„Distanz geht nicht“
Viele der Flüchtlinge in den beiden Dörfern haben in ihrem Heimatland Gewalt erfahren und eine mehrjährige Flucht hinter sich. Da gibt es zum Beispiel einen jungen Mann, der sich zwei Jahre lang fast nur von Blättern und Wasser ernähren musste, um zu überleben. Es gibt zwei koptische Christen aus Ägypten, die in ihrer Heimat wegen ihres Glaubens angegriffen wurden und deren Asylverfahren sich lange hinzieht, weil Ägypten als "sicheres" Land gilt. Es gibt eine junge Frau aus Südosteuropa, die aus Furcht vor Blutrache nach Deutschland floh und nun die Abschiebung fürchtet, weil ihr Land als "sicherer Drittstaat" gilt. Und es gibt den jungen Eritreer, der fernab der Heimat vom Tod seiner beiden Eltern erfahren musste.
Sie alle hat es ins Sauerland verschlagen. "Bei uns im ländlichen Raum hat dieses Engagement seine Besonderheiten", erklärt Resi Albers aus Bödefeld. "Hier kennt jeder jeden, und man bekommt die Schicksale der Menschen, die jetzt bei uns leben, hautnah mit." Die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer sind für die Flüchtlinge zunächst oft die einzigen Kontakte. "Wir begrüßen sie, wenn sie ankommen, schauen, ob sie mit allem Notwendigen versorgt sind, zeigen ihnen die Einkaufsmöglichkeiten vor Ort", beschreibt Ulla Beckmann aus Bödefeld. Dort wurde im Montanus-Haus neben der Kirche inzwischen ein Lagerraum mit Kleidung, Haushaltsgegenständen und weiterem Material für die Flüchtlinge eingerichtet.
Doch bei dieser "Grundversorgung" bleibt es nicht. Da es in Bödefeld keine Ärzte, Ämter oder größere Geschäfte gibt, fahren die Helferinnen und Helfer die Flüchtlinge quasi täglich in die größeren Orte der Nachbarschaft oder begleiten Kinder in die Schule. In Bad Fredeburg kümmert sich ein pensionierter Lehrer auch während des Unterrichts um die Flüchtlingskinder. Alphabetisierungs- und Sprachkurse werden organisiert, einmal im Monat lädt ein "Café International" Fredeburger und Flüchtlinge zum gegenseitigen Kennenlernen ein.
Auch der Schriftverkehr der Flüchtlinge wird von den ehrenamtlich tätigen Frauen gelesen und bearbeitet: Einfache Handyverträge oder so komplizierte Dinge wie eine "Narkoseeinverständniserklärung", berichtet Annika Metz aus Bad Fredeburg. Und dann gibt es jene Briefe des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge mit Hiobsbotschaften, die den Flüchtlingen mitteilen, dass sie Deutschland verlassen sollen. Etwa weil sie in einem anderen EU-Staat registriert wurden und nun nach dem Dublin-Abkommen dort ihren Asylantrag stellen sollen. Das Schlimme sei jedoch, dass manche Flüchtlinge auch in EU-Ländern wie Ungarn oder Kroatien Gewalterfahrungen gemacht hätten. "Sie wurden mit Schlägen und Stromstößen dazu gezwungen, sich zu registrieren, also ihre Fingerabdrücke zu hinterlassen. Auf diese Weise können diese Länder EU-Gelder kassieren, sie kümmern sich jedoch nicht weiter um die Flüchtlinge, sondern schicken sie ohne Versorgung einfach weg."
Für die Frauen aus Bödefeld und Bad Fredeburg eine schlimme Vorstellung, dass die Menschen, denen sie Familienersatz geworden sind, dorthin zurück sollen, wo ihnen mutmaßlich Armut und Obdachlosigkeit drohen. "Dass einigen unserer Flüchtlinge die Abschiebung droht, verfolgt uns bis in den Schlaf hinein", gesteht Resi Albers. "Es ist einfach nicht möglich, Distanz zu wahren. Kontakte, menschliche Nähe sind für diese Menschen, die ja ganz allein sind, wichtiger als die Dinge, die man mit Geld regeln kann."