Wenn Tante Inge strickt
Kristina Sobiech kann dies erklären. "Was machen viele junge Menschen seit Jahren wieder?", fragt die Sozialarbeiterin des Dortmunder Caritasverbandes. "Sie stricken." Und was machen ältere Frauen gerne? "Stricken, Häkeln, Nähen. Das machen sie oft alleine." Warum also sollen Alt und Jung nicht gemeinsam einem Hobby frönen. "Und wenn es richtig gut läuft, dann finden sich Tandems, ein älterer und ein jüngerer Mensch kommen zusammen, auch jenseits des Strickens."
In Berlin wurde die Idee geboren. Kerstin Müller heißt die Initiatorin, die zu Weihnachten 2013 nach einem Besuch einer ihr bis dato unbekannten Großtante Inge darüber erschrocken war, dass diese, obwohl rüstig und geistig fit, vollkommen allein lebte. Über Facebook fragte sie: "Wie bringt man Menschen zusammen?" Und dann kamen Vorschläge. Schließlich gingen jüngere Strickfreunde in ein Seniorenheim, um gemeinsam zu stricken. Es folgte ein zweites Heim, die Idee zog Kreise.
Kristina Sobiech hat bewusst den Weg in ein Gemeindezentrum gesucht. Warum? Seit Mai 2014 ist in Rahm das "projekt gemeinsam" ansässig. Um genau zu sein ist dieses im Jungferntal tätig. Das sieht nicht nach einem Problemviertel aus. Es ist sauber, ordentlich, der Verkehr läuft beruhigt. Die einst modernen Wohnungen im Karree entstanden zwiscen 1956 und 1965 für die Arbeiter der umliegenden Zechen. Die Zechen sind weg. Die Menschen aber, die damals jung waren, sind geblieben. "Im Jungferntal leben ungewöhnlich viele ältere Menschen alleine", führt Kristina Sobiech aus. Die Folgen: Isolation, Vereinsamung. Mit dem "projekt gemeinsam" sollen soziale Kontakte gefördert werden. Das Projektteam besteht aus Mitarbeitern des Fachdienstes Gemeindecaritas, der Leitung des Sozialen Dienstes des ansässigen Altenzentrums St. Antonius und den Mitarbeiterinnen des Seniorenbüros des Stadtteilbezirks Huckarde. Es ist auch im Netzwerk "Runder Tisch für Seniorenarbeit" im Stadtteilbezirk integriert.
Im Herbst vergangenen Jahres lud Kristina Sobiech nun erstmals zu "Tante Inge strickt". An einem sonnigen Nachmittag verschlug es unter anderem Elfi Siegmund ins Gemeindezentrum. Und Elfi Siegmund ist von der Idee "Tante Inges" auf jeden Fall begeistert. 69 Jahre ist sie alt und ihre Ausrüstung - mit Strickliesel, diversen Nadeln und feiner Wolle - lässt eine Expertin vermuten. Allein: "Ich habe seit Jahrzehnten nicht mehr gestrickt", gesteht sie mit einem Schmunzeln. Als ihre Tochter klein war: "Oh, da habe ich Berge an Wolle abgearbeitet." Allerdings ist ihre Tochter heute 42. Doch Stricken ist wie Radfahren. Man verlernt es nicht. Katharina Greb indes hat mit Stricken noch ihre Probleme. Daher kam sie ins Jungferntal: Um den älteren Damen mal über die Schulter zu schauen. Die Lehramtsstudentin erfuhr über die katholische Hochschulgemeinde von dem Projekt. "Es hatten sich mehr junge Besucherinnen angemeldet", gibt Kristina Sobiech unumwunden zu. Zwei kamen zur Premiere. Etwas wenig?
"Ach, das ist ein erster Anstoß", so die Sozialarbeiterin. Zwölf Damen kamen in den Gemeindesaal. Die Atmosphäre war gut. Und demnächst wird wieder die Nadel gezückt.