Raus aus der Schweigefalle
Wenn Eltern trinken, drogenabhängig oder psychisch krank sind, merken Kinder schnell, dass etwas nicht stimmt. Doch mit dieser Verunsicherung werden Kinder bis heute oft alleingelassen - und laufen Gefahr, selbst psychische Störungen zu entwickeln. Diese Krankheitsspirale versucht der Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln zu durchbrechen: Das Modellprojekt "Chance for Kids" will pädagogische Einrichtungen, Jugendhilfe und Gesundheitswesen sensibilisieren und vernetzen. In Deutschland leben rund 3,8 Millionen Kinder mit psychisch oder suchtkranken Elternteilen. "Wir wissen, dass rund 70 Prozent dieser Kinder selbst psychische Störungen entwickeln. Das können wir ändern, wenn wir ihnen frühzeitige Hilfe anbieten", versichert Barbara Förster, Projektleiterin von "Chance for Kids".
Doch Angst, Scham und Schuldgefühle tragen noch immer zur Tabuisierung der Problematik und zur Stigmatisierung der betroffenen Familien bei. Viele Mütter und Väter glauben, ihre Kinder zu schützen, wenn sie ihre Probleme verheimlichen - doch so bleiben Familien in einer Schweigefalle gefangen. "Weil sie an ihre Belastungsgrenze geraten und die Situation zu Hause nicht mehr aushalten, werden viele Kinder auffällig", erklärt Albert Lenz, Professor für Klinische Psychologie und Sozialpsychologie an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen. Deshalb rät er Pädagogen und Erziehern, nicht wegzugucken, sondern verändertes Verhalten als Hilfe-schrei wahrzunehmen und Kinder und Eltern vorwurfsfrei zu befragen.
Hilfe muss Regelangebot werden
Hier setzt das 2016 gestartete Projekt an: Erzieherinnen, Lehrerinnen und andere Fachkräfte werden geschult, die Nöte der Kinder zu erkennen, auf die Eltern zuzugehen und ihnen die passenden Hilfsangebote zu vermitteln. Wie wichtig dabei der Ansatz ist, zu sensibilisieren und zu vernetzen, macht Professor Lenz an einem einfachen Beispiel deutlich: "Selbst wenn ein Lehrer erkennt, dass ein Kind in Not ist, wird er nur dann tatsächlich aktiv werden, wenn er entsprechende Hilfsangebote kennt und die Betroffenen dorthin weiterempfehlen kann."
Ebenso großen Wert legt "Chance for Kids" auf die Kinder- und Elternarbeit. Die Angebote richten sich nach dem Bedarf vor Ort: Elf beteiligte Erziehungs- und Suchtberatungsstellen bieten Spielgruppen an, gehen in Schulklassen, kooperieren mit Kindergärten, unterstützen die oft überforderten Mütter und Väter in ihrer Elternrolle - und sind auch in psychiatrischen Kliniken präsent. Denn es sei noch immer nicht selbstverständlich, dass Ärzte ihre psychisch kranken Patienten fragten, ob sie Kinder hätten und ob für diese gesorgt sei, erzählt Barbara Förster.
Befristete Projekte reichen nicht aus, um betroffenen Kindern zu helfen. Darum setzen sich Lenz und Förster dafür ein, dass die Hilfsangebote verstetigt und finanziell abgesichert werden. Professor Lenz: "Es kann nicht sein, dass Kommunen und freie Träger diese notwendigen Hilfsangebote alleine stemmen, da müssen auch die Krankenkassen in die Verantwortung genommen werden."
Kontakt
Barbara Förster, Tel. 02 21/2 01 03 41, E-Mail: barbara.foerster@caritasnet.de