Mehr Bürokratie statt mehr Teilhabe
Die Praktiker der Caritas-Behindertenhilfe in der Diözese Münster aber sehen viele Regelungen als „Etikettenschwindel“ an. Sie erwarten in der Umsetzung einen deutlich erhöhten Verwaltungsaufwand sowohl in den eigenen Einrichtungen wie auch bei den Landschaftsverbänden als Kostenträger. Und damit Kosten, die bei den Leistungen für die Menschen mit Behinderungenwieder eingespart werden müssen. Denn mehr Geld im System ist nicht vorgesehen.
„Wenn wir künftig Mietverträge mit schwer geistig behinderten Menschen schließen müssen, was hat der Bewohner davon?“, fragt Dr. Thomas Bröcheler, Direktor in Haus Hall. Mehr eigene Entscheidungsmöglichkeiten und Selbständigkeit ist das erklärte Ziel des neuen Gesetzes. Die „existenzsichernden Leistungen“ wie Wohnen und Verpflegung sollen dazu getrennt werden von der Betreuung, den „Fachleistungen der Eingliederungshilfe“. Insbesondere daran entzündet sich die Kritik der Caritas. „Das verbessert gerade nicht die angestrebte Teilhabe“, erklärt Volker Supe, Referatsleiter Behindertenhilfe im Diözesancaritasverband Münster.
Problematisch ist aus seiner Sicht vor allem auch im Ambulant Betreuten Wohnen (ABW) die ebenfalls
vorgesehene Trennung zwischen Assistenz und Pflege. Für ersteres muss der Landschaftsverband zahlen, für die Pflege dagegen die Pflegekasse. Ebenso wenig entspreche es dem Alltag, die Leistungen aufzuteilen zwischen Fachkräften und Nicht-Fachkräften, so Supe. Zudem sei zu befürchten, dass es hier zum Streit zwischen den Kostenträgern kommen werde.
Ein weiteres Ziel des Gesetzes ist die Kostenbegrenzung. Angesichts stark steigender Zahlen behinderter Menschen wachsen sie stark - beim LWL allein um 115 bis 120 Millionen Euro pro Jahr auf aktuell 2,4 Millarden Euro. Für die Kostenreduzierung trotz Mehraufwand sieht Thomas Bröcheler mehrere Hintertüren im Gesetzentwurf geöffnet: Die Vergütung soll sich künftig am unteren Drittel der Leistungsanbieter orientieren. Da werde es schwierig mit der gleichzeitig gewünschten Tariftreue. Diese Regel werde zu Lohndumping führen.
Dass eine, allerdings eher kleinere Gruppe von behinderten Menschen, Vorteile von dem neuen Gesetz haben könnte, sah auch Thomas Bröcheler. „Allerdings nicht die große Menge der von uns betreuten Bewohner“. Für die erwartet er „viel Unsicherheit“.