Wer macht eigentlich die Pflegelöhne?
Die Altenpflegerinnen und Altenpfleger sind am Ende ihrer Kräfte. Sie fühlen sich zwischen Zeitdruck, Kostendruck und den Anforderungen der Pflege zerrieben. Seit der politischen Entscheidung in den 90er-Jahren, in diesem Bereich den ökonomischen Wettbewerb zuzulassen, hat sich vielerorts die Arbeitssituation der Pflegekräfte verschlechtert - insbesondere für die bei privaten Anbietern Beschäftigten. Wie kann es Verbesserungen in der Branche geben? Braucht es einen Schulterschluss zwischen allen Beteiligten? Aktuell ist dieser an der Frage eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags gescheitert.
Bereits 2008/2009 hat sich die Bundesregierung vorgenommen, die schlechte Bezahlung zu ändern und einen Mindestlohn in der Pflege zu erarbeiten. Klar war, dass auch die beiden kirchlichen Wohlfahrtsverbände mit ihrem Marktanteil von 30 Prozent und die Kirchen eingebunden sein müssen mit ihrem "Dritten Weg" und dem verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht. Schon damals konnten auf Grundlage des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes in bestimmten Branchen Mindeststandards für Arbeitsbedingungen festgelegt werden.
Start der Pflegekommission
In dieses Arbeitnehmer-Entsendegesetz hat das Bundesarbeitsministerium 2009 als neues Gremium die Pflegekommission eingeführt. Die Vertreter der paritätisch besetzten Arbeitsrechtlichen Kommissionen von Diakonie und Caritas waren von Beginn an dabei.
Der 2010 daraus folgende gesetzliche Pflege-Mindestlohn brachte eine erste Verbesserung. Für viele Pflegende, die nach unteren Vergütungsgruppen bezahlt wurden, konnten damit leichte Gehaltssteigerungen erreicht werden, die im Laufe der folgenden Jahre in kleinen Schritten erhöht wurden. Aber der Pflege-Mindestlohn galt vielen im Pflegebereich Beteiligten wie der Gewerkschaft Verdi als zu niedrig.1 Vertreter der Wissenschaft wollten eine gesellschaftliche Diskussion anstoßen, welche finanziellen Beträge Altenpflegeeinrichtungen brauchen, um eine qualitativ hochwertige Betreuung und Pflege gewährleisten zu können.2
Im Jahr 2020 haben die Vorschläge der 4. Pflegekommission, die das Bundesarbeitsministerium für allgemeinverbindlich erklärt hat, eine deutlich positive Entwicklung zu einem Branchenmindestlohn genommen. Das Mindestentgelt beträgt für Pflegefachkräfte ab 1. Juli 2021 15,00 Euro brutto je Stunde. Für Pflegekräfte mit einer mindestens einjährigen Ausbildung beträgt das Mindestentgelt ab 1. April 2021 (Region Ost ab 1. September 2021) 12,50 Euro brutto je Stunde. Für ungelernte Pflegekräfte beträgt das Mindestentgelt ab 1. April 2021 11,80 Euro (Region Ost 11, 50 Euro) und ab 1. September 2021 12,00 Euro, jeweils brutto je Stunde.
Pflegereform: Tarifniveaus müssen anerkannt werden
Im Jahr 2017 sollte mit einer Pflegereform eine weitere Tür für bessere Pflegelöhne aufgestoßen werden: Ab sofort konnten auch nicht tarifgebundene Einrichtungen in den Pflegesatzverhandlungen mit den Kostenträgern ihre Löhne bis zur Höhe des Tarifniveaus durchsetzen. Pflegekassen und Sozialhilfeträger mussten diese seither grundsätzlich als wirtschaftlich anerkennen und entsprechend finanzieren. Die Zahlung tariflicher und kirchenarbeitsrechtlicher Entlohnung muss in Vergütungsverhandlungen nun vollumfänglich berücksichtigt werden.3
Wahlkampfthema Pflege
Wirkliche Aufmerksamkeit für die Situation in der Pflege brachte aber erst Alexander Jorde, der 2017 Altenpflegeschüler war: Er konfrontierte Kanzlerin Angela Merkel vor der Bundestagswahl in der ARD-Wahlarena mit seinem Arbeitsalltag. Wegen überlasteter Pflegekräfte müssten Menschen, die das Land mit aufgebaut hätten, stundenlang in ihren Ausscheidungen liegen, lautete seine Aussage und ließ die Menschen bundesweit aufhorchen. Die Kanzlerin versprach im Falle ihres Wahlsieges Abhilfe.⁴
Bündnis für fairen Wettbewerb in der Pflege
Die Pflege-Misere muss aufgelöst werden. Daher schlug das "Bündnis für fairen Wettbewerb in der Pflege"- bestehend aus den Mitgliedern der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) und der Gewerkschaft Verdi - am 26. Januar 2018 den Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU und SPD im Deutschen Bundestag sowie den Verhandlungsführern der AG Gesundheit und Pflege vor, für einen fairen Wettbewerb in der Pflege die angemessene Vergütung und deren Refinanzierung auch durch verbindliche staatliche Regelungen sicherzustellen.⁵
Ökumenischer AK sucht eine kirchliche Position
Das Katholische Büro in Berlin und der Bevollmächtigte der Evangelischen Kirche luden ab Mai 2018 Vertreter(innen) von evangelischer Kirche, katholischer Kirche, Caritas und Diakonie sowie deren Arbeitsrechtlichen Kommissionen ein, um im Prozess zu einem allgemeinverbindlichen Tarif die kirchliche Position zu koordinieren. Der "Dritte Weg" und seine Ergebnisse hatten sich bis dato als relativ marktrobust erwiesen. Caritas und Diakonie bezahlen bei hoher Tarifbindung gute Gehälter - und wollten dies auch weiterhin tun (s. Tabelle unten).
Konzertierte Aktion Pflege - Bundesregierung plant großen Wurf
Anfang Februar 2018 vereinbart die Große Koalition aus CDU, CSU und SPD nach langen Verhandlungen für die anstehende Legislaturperiode folgende Vereinbarung für die Altenpflege: "Wir wollen in einer ,Konzertierten Aktion Pflege‘ eine bedarfsgerechte Weiterentwicklung der Situation der Altenpflege erreichen. (…) Wir wollen die Bezahlung in der Altenhilfe nach Tarif stärken. Gemeinsam mit den Tarifpartnern wollen wir dafür sorgen, dass Tarifverträge in der Altenhilfe flächendeckend zur Anwendung kommen. Wir wollen angemessene Löhne und gute Arbeitsbedingungen in der Altenpflege. Dafür schaffen wir die gesetzlichen Voraussetzungen." (Koalitionsvertrag, 19. Legislaturperiode, 12. März 2018, S. 96.)
Für Verbesserungen braucht es ein Gesamtpaket
Im Sommer 2019 startet die Bundesregierung mit der Konzertierten Aktion Pflege (KAP): die Pflegebedingungen und das Ansehen des Pflegeberufs in Deutschland sollten sich verbessern. Dafür hat das koordinierende Bundesgesundheitsministerium unter Beteiligung des Bundesfamilien- und des Bundesarbeitsministeriums viele Kräfte gebündelt: Über 50 in der Gesellschaft relevante Akteure der Pflege waren neben Bund und Ländern an der KAP beteiligt. Ziel war: mehr Ausbildung, mehr Personal, mehr Geld, um den Arbeitsalltag und die Arbeitsbedingungen von Pflegekräften spürbar zu verbessern, die Pflegekräfte zu entlasten und die Pflegeausbildung zu stärken. Am 20. November 2020 werden die Ergebnisse der fünf Arbeitsgruppen für folgende Themen vorgestellt:
AG 1: Ausbildung und Qualifizierung, AG 2: Personalmanagement, Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung, AG 3: Innovative Versorgungsansätze und Digitalisierung, AG 4: Pflegekräfte aus dem Ausland - Maßnahmen zur Gewinnung von Pflegefachpersonen aus dem Ausland, AG 5: Entlohnungsbedingungen in der Pflege.
Vorstoß von Verdi und BAVP
Der staatliche Gesetzgeber hat über § 7 a Arbeitnehmerentsendegesetz die Möglichkeit geschaffen, dass im Bereich der Altenpflege Tarifverträge des weltlichen Bereichs für allgemein verbindlich erklärt werden können. Voraussetzung dafür ist, dass die AKs der Kirchen zuvor angehört werden und dem Antrag auf für allgemein verbindlich zu erklärenden Regelungen ausdrücklich zustimmen.
Die Gewerkschaft Verdi forderte nun, einen Tarifvertrag auf Basis des sogenannten Entsendegesetzes für alle Pflegeunternehmen vorzuschreiben. Gerade private Firmen der Branche lehnen bislang ab, mit Beschäftigtenvertretungen und Gewerkschaften über die Bezahlung zu verhandeln. Für drei Viertel der Einrichtungen gibt es keine entsprechenden Vereinbarungen. In den gemeinnützigen, kirchlichen und öffentlichen Häusern sieht es anders aus. Dort entlohnen rund 90 Prozent nach einem Haus- oder Verbandstarif.
Ab Mai 2020 hat Verdi mit der Bundesvereinigung Arbeitgeber in der Pflegebranche BAVP einen Tarifvertrag nach dem § 7 a Entsendegesetz mit der Absicht diesen nach Anhörung und Zustimmung in den AKs von Caritas und Diakonie für allgemeinverbindlich erklären zu lassen. Dieses Vorhaben ist zunächst gescheitert am Veto der Caritas-Dienstgeberseite, worauf die Diakonie sich gar nicht erst damit beschäftigte.
Weiterentwicklung der Pflegeversicherung - aussichtsreicher Weg?
Von Beginn der Diskussion an betonten alle tarifpolitischen Akteure in diesem Feld, dass die dringend nötige Vergütungserhöhung für die Pflegekräfte keinesfalls zulasten der Pflegebedürftigen und deren Angehörigen gehen oder sie gar in die Sozialhilfe treiben dürfe. Und es dürfe keine Pflege ohne Tarif geben. Nur Anbieter, die nach Tarif vergüten, sollten eine Zulassung bekommen. Die Deckelung der Leistungen der Pflegeversicherung müsse auf- oder zumindest angehoben werden. Hier ist nun das Bundesgesundheitsministerium mit seinem Entwurf zu einer Pflegereform am Zug.
Aber auch das Bundesarbeitsministerium ist gefordert. Die Caritas begrüßt daher die Ankündigung von Bundesarbeitsminister Heil, die Pflegekommission zeitnah zum fünften Mal einzuberufen, um den Branchenmindestlohn erneut zu erhöhen.
Ausblick
In der Pflegebranche herrscht Uneinigkeit über den einen richtigen Weg zu höheren Löhnen. Allen Akteuren muss klar sein, dass es für Pflegende zusätzlich gute Arbeitsbedingungen, Absicherung vor Altersarmut und eine gute Ausbildung braucht. Es braucht ein sozialpolitisches Gesamtpaket (s. dazu den Kommentar S. 5 im Heft). Nur so kann es gelingen, in Zukunft mehr Menschen für den Pflegeberuf zu begeistern.
Anmerkungen
1. Bühler, S.: Caritas und Verdi können gemeinsam viel erreichen. In: neue caritas Heft 1/2014, S. 16-18.
2. Sell, S.: Das Kreuz mit dem gerechten Lohn in der Pflege. In: neue caritas Heft 17/2009, S. 14-17.
3. www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/meldungen/2016/neuregelungen-2017.html
4. ARD-Video: Wahlarena - mit Angela Merkel, 11.9.2017, Web 15.3.2021, 21.15 Uhr, www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/bundestagswahl-2017/videos/wahlarena-mit-angela-merkel-folge-1-video-104.html
5. www.der-paritaetische.de/fachinfo/gesundheit-teilhabe-und-pflege/schreiben-des-buendnisses-fairer-wettbewerb-in-der-pflege-zu-den-koalitionsverhandlungen
Pflegereform unter Druck
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