Zur Heimat geworden
Monika Fochler hat mich ins Mehrgenerationenhaus eingeladen. Ich treffe die Sozialpädagogin des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) Ingolstadt in ihrem Büro mit Beratungszimmer in einem Wohnblock in der Albertus-Magnus-Straße 13. Die Räumlichkeiten sind einladend eingerichtet, hinterlassen aber nicht den Eindruck, dass hier eine außergewöhnliche Sozialarbeit geleistet wird. Doch das ändert sich schnell. Aus dem Büro treten wir ins Atriumhaus ein, einen überdachten Innenhof, der mehrere dreigeschossige Häuser miteinander verbindet. Deren Bewohner finden hier und im angrenzenden Hof mit viel Grün und Wasserflächen bei jedem Wetter attraktive Treffpunkte. Freundlich grüßt uns eine aus Ägypten stammende Frau, die mit ihrer Familie in einer an das Atriumhaus angrenzenden Wohnung lebt. Sodann führt mich Monika Fochler durch eine große Wohnanlage, in deren Zwischenhöfen sich immer wieder Sitzgelegenheiten und kleine Spielplätze für Kinder befinden. 178 weitgehend barrierefreie Appartements hat das St. Gundekar-Werk Eichstätt hier errichtet, um generationenübergreifendes und interkulturelles Wohnen zu ermöglichen.
„Verlängerter Beratungsraum“
Um dieses gemeinsame Wohnen auch mit Leben zu füllen, finanziert das Werk zudem seit fünf Jahren – und dies weiterhin bis mindestens 2020 – zwei Halbtagsstellen von sozialpädagogischen Fachkräften des SkF. Eine ist Monika Fochler. Auf unserem Rundgang treffen wir eine Frau, die der Sozialpädagogin von ihrem Ehemann erzählt, der vor Kurzem einen Herzinfarkt erlitt. Frau Fochler vereinbart mit ihr einen Termin, um Fragen zur Krankenversicherung zu klären. „Die Wohnanlage ist mein verlängerter Beratungsraum“, bringt sie auf den Punkt, was sie mir bei dem Rundgang deutlich machen will. Dieser endet in einem Gruppenraum im Erdgeschoss eines Hauses. Hier warten bereits rund zehn Frauen unterschiedlichen Alters und verschiedenster Herkunft auf uns. Sie sind zum „Offenen Treff“ zusammengekommen.
Er ist eines von zahlreichen sozialen Angeboten des SkF, welche die Wohnanlage zu einem lebendigen Mehrgenerationenhaus machen. Es gibt zum Beispiel auch Turnen und Malen für Kinder, eine Eltern-Kind-Gruppe, Yoga, Beckenbodentraining, einen Nähkurs und einen Schachtreff. Beim Treff an diesem Tag ist der Raum mit selbst gebastelten Papierblumen geschmückt. Davon wollen die Teilnehmerinnen noch mehr machen. „Ich werde sie auf meinem Balkon aufhängen“, meint die 33-jährige aus Kirgisien stammende Svetlana Jose, während sie die Dekorationsblumen aus Servietten fertigt. Wie viele andere Beteiligte ist sie Spätaussiedlerin. „Meine Eltern wollten für uns eine bessere Zukunft“, erzählt Frau Jose, die ihre kleine Tochter bis vor Kurzem auch im Kinderwagen mit zum Offenen Treff brachte. Sie freut sich, beim Werkeln auch die Lebensgeschichten anderer zu erfahren: zum Beispiel die der syrischen Flüchtlingsfrau Mofa Mrad, die neben ihr sitzt. „So etwas bekommt man ja sonst nur im Fernsehen mit“, so Svetlana Jose. Die 43-jährige Mofa Mrad verließ mit zwei Kindern ihr Heimatland aufgrund des Krieges und lebt seit eineinhalb Jahren in der Wohnanlage. „Sie zeigte in unserem Nähkurs gleich so ein großes Talent, dass sie von einer Kinderkrippe gebeten wurde, 80 Lätzchen herzustellen“, erklärt Monika Fochler an ihrem Beispiel, wie die Angebote dazu beitragen, Menschen zu integrieren.
Die 61-jährige Witwe Ludmilla Schmidt, die manchmal auch ihre ebenfalls in der Anlage wohnenden Enkel mitbringt, ist vor allem froh, dass Monika Fochler bei allen Gelegenheiten ein offenes Ohr für sie hat. „Wenn ich einen Brief nicht verstehe, hilft sie mir“, schätzt sie die offene Beratung. Und die 61-jährige aus Dresden stammende Ruth Schrott meint schlicht: „Ich bin froh, nicht nur mit Alten herumsitzen zu müssen. Mich interessieren Kinder, überhaupt andere Menschen, und ich unterhalte mich gerne.“
Aktive Nachbarschaftshilfe
Immer wieder finden sich bei den verschiedenen Angeboten auch Menschen, die sich ehrenamtlich für ihre Nachbarn einsetzen wollen. Eine Teilnehmerin am Offenen Treff bietet Monika Fochler an diesem Tag an, Rollstuhlfahrer oder Menschen mit Rollator zu begleiten. Andere Bewohner helfen bereits Nachbarskindern bei den Hausaufgaben. Für SkF-Geschäftsführerin Anne Stahl zeigen Leben und Hilfen in der generationenübergreifenden und interkulturellen Wohnanlage, „wie ganz unterschiedliche Menschen in einer offenen Gesellschaft gemeinsam Heimat finden können“.