Die Krisenhelfer
"Berliner Krisendienst, Region Ost", meldet sich Benjamin Ochel am Telefon. Doch weiter kommt er nicht. "Schon wieder aufgelegt", erklärt er. Das passiere öfter. "Vielleicht hat den Anrufer der Mut verlassen oder er wollte einen weiblichen Berater sprechen." Beim nächsten Klingeln meldet sich jemand. Benjamin Ochel sitzt noch auf dem roten Sessel in der Besprechungsecke. Er schlägt die Beine übereinander, lehnt sich nach hinten und hört dem Anrufer eine Weile zu. Es geht um ein krankes Familienmitglied und die Angehörigen. Mit ein paar freundlich verbindlichen Worten kann ihm Benjamin Ochel offensichtlich schnell einen Anstoß geben, wie er mit der Situation umgehen kann.
So leicht ist es nicht immer. Ochels Kollegin kommt für einen kurzen Austausch von ihrem Beratungsgespräch nebenan zurück ins Büro. Sie berichtet, wie schlecht es ihrem Klienten geht. Er leidet an schweren Depressionen, ist verzweifelt und antriebslos. Ein wenig Entlastung habe ihm das Gespräch gebracht, doch nun muss nach weiteren Hilfen gesucht werden. Die Beraterin wird ihm eine Telefonnummer mitgeben, wo er sich für eine Therapie anmelden kann und ihm anbieten, in akuter Not wiederzukommen. "Das ist manchmal unbefriedigend", sagt Benjamin Ochel. "Wir sind für psychosoziale Krisen und psychiatrische Notfälle da, können zwar Folgegespräche, aber keine Therapie anbieten. Und die Wartelisten für Therapieplätze sind lang." Das Ziel des Krisendienstes ist es, Krisen möglichst ambulant aufzufangen und eine stationäre Behandlung zu vermeiden.
Im Jahr 1999 wurde der Berliner Krisendienst von sechs Trägern, unter anderem dem Berliner Caritasverband, an neun Standorten gegründet, um eine einheitliche und flächendeckende ambulante Krisenversorgung für die Stadt zu gewährleisten als Ergänzung zum bestehenden Angebot. "Wir bieten einen niedrigschwelligen Zugang zu professioneller und nachhaltiger Hilfe an 365 Tagen im Jahr", erklärt es Benjamin Ochel. "Für jeden, der sich in einer Krise fühlt." Die Krise ist vom Klienten selbst definiert. "Als Klassiker erleben wir die Diplomarbeit, die nicht fertig wird, aber auch die Trennung des Partners oder eine schwere Erkrankung eines Angehörigen." 30-35 Kontakte sind es im Schnitt pro Schicht, mehrheitlich Telefonate. Nicht immer melden sich die Betroffenen selbst, häufig sind es auch professionelle Helfer, Partner oder Nachbarn.
In den Gesprächen geht es darum, mit den Hilfesuchenden zu schauen, welche Schritte gegangen werden können, ihnen Entlastung und Orientierung zu geben. "Wir geben keine Lösungswege vor. Wir fragen: ‚Was verschafft Ihnen das Leiden, welchen kleinen Schritt können Sie als erstes dagegen tun?‘ Die Verantwortung liegt beim Klienten", betont Benjamin Ochel.
Den gleichen Ansatz verfolgen er und seine Kollegen auch, wenn sie zu Geflüchteten-Unterkünften gerufen werden, um das Personal vor Ort zu unterstützen. Das passiere immer häufiger, berichtet der Sozialarbeiter. Das sei nicht nur sprachlich eine Herausforderung. Auch auf die spezielle Situation der Krisen müsse sich der Berliner Krisendienst einstellen.
Das Team in der Lichtenberger Irenenstraße besteht aus sechs festen Mitarbeitern und 29 Honorarkräften. Alle sind psychosoziale Fachkräfte, also Sozialarbeiter oder Psychologen. Hinzu kommen so genannte Hintergrundärzte, die in der Regel Fachärzte für Psychiatrie sind. Sie können bei Bedarf hinzugerufen werden, wenn beispielsweise die akute Gefahr für einen Suizid oder eine mögliche Einweisung geklärt werden muss. "Die Fachlichkeit aller Mitarbeiter ist Merkmal und Qualität des
Berliner Krisendienstes", sagt Benjamin Ochel. Dieses Potential nutzen auch Feuerwehr und Polizei, die die Mitarbeiter des Krisendienstes häufig zu einem Einsatz hinzu bitten. "Wir fahren zum Beispiel mit raus, wenn es um Foto-Identifizierungen geht oder andere traurige Nachrichten überbracht werden müssen", erzählt Benjamin Ochel. "Manchmal sitzen wir dann noch zwei Stunden in der Wohnung, um zu reden und zuzuhören. Das ist ganz unterschiedlich." Sein Kollege Christian Viernickel erinnert sich, wie er in einem Fall von Kindeswohlgefährdung von der Polizei hinzu gebeten wurde: "Der Mutter ging es psychisch so schlecht, dass ihre zwei Kinder vorübergehend in die Obhut des Kindernotdienstes gegeben werden mussten." Das sei nie schön, betont der erfahrene Sozialarbeiter, aber müsse halt manchmal zur Sicherheit getan werden. "Zwischenzeitlich ist es mir mit meinem Kollegen gelungen, die Mutter zu stabilisieren."
Ob große oder kleine Erfolge - jeder von ihnen zählt für die Mitarbeiter des Krisendienstes, betont Benjamin Ochel und verabschiedet sich Richtung Wartebereich zu seinem nächsten Klienten.
Text: Christina Bustorf
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