Mit Spaß strukturiert gelernt
Samara sitzt auf einem Stuhl und will in Ruhe ein Buch lesen. Katharina fährt mit Autos vor ihr auf dem Boden herum, macht dazu entsprechende Geräusche und stört damit unweigerlich Samara beim Lesen. Streit ist vorprogrammiert. Wer von beiden hat was zu tun oder zu lassen? "Samara will in Ruhe lesen, das muss die Katharina verstehen", sagt ein Kind, woraufhin ein anderes entgegnet: "Mit Autos spielen macht halt Lärm." Ein Rollenspiel im katholischen Kindergarten St. Augustin in Ingolstadt. Das Spiel ist Teil eines Lernmoduls "Die goldenen Regel". Dabei lernen die Kinder, dass es unterschiedliche Sichtweisen gibt - je nach dem, welche Perspektive man einnimmt. Samara und Katharina wechseln die Rollen: Jede versetzt sich in die Situation der anderen und versteht daher ihre Sicht und ihr Verhalten. Und die Kinder lernen in diesem Zusammenhang, dass es eine goldene Regel gibt: Handele anderen gegenüber so, wie du selbst behandelt werden willst. Und sie verstehen, dass die Regel für alle gilt: für das katholische Kind ebenso wie das muslimische und das Kind ohne Konfession - alle gibt es in dem Kindergarten.
Auf Alltag übertragen
Die Kinder haben gelernt, dies auf den Alltag zu übertragen: "Wenn ein Kind einem anderen zum Beispiel jetzt ein Spielzeug wegnimmt, erinnern manche es schon einmal an die goldene Regel und fordern es auf, das nicht zu tun", erklärt Kindergartenleiterin Vera Sebald. Auch das Einfühlungsvermögen wurde gestärkt: "Wenn die kleinen Kinder etwas kaputt machen und weinen, liegt das vielleicht daran, dass sie Heimweh haben", habe beispielsweise ein älteres Kind geäußert.
Das Lernmodul "Goldene Regel" war Teil eines Pionierprojektes "Vielfältige Lehr- und Lernformen im Kindergarten", das 30 katholische Kindertageseinrichtungen gemeinsam mit der Fakultät für soziale Arbeit der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt unter Federführung des zuständigen Caritas-Fachreferates im Bistum Eichstätt durchführten. Ziel ist, die pädagogischen Angebote "Freispiel" und "Projektarbeit" um eine dritte Säule "Strukturiertes Lernen" zu ergänzen. Dafür wurden mit den Einrichtungen in verschiedenen Bereichen Lernmodule entwickelt und erprobt. Anders als bei der Projektarbeit setzt man dabei nicht bei den Interessen der Kinder direkt an, sondern bei einer Sache an sich: "Wir wollen damit ein Grundwissen bei den Kindern sicherstellen", begründet Vera Sebald, warum sich ihre Einrichtung auf dem durchaus neuen pädagogischen Kindergartenterrain engagiert. Befürchtungen, die Kinder könnten hierbei überfordert werden, sieht sie durch die eigenen Erfahrungen widerlegt. Alle seien begeistert dabei gewesen und manche Eltern hätten interessiert zurückgemeldet, dass sie von ihren Kindern lernten, was die goldene Regel ist.
"Kleine Ingenieure" bauen Legoautos
Geradezu "Feuer und Flamme" waren laut Vera Sebald beteiligte Kinder an einem Modul "Wie entsteht ein Auto im Computer?" Dabei wurden die "kleinen Ingenieure" in die digitale Welt und Funktionsanalyse eines Autos eingeführt, planten selbst ein Auto, erstellten ein Modell mit "LEGO Digital Designer" am Computer, bauten es mit Lego nach und besichtigten einen Konstruktionsprozess in der AUDI-Akademie. "Wir stellen fest, dass diese Kinder jetzt oft nicht einfach einen Turm bauen, sondern erst planen, wie sie es tun möchten", beobachtet Erzieherin Katharina Koch. Und ihre Kollegin Heidi Landshammer ergänzt: "Für unsere neue Matschanlage haben Kinder auf dem Plan des Schreiners erkannt, wo die Pumpe ist und das Wasser herunterläuft."
Weitere Informationen zum Thema in folgenden Pressemitteilungen:
Vielfältiges und strukturiertes Lernen gefördert
Kinder "nicht überfordert, sondern herausgefordert"