er im Leben scheitert und die Lebenssituation aussichtslos erscheint. Wegen der zunehmenden gesellschaftlichen Abwertung gegenüber der Personengruppe müssen wir die Frage beantworten, wie kann eine Teilhabe am Leben für diese Menschen aussehen?
INFO:
Caritasverband der Diözese Görlitz e.V.
Telefon: 0355-3806520
E-Mail: standera@caritas-dicvgoerlitz.de