Lernen, erleben und helfen
Herr Hofer, was ist das für ein Hilfsprogramm?
Es ist eine Einrichtung der Ordensschwestern Hermanas Adoratrices (Schwestern der Anbetung) in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá. Sie unterstützt besonders Frauen in Situation der Prostitution, teilweise auch solche, die Opfer von Menschenhandel wurden. Die Hilfe beginnt schon auf der Straße. Frauen, die einer Einladung in die Einrichtung folgen, erhalten zum Beispiel psychosoziale Betreuung. Zudem bekommen sie verschiedene Ausbildungschancen: vom Schneider- über das Friseurhandwerk bis zum Gastronomiewesen. Das Programm wird von Caritas international und vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit gefördert.
Was hat Sie motiviert, ein halbjähriges Praktikum dort zu absolvieren?
Mich interessiert Kolumbien schon länger, da es ein kulturell, geografisch und klimatisch sehr vielseitiges Land ist. In sozialer Hinsicht halte ich es für besonders wichtig, Frauen dort zu helfen. Sie leiden besonders unter der sozialen Ungleichheit - die in Kolumbien allgemein ein sehr großes Problem ist -, aber auch unter dem langjährigen bewaffneten Konflikt. Wenn Familien in die Städte geflüchtet sind, finden vor allem Frauen oft keine Perspektive. Um ihre Familien durchzubringen, gehen deshalb viele in die Prostitution. Auch Drogenabhängigkeit, sexuelle Übergriffe in der Familie und der traditionelle Machismo (Männlichkeitskult) spielen eine Rolle. Da gibt es ganz tragische Lebensgeschichten.
Haben Sie auch Positives erlebt?
Es ist sehr beeindruckend, mit welcher Energie die Frauen im Hilfsprogramm voranschreiten und ihre Lebensprojekte entwickeln. Sie sind für die Kinder da, bilden sich selbst fort, engagieren sich sozial - und all das zur selben Zeit in einer Situation, die so schwierig ist, dass wir uns das gar nicht vorstellen können. Die Frauen haben ein enormes Potenzial. Es wäre schade, wenn das auf der Straße verschwendet wird. Es ist vielmehr wichtig, dass Frauen den gesellschaftlichen Prozess in Kolumbien stärker unterstützen.
Wie haben Sie die Hilfe der Einrichtung erlebt und wie haben Sie selbst dort mitgearbeitet?
Die entscheidende Hilfe ist, dass viele dort einen neuen Sinn in ihrem Leben finden und neue Ziele formulieren. Ich selbst habe mich in zwei Bereichen eingebracht: Auf der individuellen Ebene habe ich an der Uni Gelerntes umgesetzt, indem ich mit einigen Frauen eine "Lebenswegplanung" durchgeführt habe: Ziele formulieren, persönliche Stärken und Ressourcen finden, überlegen, wie man die Ziele erreichen kann … Ich lernte zum Beispiel eine Frau kennen, die eine unglaublich gute handwerkliche Arbeit mit Leder leistet. Gemeinsam haben wir geschaut, wo es für eine selbstständige Arbeit einen Markt gibt, wie man für Werbung das Internet nutzen kann und welche Organisationen existieren, mit denen sie zusammenarbeiten kann. Ferner habe ich in einer Gruppe "Empowerment" mitgewirkt, die zu grundsätzlichen Verbesserungen für die Frauen beitragen will. Wir haben zum Beispiel bei Kommunalpolitikern in Bogotá Aufklärung betrieben. Denn die sind oft meilenweit von der Lebenssituation dieser Frauen entfernt. Konkret haben wir uns etwa für günstigere Wohnkredite sowie für einen besseren Datenschutz für die Frauen eingesetzt. Zum "Empowerment" gehört auch, mit Frauen aus dem Programm nach dem Aufarbeiten ihrer traumatischen Erlebnisse in die Rotlichtviertel zurückzugehen. Diese Frauen kennen schließlich die Dynamiken dort am besten. Mit ihnen gemeinsam können Fachkräfte des Programms aktuell Betroffene am besten ansprechen.
Engagieren Sie sich weiterhin für das Programm?
Ich schreibe über die Rolle der Brennpunktviertel der Prostitution in Bogotá meine Bachelorarbeit. Und danach will ich nochmals nach Kolumbien gehen, um dort eine Zeit lang als Sozialarbeiter tätig zu sein. Derzeit informiere ich hier über die Hilfen, zum Beispiel in Vorträgen. Wenn sich jemand für ein Praktikum in dem Programm interessiert, stehe ich gerne zur Verfügung. E-Mail: simon11769@gmail.com