In Kleve finden Welten zueinander
Den ganzen Tag über wechseln Lern- mit Spiel- und Bewegungsphasen ab. Das neue Modell hebt die Trennung zwischen Schule vormittags und Ganztagsbetreuung nachmittags auf. Die Erfahrungen sind gut, das Interesse der Eltern steigt.
Morgens sind die Räume der OGS verwaist, nachmittags herrscht gähnende Leere in den Klassenräumen nebenan. Das ist das übliche Modell der Trennung zwischen Unterricht und Nachmittagsbetreuung. Die Grundschule an den Linden und die Caritas Kleve proben Neues und führen diese Welten zusammen. Die Erfahrungen im zweiten Jahr des "Rhythmisierten Ganztags" machen Mut und lassen die Warteliste interessierter Eltern wachsen. Vielfältige Vorteile zählen Detmar Pommering, Leiter des Fachdienstes Schule bei der Caritas, und Konrektorin Anne van Weegen auf. Nicht nur, dass die Eltern beobachten, dass ihre Kinder nachmittags weniger müde nach Hause kommen und sie beim Lernergebnis im Klassenvergleich vorne liegen.
Wie so oft ist die Grundidee einfach, aber erfordert die Umsetzung einige Voraussetzungen und eine Menge Überlegung. Im Rhythmisierten Ganztag bilden Lehrer sowie Erzieher und Ergänzungskräfte der OGS ein "Klassenteam", erläutert van Weegen. Lernphasen wechseln sich mit Bewegungs-, Spiel und Kreativzeiten ab. Ein Grundgerüst ist durch Sporträume, Schwimmunterricht und Essenszeiten gegeben, aber darin kann die Zeit zwischen 8.15 und 15 Uhr flexibel gestaltet werden.
Nach Bedarf werden Kleingruppen gebildet
"Die Kinder bleiben immer in der Klassengemeinschaft zusammen", nennt Pommering einen Vorteil. Was nicht heißt, dass alle die ganze Zeit aufeinander hocken. Im Gegenteil ermöglicht die fast durchgehende Doppel- oder sogar Dreifachbesetzung, dass nach Bedarf Kleingruppen gebildet oder Kinder vorübergehend einzeln gefördert werden. Vielfach wird auch die Chance genutzt, das 45-Minuten-Korsett aufzulösen zu Doppelstunden, die für besondere Aktivitäten oder eine intensivere Beschäftigung mit einem Thema genutzt werden können.
Bislang gibt es nur wenige Grundschulen in Nordrhein-Westfalen, die dieses Modell eingeführt haben. In der Caritas sind die Klever die ersten, die es als Träger der OGS umsetzen. Die Anregung dazu kam von der Stadt, weil mehr Förderung in einem Stadtteil mit hohem Migrationsanteil und vielen von Hartz IV lebenden Familien geboten war. Sie wollte auch die Caritas als Träger - "wegen der Fachkräfte", sagt van Weegen. Detmar Pommering macht es dies einfacher, sie zu finden, weil 27 Wochenstunden angeboten werden können, deutlich mehr als im "additiven" Ganztag nur nachmittags. Dennoch gelte für einen qualitativ hochwertigen rhythmisierten Ganztag, je mehr Erzieherstunden es gebe und damit eine Doppelbesetzung möglich sei, desto besser sei dies für jedes Kind und den Lehrer.
Direkter Informationsaustausch
Jacqueline Castelijns hat die Chance genutzt. Sie leitet die OGS in der Grundschule an den Linden und sieht den großen Vorteil des rhythmisierten Ganztags darin, dass "ich weiß, wie unterrichtet wird und welche Kinder mehr Förderung brauchen." Vorher hätten die Mitarbeiterinnen wenig Ahnung gehabt, was morgens passiert sei. Ein Informationsaustausch erfolgte über Eintragungen in Hefte.
Die Voraussetzungen, gerade hier mit dem Modell zu starten, waren günstig, weil ohnehin saniert und angebaut werden musste. Soll der Rhythmisierte Ganztag funktionieren, braucht es räumliche Voraussetzungen. Neben dem großzügigen Klassenraum kann der ebenso große "Differenzierungsraum" genutzt werden, um sich in Kleingruppen zurückzuziehen. Fenster zum Klassenraum erlauben der Lehrerin oder Erzieherin die Aufsicht, auch wenn mal gerade keine Kollegin dabei ist.
Der Personalaufwand und damit die Kosten für den rhythmisierten Ganztag sind höher als bei der getrennten Betreuung. Aber Kleves Kämmerer setzt darauf, dass durch die ganztägige Nutzung der Schulräume trotz wachsender Nachfrage nach OGS-Plätzen der Bau weiterer Räumlichkeiten vermieden werden kann. Es erscheine sinnvoller, so Detmar Pommering, "in mehr und qualifizierteres Personal zu investieren".
Derzeit liegt der Anteil der Eltern, die die OGS in Anspruch nähmen, noch bei 35 Prozent. Die Stadt Kleve strebt auf Dauer 75 Prozent an. Nach wie vor können sich die Eltern wie bislang für die "Halbtagsklassen" entscheiden. Aber die aktuellen Anmeldezahlen gehen schon im zweiten Jahr in der Grundschule an den Linden eindeutig zur Rhythmisierung. Sechs Klassen sind derzeit im neuen Modell. Das Interesse der Eltern aus anderen Stadtteilen sei jedoch so groß, dass nicht ausgeschlossen sei, zukünftig alle Klassen auf den Rhythmisierten Ganztag umzustellen, erklärt van Weegen.
An einem Strang ziehen
Für die Lehrkräfte bedeutet es, über Mittag in der Schule bleiben und ihre Vor- und Nachbereitungszeiten anders organisieren zu müssen. Ihr Kollegium, sagt Anne van Weegen, hat sich bewusst dafür entschieden. Dafür können sie mal einen Kurztag dazwischen legen, um das Stundenkontingent nicht zu überschreiten. Entspannend sei auch, dass man viel mehr voneinander über die Kinder wisse und an einem Strang ziehen könne, erklärt van Weegen. Einmal in der Woche setzt sich jedes Team zusammen und stimmt sich ab.
Bleibt die Frage nach dem Lernfortschritt. Auch hier scheint die Rhythmisierung positiv zu wirken. Ohne eine empirische Auswertung stellen Anne van Weegen und ihr Lehrerkollegium doch fest, dass diese Klassen "schneller" sind. Was sich erklären lasse, denn sie "sind nicht soviel damit beschäftigt, Struktur zu schaffen" und das soziale Miteinander sei besser, da zum Beispiel täglich gemeinsam gegessen oder gespielt wird.
Bei allen positiven Beobachtungen ist eine Fortführung nicht ungefährdet. Zukünftig werde die Betreuung alle drei Jahre von der Stadt Kleve ausgeschrieben und interessierte Träger könnten ihr Angebot abgeben. "Verlässlichkeit sieht anders aus", bedauert Detmar Pommering. Dabei sei gerade die für Kinder wichtig.