Der Haft ihr Tabu nehmen
Wenn Andreas S. von "seinem Sohn" erzählt, werden seine sonst herben Gesichtszüge sanfter, seine Augen fangen an zu leuchten. Das hat seinen Grund, denn er sieht sein Kind zweimal im Monat und dann nur für jeweils genau zwei dreiviertel Stunden. Andreas S., dessen voller Name hier nicht genannt werden darf, ist Häftling in der "Krümmede", der Bochumer Justizvollzugsanstalt. Der 47-jährige, der von sich selbst sagt: "Ich habe praktisch mein halbes Leben hinter Gittern verbracht", sitzt hier nicht wegen einer Kleinigkeit ein. Er arbeitet auf der Kammer der Anstalt und soll 2016 entlassen werden. Mit seinen zwei leiblichen Kindern aus einer früheren Partnerschaft hat er keinen Kontakt mehr.
Freie Straffälligenhilfe
Dass Andreas S. weiß, wie die Freunde seines achtjährigen Sohnes heißen, was sein Lieblingsessen ist und wie es in der Schule so läuft, ist unter anderem der Gefängnis-Sozialarbeit des SKM in Bochum zu verdanken. Der "Katholische Verein für soziale Dienste in Bochum", der im kommenden Jahr sein 111-jähriges Bestehen feiert, engagiert sich seit mehr als einhundert Jahren in der "Krümmede" und leistet, wie es im Caritas-Deutsch heißt, "Freie Straffälligenhilfe". Die Arbeit mit den Kindern Inhaftierter wird durch das NRW-Familienministerium gefördert, da es sich um Jugendhilfe handelt. Eines der Angebote ist die "Vater-Kind-Gruppe". Inhaftierte wie Andreas S. erhalten zusätzlich zweimal zwei dreiviertel Stunden Besuchszeit im Monat, um diese mit ihren Kindern zu verbringen - ohne Partnerin, sondern unter Begleitung zweier Mitarbeiter/-innen des SKM. "Da kann es dann auch schon mal lauter werden, wenn erwachsene Männer mit ihren Kindern Benjamin Blümchen spielen", erklärt Birgitta Brämer, Sozialarbeiterin beim SKM. Der Besuchsraum, den die Anstaltsleitung dem SKM dafür zur Verfügung stellt, ist ein großer Raum, der für die verschiedenen Angebote umgestaltet werden kann. Nicht besonders schmuckvoll, aber praktisch, mit einer langen Tischreihe und einer Spielecke. "Nachdem wir schon sehr lange Inhaftierte in der JVA Bochum betreut hatten", erklärt Wolfgang Frewer, Geschäftsführer des Verbandes, "haben wir vor 20 Jahren Familienseminare eingeführt. Wir hatten festgestellt, dass durch die Inhaftierung des Vaters immer eine ganze Familie mitbestraft wird. Uns war es wichtig, der Haft ihr Tabu zu nehmen und den Angehörigen die Möglichkeit zu eröffnen, mit ihrem Schamgefühl umzugehen. Hier ist immer noch viel zu tun, weil der Strafvollzug nach wie vor nicht familiensensibel ist."
Sorgerecht trotz Haft
Aber auch außerhalb der Mauern der JVA leisten die hauptamtlichen Mitarbeiter des Caritas-Fachverbandes Unterstützung für die Familien von Strafgefangenen. Sie besuchen sie zu Hause, begleiten sie bei Behördengängen, führen Gespräche mit Kindertageseinrichtungen und Schulen. Bei Problemen vermitteln sie an Beratungsstellen oder nutzen ihre Kontakte zu Gerichten und Jugendämtern. Da geht es dann beispielsweise um die Frage, wie ein Inhaftierter sein Sorgerecht behalten kann, obwohl er eine Haftstrafe verbüßt.
Andreas S. freut sich auf die "Freiheit", weiß aber auch, dass da viel Ungewisses auf ihn zukommt. Er wird von der JVA sozialtherapeutisch auf die Zeit nach der Haft vorbereitet und auch bei der Verarbeitung
seiner Tat kontinuierlich psychologisch begleitet. Was ihn antreibt und stabilisiert, ist seine Familie, zu der er seit seiner Inhaftierung in der "Krümmede" den Kontakt gehalten hat. Oder besser gesagt: die den Kontakt zu ihm gehalten hat. Diese kleine Familie, das sind seine Lebensgefährtin mit ihrem achtjährigen Sohn, den Andreas S. wie einen eigenen Sohn angenommen hat. Der SKM Bochum hat dabei geholfen.
Die Caritas beschäftigt sich in diesem Jahr schwerpunktmüßig mit Familienpolitik. Unter dem Jahresthema "Familie schaffen wir nur gemeinsam" dokumentiert sie verschiedene Bereiche der Caritas-Arbeit, die Familien in besonderen Situationen unterstützen.
Info: Die JVA Bochum ist eines von insgesamt 37 Gefängnissen in NRW. Zurzeit sind in Bochum knapp 700 männliche Erwachsene inhaftiert. Es können 800 untergebracht werden. Der Bochumer Knast wurde 1897 in Betrieb genommen. Aktuell arbeiten 300 JVA-Beamte und ca. 80 Beschäftigte im technischen Dienst. In den vier Hafthäusern wird neben der Strafhaft in einem separaten Haus Untersuchungshaft vollzogen. In einem Hafthaus leben Gefangene im Wohngruppenvollzug. In einem anderen Haus werden Strafgefangene auf eine stationäre Drogentherapie vorbereitet.