Wir sind wie eine Familie
Unter dem Motto „Familie schaffen wir nur gemeinsam“ lenkt die Caritas in diesem Jahr die Aufmerksamkeit besonders auf die Bedeutung der Familie. Nach wie vor leisten Familien Unschätzbares für ein gelingendes Miteinander in der Gesellschaft. Sie sind aber auch vielfältigen Belastungen ausgesetzt. Deshalb brauchen Familien Solidarität und Unterstützung. Wie die konkret werden kann, zeigt ein Beispiel der Caritas Baden-Baden.
Seit vier Jahren unterstützt das Stadtteilzentrum Briegelacker in Baden-Baden im Projekt „Familienpaten“ Familien durch ehrenamtliche Helfer. „Der Bedarf ist groß“, sagt Agnes Lemcke von der Caritas, die das Projekt betreut und die Paten den Familien vermittelt.
Die Gründe, warum Familien Unterstützung benötigen, sind sehr unterschiedlich. So können beispielsweise die Geburt eines Kindes, der Tod eines Elternteils, Erziehungsprobleme oder finanzielle Schwierigkeiten eine Familie aus dem Gleichgewicht bringen und Hilfe von außen erforderlich machen. In Baden-Baden nehmen vor allem Familien mit Migrationshintergrund am Projekt teil. Hier spielen häufig auch Sprachschwierigkeiten und die daraus resultierenden Probleme im Umgang mit Behörden oder bei der Arbeitssuche eine Rolle.
Die Chemie stimmte - von Anfang an
Gegenwärtig sind in Baden-Baden acht ehrenamtliche Helferinnen in sieben Familien im Einsatz. Eine dieser Patinnen ist Barbara Nyiondi. Nach ihrer Pensionierung war sie zunächst in der Hausaufgabenbetreuung des Stadtteilzentrums tätig, seit einigen Jahren engagiert sie sich nun als Familienpatin.
Als Barbara Nyiondi vor vier Jahren in die Familie kam, befand sich Adelaide Atangana, die aus Kamerun stammt, in einer denkbar schwierigen Situation. Da ihr Mann erst später nach Deutschland kam, war sie in einem fremden Land vollkommen auf sich allein gestellt. Da sie selbst gesundheitlich beeinträchtigt ist, fiel es ihr schwer für ihre beiden kleinen Kinder zu sorgen und den Alltag ohne Hilfe zu bewältigen. Daher kümmerte sich Agnes Lemcke darum, eine Patin für die Familie zu finden. Die Vermittlung von Barbara Nyiondi erwies sich als wahrer Glücksgriff. „Die Chemie stimmte - von Anfang an“, sind sich die beiden Frauen einig und auch die Kinder fassten schnell Vertrauen zu der Familienpatin. Dabei war sicher hilfreich, dass Barbara Nyiondi durch ihren Mann, der wie die Familie Atangana ebenfalls aus Kamerun stammt, mit dem kulturellen Hintergrund und dem Heimatland der Familie vertraut ist.
Anfangs kam Barbara Nyiondi nur einmal pro Woche in die Familie; seit der Geburt zweier weiterer Kinder und der Einschulung des ältesten Sohnes ist die Familienpatin von Montag bis Freitag in der Familie, um ihm – und später auch den anderen Kindern – beim Lernen der deutschen Sprache zu helfen. „Sprache ist wichtig. Wer in der Schule wegen Sprachproblemen nicht richtig mitkommt, hat das Nachsehen“, weiß die Familienpatin. Dass die Kinder viel besser deutsch sprechen, seit Barbara Nyiondi in der Familie ist und mit ihnen lernt, kann auch Adelaide Atangana bestätigen. Außerdem steht die Patin der Familie zur Seite, wenn es darum geht, Angelegenheiten mit Behörden zu regeln.
Als eines der Kinder als Frühgeburt auf die Welt kam, übernahm Barbara Nyiondi ganz selbstverständlich den Haushalt und die Versorgung der Kinder. „Ich bin nicht allein, ich habe jemanden, der sich um meine Familie kümmert“, sagt Adelaide Atangana und spricht damit einen für sie sehr wichtigen Aspekt der Patenschaft an. Zu wissen, dass jemand da ist, der ihr hilft, ist eine sehr große Erleichterung für sie. Dies gilt auch umgekehrt: Ist die Patin selbst einmal gesundheitlich angeschlagen und kann nicht in die Familie kommen, bietet Adelaide Atangana gern ihre Hilfe an.
Sie genießt ihre Rolle als Ersatzoma
Das Verhältnis zwischen Barbara Nyiondi und Adelaide Atangana ist sehr eng, vertraut und herzlich. Aus der Patenschaft hat sich eine besondere Beziehung entwickelt. „Wir sind wie Mutter und Tochter, wie Enkelkinder und Oma“, beschreibt Barbara Nyiondi die Verbindung zwischen den Familien, und Adelaide Atangana fügt hinzu: „Wir sind eine Familie.“ Auch für die Kinder gehört die Familienpatin längst zur Verwandtschaft. Sie nennen sie „Oma“ und besuchen sie an den Wochenenden auch gern zu Hause. Sie backen dann zusammen Plätzchen oder färben Ostereier; manchmal stehen auch größere Ausflüge auf dem Programm.
Barbara Nyiondi verbringt gern Zeit mit der Familie und betont die Wechselseitigkeit der Beziehung. „In eine kamerunische Familie zu kommen war für beide Seiten gut“, stellt sie fest, da es den Umgang miteinander vereinfache, wenn beide Seiten Land und Sitten kennen. „Außerdem bekomme ich immer leckeres afrikanisches Essen“, erzählt sie lachend und man spürt, wie sehr sie ihre Rolle als Ersatzoma genießt und schätzt.
Natürlich kann es auch hin und wieder zu Unstimmigkeiten kommen, beispielsweise wenn eine Bemerkung der Familienpatin falsch oder als Einmischung in das Familienleben verstanden wird. Daher ist es bei der Arbeit als Patin auch notwendig, Grenzen zu ziehen, zu sehen, wo Aufgaben und Möglichkeiten der eigenen Tätigkeit in der Familie enden. „Bei gravierenden Sachen muss man natürlich versuchen, das Problem vorsichtig in der Familie anzusprechen, aber zum Teil muss man den Lebensstil, die Art des Familienlebens auch einfach akzeptieren“, benennt Barbara Nyiondi eine wichtige Regel für eine funktionierende Patenschaft und fügt hinzu: „Aber das ist ja eigentlich in jeder Familie so.“
Für Familienpatenschaften gibt es kein festes Schema; sie sind so verschieden, wie die Familien und Paten, die daran teilhaben. In jedem Fall sind die Patenschaften eine gute Möglichkeit für Familien in Notsituationen, schnelle und unbürokratische Hilfe und persönliche Unterstützung zu bekommen. Auch von den ehrenamtlichen Helferinnen bekommt Agnes Lemcke immer wieder positive Rückmeldungen. Viele finden die Anbindung an die Familie schön und empfinden ihre Tätigkeit als Bereicherung für ihr Leben.
Und in besonders glücklichen Fällen kann – wie bei Barbara Nyiondi und Familie Atangana – aus einer Patenschaft sogar Familie werden.
Ihre Ansprechpartnerin: Agnes Lemcke, Tel. 07221 183521, lemcke@caritas-baden-baden.de