„Sozialpolitisch Flagge zeigen“
Desolate Wohnungen, finanzielle Sorgen, hohe Arbeitsbelastung - Die Situation von Familien aus Osteuropa mit Werksverträgen in der Fleischindustrie ist zum Teil katastrophal. Verschärft wird die prekäre Lage häufig noch durch Sprachprobleme, die den Zugang zu möglichen Hilfen versperren. Genau hier setzt ein neues Angebot des Caritasverbandes für den Kreis Gütersloh an: Im Kreisfamilienzentrum in Herzebrock-Clarholz gibt es seit kurzem für Werksvertragsarbeiter und ihre Familien eine Beratungsstelle, deren Mitarbeiterinnen Rumänisch, Polnisch und Bulgarisch sprechen.
Mit der neuen Anlaufstelle wolle man in erster Linie natürlich Menschen in Not helfen, aber auch "ein sozialpolitisches Zeichen setzen", beschreibt Caritas-Vorstand Volker Brüggenjürgen die Motivation und betont gleichzeitig einen wichtigen Punkt, nämlich die Unabhängigkeit von staatlicher oder unternehmerischer Einflussnahme: "Das ist entscheidend, um eine vertrauensvolle Brücke zu den Familien bauen zu können." Neben der Caritas arbeitet noch eine Ärztin in dem Projekt mit, die regelmäßig Sprechstunden anbietet. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund ist "mit im Boot". Die genaue Zahl der Werksvertragsarbeiter im Kreis Gütersloh in der Schlachtindustrie ist nicht genau bekannt, Volker Brüggenjürgen schätzt sie auf rund 4000: "Es können aber durchaus auch erheblich mehr sein."
Dass es nicht unbedingt leicht ist, ein tragfähiges Vertrauensverhältnis aufzubauen, weiß Beraterin Cornelia Hedrich aus ihrer Arbeit bei der Sozialpädagogischen Familienhilfe der Caritas: "Korruption bei staatlichen Stellen ist in den Heimatländern dieser Menschen an der Tagesordnung, deshalb begegnen sie auch Beratungsstellen in Deutschland unter Umständen misstrauisch." Sie stammt selbst aus Rumänien und kennt vieles aus eigener Anschauung.
Ein besonderes Problem sieht die Beraterin darin, dass die Werkvertragsarbeiter und ihre Familien oft in ausbeuterischen Strukturen regelrecht gefangen seien: Hilflosigkeit und sprachliche Defizite würden ausgenutzt, etwa wenn gewerbliche "Berater" für die Begleitung bei Arztbesuchen oder das Ausfüllen von Anträgen hohe Summen verlangten. Deshalb könnten viele Klienten auch kaum glauben, dass die Caritas-Angebote kostenlos seien. Umso bitterer sei es, dass Ratsuchende häufig erst dann zur Beratung kämen, wenn es fast zu spät sei oder Antragsfristen bereits abgelaufen seien.
Das neue Beratungsangebot und die damit verbundene umfangreiche Aufklärungsarbeit hält Frank Börgerding, der Leiter des Kreisfamilienzentrums, für einen großen Schritt hin zur dauerhaften Integration der Familien: "Sie haben in ihrer Heimat alles aufgegeben, um hier für sich und vor allem für ihre Kinder eine Zukunft aufzubauen." Deshalb sei es eine Kernaufgabe, die Eltern aus dem Dilemma zu befreien, aufgrund von Arbeitsbelastung und Sprachproblemen keine Möglichkeit zur Klärung wichtiger Fragen zu haben: "Viele kennen die Möglichkeiten zur Unterstützung schlicht nicht."
Derzeit läuft eine umfangreiche Werbekampagne für das neue Beratungsangebot: In Kindergärten, Schulen und Kirchengemeinden, aber auch in Supermärkten und bei Ärzten hängen mehrsprachige Plakate aus.
Auf Unabhängigkeit wird auch bei der Finanzierung des erst einmal auf drei Jahre angesetzten Projektes Wert gelegt: Die Kosten werden vollständig vom Armutsfonds des Erzbistums Paderborn übernommen.