Dienstgemeinschaft als leitender Gedanke
Das Mitarbeitervertretungsrecht der katholischen Kirche wird in diesem Jahr 50 Jahre alt. Jedoch gab es bereits zuvor für die Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (DCV) eigene Beteiligungsrechte der Beschäftigten. Im Jahr 1956 haben die bundesdeutschen (Erz-)Bistümer eine "Ordnung für die Mitarbeitervertretungen in den Dienstgemeinschaften der dem Deutschen Caritasverband angeschlossenen Anstalten und Einrichtungen nebst der zugehörigen Wahlordnung" erlassen. Sie ging zurück auf eine Initiative der damaligen ständigen Arbeitsrechtlichen Kommission, die mit den Arbeitsvertragsrichtlinien die Arbeitsbedingungen für die caritativen Einrichtungen fest[1]legte.
Vor dem Hintergrund eines damaligen Verständnisses der Dienstgemeinschaft als "Anstaltsfamilie" sollten Dienstgeber sowie Mitarbeiter(innen) alle sie betreffenden Themen gemeinsam beraten. Der damalige Geschäftsführer der Kommission, Landgerichtsrat Karl Hünerfeld, formulierte dazu: "Es sollte selbstverständliche Regel sein, dass keine allgemeine Anordnung getroffen wird, ohne sie zuvor mit der Mitarbeitervertretung ausführlich zu besprechen."1
Im Jahr 1971 war es dann so weit. Nach zweijährigen Vorarbeiten verabschiedete die Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands (VDD) erstmals für die gesamte Kirche und ihre Caritas eine "Ordnung für Mitarbeitervertretungen" (MAVO). Ihre Verabschiedung als bundesweite Rahmenordnung war durch die Entwicklung der katholischen Kirche nach dem Zweiten Vatikanum möglich geworden. In einem Dekret über die Hirtenaufgaben der Bischöfe vom Oktober 1965 wurde die Anordnung getroffen, dass für den Bereich von Teilkirchen nationale Bischofskonferenzen zu bilden sind. Daraufhin errichteten die deutschen Bischöfe im März 1968 den VDD als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Zentral war in dieser ersten gesamtkirchlichen Ordnung für Mitarbeitervertretungen der Gedanke der Dienstgemeinschaft. Sie war Ausdruck des gemeinsamen Auftrags aller in der Kirche Tätigen für den Sendungsauftrag.
Der Schutz der Mitarbeitervertreter wird verdeutlicht
Zum ersten Mal novelliert wurde das Mitarbeitervertretungsrecht durch die Vollversammlung des VDD im Jahr 1977. Die Beteiligungsrechte wurden bezüglich personeller Angelegenheiten erweitert, das Wahlverfahren präzisiert und der Kündigungsschutz der Mitglieder der Mitarbeitervertretung verdeutlicht.2 Im Jahr 1985 novellierte die Vollversammlung des VDD die Rahmenordnung in größerem Umfang. Die Beteiligungstatbestände der Mitarbeitervertretung sahen nun auch die Möglichkeit vor, Dienstvereinbarungen abzuschließen. Eine Vielzahl an Vorschriften wurde konkretisiert, die Bestimmungen über die Beteiligungsrechte der Mitarbeitervertretung systematisch geordnet. Zudem wurde die damalige Erklärung der Bischöfe zum kirchlichen Dienst vom 27. Juni 1983 als theologischer Vorläufer der späteren Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse des Jahres 1995 berücksichtigt.
Das Bundesverfassungsgericht hatte zuvor das Recht der Kirchen auf eine eigene Mitbestimmungsordnung ausdrücklich anerkannt. Die Vollversammlung des VDD hat das Mitarbeitervertretungsrecht im Jahr 1995 noch weiter überarbeitet. Dabei wurde der Geltungsbereich der Rahmenordnung mit der im gleichen Jahr in Kraft getretenen Grundordnung abgestimmt. Zudem wurden erstmals Regelungen für Rechtsträger geschaffen, die nicht nur in einem Bistum, sondern in mehreren tätig sind, um zu bestimmen, welche diözesane Ordnung gilt. Das aktive und passive Wahlrecht wurde wesentlich überarbeitet und an die bundesdeutsche und europäische Gesetzeslage angepasst. Auch ein vereinfachtes Wahlverfahren wurde ermöglicht. Durch die Novellierung der Ordnung im Jahr 2003 - fachlich begleitet durch Gregor Thüsing, Professor für Arbeitsrecht an der Universität Bonn - wurden erstmals Bestimmungen bei der Gestaltung wirtschaftlicher Rahmenbedingungen beschlossen und das Mitarbeitervertretungsrecht im Hinblick auf neue Vorgaben aus dem Europarecht verändert.
Die Festlegung durch Dienstgeber, was als Einrichtung gilt, wurde beschränkt, Mitarbeitervertretungen durch Übergangs[1]und Rechtsmandat abgesichert, ein Informationsrecht in wirtschaftlichen Angelegenheiten eingeführt, die Beschäftigungssicherung durch neue Elemente gestärkt, Benachteiligungen von befristeten Teilzeitbeschäftigten beseitigt und die Dienstvereinbarung als Instrument zur Gestaltung einrichtungsnaher Arbeitsbedingungen gestärkt. Im Jahr 2005 wurde die Kirchliche Arbeitsgerichtsordnung eingeführt.
Dies machte Anpassungen in verschiedenen kirchlichen Ordnungen zum Arbeitsrecht erforderlich, auch im Mitarbeitervertretungsrecht. Das Ablösen des früheren Bundesangestelltentarifvertrages BAT durch den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst TVöD und den Tarifvertrag im öffentlichen Dienst der Länder TV-L und die Orientierung kirchlicher Arbeitsbedingungen an diesen Tarifwerken führten im Jahr 2007 dazu, dass neue Beteiligungsrechte der Personal- beziehungsweise Betriebsräte im öffentlichen Dienst Eingang in das Mitarbeitervertretungsrecht fanden.
Der Mitarbeiterbegriff wurde erweitert
Der sehr umfangreichen Novellierung der Mitarbeitervertretungsordnung im Jahr 2010 ging ein dreijähriger Beratungs- und Konsultationsprozess voraus. Die zuständige Arbeitsgruppe des VDD sichtete über 120 Änderungs- und Ergänzungswünsche, die sich aus der Anwendungspraxis des Mitarbeitervertretungsrechts, aber auch aufgrund der jeweiligen Interessen der Mitarbeitenden und der Dienstgeber ergaben. Sie führten zu Präzisierungen und Erweiterungen des Mitarbeiterbegriffs bei Dienst- und Arbeitsverhältnissen, bei den Wahlen zur Mitarbeitervertretung, beim Schutz der Mitglieder der Mitarbeitervertretung und deren Freistellung sowie bei Schulung und der Schweigepflicht.
Die Novellierung des Mitarbeitervertretungsrechts im Jahr 2011 berücksichtigte die Neufassung des Geltungsbereichs der Grundordnung; die Ordnungen des kirchlichen Arbeitsrechts gelten für solche Rechtsträger, die entweder unmittelbar der bischöflichen Gesetzgebungsgewalt unterliegen oder die sich dem kircheneigenen Arbeitsrecht durch eine ausdrückliche Übernahme der Grundordnung zuordnen.
Gegen den Willen der Rechtsträger
In den Jahren 2012/2013 fanden - erstmals unter Beteiligung von Mitarbeitervertreter(inne)n in der Arbeitsgruppe des VDD - intensive Beratungen statt, ob im katholischen Bereich ein eigenes Unternehmensmitbestimmungsrecht eingeführt werden soll. Die Arbeitsgruppe entschied aber mehrheitlich, dass verpflichtende Elemente des Unternehmensmitbestimmungsrechts zurückgestellt werden; stattdessen sollten die bestehenden Beteiligungsrechte der Mitarbeitervertretungen in wirtschaftlichen Angelegenheiten aus[1]gebaut werden. Dementsprechend wurde im Jahr 2017 die Bildung von Gesamt-Mitarbeitervertretungen auch gegen den Willen der Rechtsträger ermöglicht. Dies war auch eine Reaktion auf neue Entwicklungen, in denen kirchliche Rechtsträger entweder über eine Vielzahl von Einrichtungen verfügen oder eine Konzernstruktur bilden. Mitarbeitervertretungen mehrerer Einrichtungen mehrerer Rechtsträger können eine sogenannte erweiterte Gesamtmitarbeitervertretung bilden, wenn die einheitliche und beherrschende Leitung der beteiligten selbstständigen kirchlichen Einrichtungen bei einem Rechtsträger liegt.
Die schon bisher bestehende Pflicht der Dienstgeber zur Information in wirtschaftlichen Angelegenheiten von Einrichtungen, in denen mehr als 100 Mitarbeiter(innen) tätig sind und deren Betrieb überwiegend durch Zuwendungen der öffentlichen Hand, aus Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen mit Kostenträgern oder Zahlungen sonstiger nichtkirchlicher Dritter finanziert wird, wurde durch einen Wirtschaftsausschuss erweitert. Die Größe der Mitarbeitervertretungen in Abhängigkeit von der Zahl der Wahlberechtigten wurde neu gestaltet, der Umfang der Freistellung der Mitglieder der Mitarbeitervertretungen erweitert. Bei der Einstellung ist die Mitarbeitervertretung umfassend zur Person der oder des Einzustellenden sowie zu dessen Arbeitsbedingungen zu unterrichten.
Gute Zusammenarbeit trotz unterschiedlicher Interessen
Aufgrund der Corona-Pandemie stellten sich kirchliche Einrichtungen die Frage, ob sie die teilweise erheblichen Arbeitsausfälle durch Kurzarbeit kompensieren können. Mitarbeitervertretungen wussten nicht, wie sie ihre Arbeit aufgrund der Abstandsgebote fortführen sollten. Innerhalb weniger Wochen und außerhalb der üblichen Verfahrenswege wurden mit Zustimmung aller Beteiligten die Mitbestimmungstatbestände um eine "vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der einrichtungsüblichen Arbeitszeit, insbesondere die Einführung von Kurzarbeit nach dem SGB III" ergänzt. Die Präsenzpflicht der Mitglieder der Mitarbeitervertretungen bei ihren Sitzungen als Voraussetzung für das Fassen wirksamer Beschlüsse wurde beseitigt, indem sie nun auch virtuell an den Sitzungen teilnehmen können, beispielsweise per Tele[1]fon- oder Videokonferenz. Diese Änderungen sind bis zum 31. März 2022 zeitlich befristet. Dass sie überhaupt zustande kommen, ist das Ergebnis einer aktuell vertrauensvollen Zusammenarbeit aller Akteure - ungeachtet unterschiedlicher Interessen.
Seit dem vergangenen Jahr wird in einer Arbeitsgruppe des VDD über eine Ordnung beraten, die künftige Gesetzgebungsverfahren im kirchlichen Arbeitsrecht formal regeln soll. Dies würde gerade weitere Änderungen der Mitarbeitervertretungsordnung betreffen. Gelingt dies, ist der Weg für die nächsten 50 Jahre des kirchlichen Mitarbeitervertretungsrechts gebahnt.
Anmerkung
1. Caritas Korrespondenz 09/1956, Fach A2.
2. Ebenfalls 1977 erschien erstmals ein eigenständiger Kommentar zum Mitarbeitervertretungsrecht, verfasst von Frey, Hans-Günther und Schmitz-Elsen, Josef, heute: Freiburger Kommentar MAVO, Lambertus-Verlag.