Nur mit Schulterschluss der Akteure
Nach der Absage eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrages in der Pflege durch die Arbeitsrechtliche Kommission (AK) der Caritas stellen sich nun viele Fragen. Wie konnte es zu dieser Entscheidung kommen? Wie wird der Dritte Weg nun innerkirchlich und von außen wahrgenommen und bewertet? Werden Abläufe innerhalb der AK und der Entscheidungsfindung verändert? Welches Zutrauen haben Bischöfe und Caritas für künftige Entscheidungen in die hergebrachten Strukturen? Und nicht zuletzt: Was trägt die katholische Welt zur Verbesserung für alle Beschäftigten in der Pflege bei? Unbestritten ist der Caritas und der katholischen Kirche durch diese Entscheidung ein politischer Schaden entstanden. Der Caritas allein wird die Schuld für das Scheitern der Verhandlungen um einen Tarifvertrag gegeben.
Die Arbeitsrechtliche Kommission hat (sicher ohne das zu wollen) unter dem Beifall der privaten Anbieter mit ihrem Verbandschef Rainer Brüderle eine fatale Botschaft gesendet. Sie lautet: "Wir sind mit uns selbst beschäftigt und der Rest kommt erst danach." Diese Aussage ist deshalb so verheerend, weil sie zu den Vorwürfen passt, die sowieso schon gegen die katholische Kirche und ihre Institutionen erhoben werden. Ob diese zutreffen oder nicht, ist dabei erst einmal nachrangig. Der politische Flurschaden ist da.
Es wird deshalb viel Aufwand nötig sein und es bedarf vieler Gespräche mit den politischen und gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren auf allen Ebenen, um diesen Schaden wieder zu heilen. Noch größer wird der Aufwand sein, um den Beschäftigten in der Pflege und allen, die das Thema betrifft, das Vertrauen in die Caritas als sozialpolitisch engagierte und vertrauenswürdige Akteurin zurückzugeben.
Es braucht die Diskussion
Die Arbeitsrechtliche Kommission wollte mit ihrem Votum auch den Dritten Weg schützen, also die einvernehmliche Gestaltung der Arbeitsvertragsrichtlinien in einer Dienstgemeinschaft. Es muss die Frage gestellt werden, ob dies gelungen ist. Wenn der Schutz des Dritten Weges dazu führt, dass Beschäftigte nichtkirchlicher Träger im Ergebnis benachteiligt werden, ist das sicher nicht im Sinne der Verfasser. Gewollt war die Stärkung der Dienstgemeinschaft -, aber nicht auf Kosten aller anderen. Statt das zu beherzigen, wurde und wird über die Frage diskutiert, ob die Pflegemindestlohnkommission für die Beschäftigten ähnliche Ergebnisse erzielen kann, wie sie der nun gescheiterte allgemeinverbindliche Tarifvertrag festgelegt hatte. Für eine Schadensbegrenzung ist aber nun erforderlich, sich nicht länger hinter der eigenen Rechtfertigung zu verbarrikadieren, sondern aus der aktuellen Problematik eine Diskussion erwachsen zu lassen.
Grundsätzlich müssen sich die katholische wie die evangelische Kirche die Frage stellen, ob ihnen mittel- und langfristig damit gedient ist, das grundgesetzlich zugesicherte Selbstbestimmungsrecht in erster Linie beim Arbeitsrecht und im Datenschutz zu beschränken und zu verteidigen. Während auf der anderen Seite zum Beispiel beim Kirchenasyl oder der Seenotrettung von Migrantinnen und Migranten im Mittelmeer bisher keine inhaltlichen Schwerpunkte gesetzt wurden. Wenn mit Blick auf schwindende Mitgliedszahlen die Frage gestellt wird, ob die Finanzierung durch Kirchensteuern noch Zukunft hat, sollte eine Diskussion darüber möglich sein, wo und mit welchen Inhalten die Kirchen Schwerpunkte setzen und wo sie für ihr Selbstbestimmungsrecht einstehen.
Klare Option für die Notleidenden
Ein Ansatz könnte dabei ein entschiedeneres Auftreten für notleiden[1]de Menschen sein und damit die Abgrenzung zu staatlichen Rahmensetzungen, wo diese am christlichen Wertekanon kratzen. Eine weitere Frage, die in der aktuellen Situation deutlich wurde, ist die, ob die Arbeitsrechtliche Kommission es vermag, verschiedene Interessen in Einklang zu bringen. Gelingt es der AK noch, die Interessen der großen Träger und caritativen "Sozialkonzerne" mit denen der sozialanwaltschaftlichen Caritas und ihren Beratungsdiensten in Einklang zu bringen? Letztere prägen nach außen das Bild der "armen" Caritas und bilden den Kern der spitzenverbandlichen Aufgaben und des Auftrags der Caritas. Erstere wiederum geben in der AK den Takt vor. Wenn Entscheidungen anstehen, die sich so nachhaltig auf die spitzenverbandliche Vertretung auswirken, wie dies aktuell der Fall ist, sollten dann künftig diese Entscheidungen in einem so inkongruenten Rahmen gefasst werden?
Ein Weiter-so ist für den Norden nicht möglich
Ganz praktisch ist demgegenüber die Frage, welche Auswirkungen die Entscheidung auf die caritative Pflegelandschaft in Deutschland hat. Im Süden und Westen Deutschlands haben die Träger der Caritas einen marktbeherrschenden Anteil bei Pflegeanbietern und Krankenhäusern. Das sieht in anderen Teilen Deutschlands jedoch ganz anders aus. Dort setzen private Anbieter die Standards, oft weit unter dem Lohnniveau der Caritas. Pflegesätze zwischen Privatanbietern und den katholischen Häusern liegen weit auseinander, Refinanzierungen können bei Kostenträgern mit Hin[1]weis auf das große Delta zwischen den Angeboten nicht durchgesetzt werden.
Unter diesen Bedingungen stellt sich für uns im Caritasverband für die Diözese Hildesheim durchaus die Frage, ob und wie wir mit unseren Tarifen im Dritten Weg noch wettbewerbsfähig bleiben können. Wir hätten uns sehr gewünscht, dass man die Chance nutzt, dieses Delta zu verkleinern. Die Anliegen der kleinen Träger haben bei der getroffenen Entscheidung leider wenig Berücksichtigung gefunden. Ein "Weiter-so" ist aber für viele Träger im Norden nicht möglich.
Die Caritas im Bistum Hildesheim hat leidvolle Erfahrungen gemacht - gerade im Bereich der stationären und ambulanten Pflege. Von 25 Pflegeeinrichtungen im Jahr 2000 sind gerade einmal noch sechs Pflegeinrichtungen am Markt. Schiedsstellenverfahren sind für Caritas-Einrichtungen erfolglos geblieben. Lange Rechtsstreitigkeiten können sich kleinere Träger aus Liquiditätsgründen in der Regel nicht leisten.
Gerade kleine Träger benötigen die Solidargemeinschaft
Auch die Situation, dass durch hochpreisige Pflegeeinrichtungen der Anteil an Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern steigt, muss reflektiert werden. Und da wären ja noch die Anzahl der Pflegekräfte pro Einrichtung: In Niedersachsen gibt es den sogenannten "Best-Schlüssel": das Maximum an Pflegekräften gemäß Rahmenvertrag. Kaum eine Caritas-Einrichtung in Niedersachsen nutzt diesen Maximalschlüssel. Dennoch fordern die Spitzenverbände mehr Personal für die Pflegeeinrichtungen.
Um wieder die eigene Mitte zu finden und auch deutlich zu machen, dass die Caritas trotz allem den Auftrag annimmt und für bessere Bedingungen für alle Pflegebedürftigen und Pflegenden eintritt, bedarf es nun eines entschlossenen und entschiedenen Vorgehens. Zielsetzungen, die teils in der Politik auch schon identifiziert wurden, müssen mit allem Nachdruck eingefordert werden (S. a. Kommentar S. 5).
Dazu gehört:
◆ Die Zulassung von Pflegediensten und Einrichtungen muss an die Tarifgebundenheit geknüpft und das muss auch verifiziert werden.
◆ Der Eigenanteil der Pflegebedürftigen muss begrenzt werden, und zwar nicht in einem Stufensystem, sondern mit einem festen Deckel.
◆ Die Vergütung von Pflegefachkräften in der ambulanten, stationären Altenhilfe und im Krankenhaus muss gleichgestellt werden.
Schafft es die Caritas, ihr ganzes Gewicht, ihre Netzwerke und ihre Verbündeten zur Durchsetzung dieser Forderungen einzubringen, besteht Aussicht, dass sich Selbstbild, eigener Anspruch und Außenwahrnehmung in der Zukunft wieder decken. Dafür ist der Schulterschluss mit anderen Akteuren in Wohlfahrt und Politik notwendig und dabei sind die Akteurinnen und Akteure auf allen Ebenen gefordert.
Für den Dritten Weg bleibt festzustellen, dass er für die meisten Träger in der Caritas immer noch zu ihrem Selbstverständnis gehört. Doch die aktuelle Entschei[1]dung um den allgemeinverbindlichen Tarifvertrag trägt sicherlich dazu bei, dass einige auch bereit sind, über neue Wege nachdenken.
Pflegereform unter Druck
Wer macht eigentlich die Pflegelöhne?
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