Transparenz lohnt sich
In Mecklenburg-Vorpommern ist die freie Wohlfahrtspflege in den letzten Jahren deutlich in die Kritik geraten. Auslöser waren zum einen mehrere regionale Finanzskandale in Kreisverbänden der Arbeiterwohlfahrt und des Deutschen Roten Kreuzes. Zum anderen wurde von verschiedenen Seiten dem Sozialministerium und der Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Mecklenburg-Vorpommern Intransparenz bei der Spitzenverbandsfinanzierung vorgeworfen.
Es gab Kritik des Landesrechnungshofes an der damaligen Gestaltung der Spitzenverbandsfinanzierung. Die Presse reagierte darauf mit andauernder, massiv kritischer Berichterstattung.
Insbesondere auf Initiative der AfD wurde ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss (PUA) im Landtag Mecklenburg-Vorpommern eingerichtet. Aufgabe des Ausschusses ist es, die Förderstruktur, das Förderverfahren und die Zuwendungspraxis für Zuschüsse aus Landesmitteln sowie die Verwendung dieser Landesmittel durch die Liga im Zeitraum von 2010 bis Ende 2016 zu klären.
Alle Wohlfahrtsverbände in der Liga (bis auf die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, ZWS) wurden mit ihren Geschäftsführungen und Aufsichtsratsvorsitzenden vor den PUA geladen und befragt.
Besonders im Fokus stand der Liga-Verteilungsschlüssel. Lange wurde von verschiedenen Seiten behauptet, es handele sich dabei um ein Mysterium. Auch die Liga trug über viele Jahre wenig zur Erläuterung des Schlüssels bei. Erst die offensive Kommunikationspolitik der Caritas brachte die Wende. In zwei ihrer Pressekonferenzen wurden die Zusammenhänge detailliert erläutert.
Als Zeitzeuge hat Burghardt Siperko, ehemaliger Regionalleiter der Caritas in Vorpommern, viel zur Erläuterung beitragen. Siperko ist gemeinsam mit Alfons Neumann, Caritasdirektor in Mecklenburg, einer der Mitbegründer der Strukturen der freien Wohlfahrtspflege in Mecklenburg-Vorpommern. Er erklärte bei der Pressekonferenz, dass der damalige Liga-Verteilungsschlüssel historisch gewachsen sei. Nach der Wende wurde das Land Mecklenburg-Vorpommern in seiner sozialstaatlichen Entwicklung sehr vom Land Schleswig-Holstein unterstützt. Die Systematik der damaligen Spitzenverbandsfinanzierung aus Schleswig-Holstein wurde zum Vorbild für Mecklenburg-Vorpommern. Sie orientierte sich stark an den Zahlen der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) und einer Grundfinanzierung für alle Verbände, um die aufgebauten Strukturen zu verstetigen. Das System wurde über die Jahre fortgeführt und zur geübten Praxis für Sozialministerium und Liga. Es gab aber immer ein Verfahren zur Beantragung der Mittel und für den Verwendungsnachweis durch jeden Verband. Vor einigen Jahren hat das Ministerium eine Förderrichtlinie eingeführt.
Wohlfahrtsgesetz endlich in Kraft
Die Liga forderte seit mehreren Jahren ein Wohlfahrtsgesetz, das aber auf sich warten ließ. Schließlich hat das Sozialministerium den Prozess zur Schaffung eines Wohlfahrtsfinanzierungs- und -transparenzgesetzes gestartet. Das Gesetzgebungsverfahren lief im Jahr 2019, und im Herbst wurde das Gesetz verabschiedet. Es ist zum 1. Januar 2020 in Kraft getreten. Es besteht aus einem ersten Teil zur Transparenz und Finanzierung der Spitzenverbände. In einem weiteren Teil wird die Finanzierung der sozialen Beratungsfelder festgelegt, die im Regelungsbereich des Gesetzes liegen.
Im Gesetzgebungsprozess hat die Liga ihre Positionen eingebracht, die aber nicht alle aufgegriffen wurden. Im Zuge der Transparenzdebatte zeigte sich, dass es in den verschiedenen Wohlfahrtsverbänden unterschiedliche Kulturen und Standards beim Thema Transparenz gab.
Eine besondere Herausforderung bestand darin, dass einige Wohlfahrtsverbände auf Landesebene kaum regulatorischen und normativen Einfluss auf ihre regionalen Verbandstrukturen haben und diese ein starkes Eigenleben führen. Auch in der Liga gab es intensive Debatten, ob die externe Kritik berechtigt sei und inwieweit Veränderungsbedarf bestehe. Die Caritas plädierte für eine selbstkritische und offene Haltung und schlug vor, dass sich alle Verbände der Initiative Transparente Zivilgesellschaft (ITZ) anschließen. Diese Initiative wurde vom Sozialministerium aufgegriffen. Inzwischen haben sich alle Wohlfahrtsverbände auf Landesebene der ITZ angeschlossen, soweit dies noch nicht geschehen war.
Transparenz ein großes Anliegen
Für die Caritasverbände (Erzbistum Berlin für Vorpommern und Erzbistum Hamburg für Mecklenburg) ist Transparenz ein elementares Anliegen. So veröffentlicht der Caritasverband für das Erzbistum Berlin seit vielen Jahren seinen Jahresabschluss, den Lagebericht nach HGB-Standard (Handelsgesetzbuch), den Geschäftsbericht und die Vorstands- beziehungsweise Geschäftsführergehälter. Auch eine Prüfung nach dem Haushaltsgrundsätzegesetz wird alle drei Jahre gemacht und die Finanzanlagenrichtlinien sind im Internet zugänglich. Der Caritasverband für das Erzbistum Hamburg geht nach seiner Fusion ebenso entsprechende Transparenzschritte. Die Transparenzinitiative der Caritas war ein wichtiger Schritt zur sachlichen Erläuterung der Spitzenverbandsfinanzierung und wurde auch entsprechend von den Caritasvertreter(inne)n bei ihrer Anhörung im PUA ausgeführt.
In der Krisensituation der Wohlfahrtspflege in Mecklenburg-Vorpommern zeigte sich, dass Transparenzstandards sowie gesetzliche beziehungsweise vertragliche Regelungen mit dem Land eine der wichtigsten Voraussetzungen sind, um die Plausibilität der Finanzierung der freien Wohlfahrtspflege für Öffentlichkeit, Medien und Politik zu gewährleisten. Dabei kommt dem Land eine Schlüsselrolle zu. Denn die Ligaverbände können diese Prozesse nicht allein einleiten. Beide Seiten sind gefordert, entsprechende Regelungen zu schaffen und sie regelmäßig zu überprüfen.
Mit dem Wohlfahrtsfinanzierungs- und -transparenzgesetz verfügt das Land Mecklenburg-Vorpommern nun über eine transparente Form der gesetzlichen Rahmengestaltung für die Spitzenverbandsfinanzierung. Bei allen negativen Effekten hat der Prozess der letzten Jahre dazu geführt, dass die Bedeutung der Arbeit der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege eine entsprechende formale Anerkennung gefunden hat beziehungsweise diese bestätigt wurde und zumindest die Spitzenverbandsfinanzierung sichergestellt ist. Es gibt klare Regelungen zu den Transparenzpflichten sowohl aufseiten des Landes als auch der Verbände.
Keine Vermischung von Geschäftsführung und Aufsicht
Parallel dazu sind die Wohlfahrtsverbände, die über regionale Verbandsstrukturen verfügen, aufgefordert, hier Mechanismen zu schaffen, wie Transparenz, Aufsicht und Kontrolle garantiert werden können. In der Praxis zeigt sich, dass hier besondere Problematiken entstehen, wenn durch alte Satzungsstrukturen Geschäftsführungs- und Aufsichtsfunktionen vermischt sind und entsprechende Compliance-Regeln fehlen. Deshalb ist es sehr zu begrüßen, wenn innerhalb der Caritas auf allen Verbandsebenen und allen Gliederungen und Mitgliedern solche Satzungsreformen durchgeführt werden und die Arbeitshilfe 182 der Deutschen Bischofskonferenz sowie der Caritas-Diakonie-Transparenzstandard konsequent umgesetzt werden. Die Veröffentlichung der Geschäftsführungs- und Vorstandsgehälter muss Teil dieser Prozesse sein, da sie Transparenz nach innen und außen schafft. In allen Bundesländern sollten eindeutige vertragliche beziehungsweise gesetzliche Regelungen zur Spitzenverbandsfinanzierung geschaffen werden, soweit sie noch nicht bestehen. Auch für kleine Vereine oder ehrenamtliche Strukturen ist der Standard der ITZ umsetzbar und dringend empfehlenswert.
In der Transparenzdebatte in Mecklenburg-Vorpommern ist aber auch eine Haltungsfrage zu beobachten. Hoch problematisch ist ein Generalverdacht, der von verschiedenen Seiten gegen die freie Wohlfahrtspflege geschürt wurde. Genauso schwierig ist aber auch, wenn sich einzelne Vertreter(innen) oder Gremienmitglieder von Wohlfahrtsverbänden auf Regional oder Landesebene immer noch als Opfer betrachten. Sicherlich hat die Debatte in Mecklenburg-Vorpommern Schärfen gehabt und wird auch politisch genutzt. Auf der anderen Seite muss ein transparenter und offener Umgang mit der Öffentlichkeit und den Medien mit entsprechenden Transparenzstandards ein unverzichtbares Prinzip in der freien Wohlfahrtspflege sein. Die beiden Caritas-Pressegespräche und auch weitere kommunikative Maßnahmen haben gezeigt, dass so die Nachvollziehbarkeit wächst und die Arbeit der freien Wohlfahrtspflege als wichtiges Konstruktionsprinzip des Sozialstaates verständlicher wird.
Ausschuss prüft noch bis 2021
Die Arbeit des PUA wird noch bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahr 2021 weitergehen. Die Ergebnisse sind mit Spannung zu erwarten. Ein wichtiger Baustein zur Weiterentwicklung ist das neue Wohlfahrtsgesetz. Die Mitwirkung in einer Transparenzdatenbank bei Projektförderungen von über 25.000 Euro ist dabei verpflichtend. Das Land wird außerdem eine Zuwendungsdatenbank einrichten. Diese Maßnahmen sind im Land Berlin seit vielen Jahren selbstverständlich und werden auch von der Arbeits- und Sozialministerkonferenz als bundesweiter Standard angestrebt. Aus Sicht der freien Wohlfahrtspflege sind solche Regelungen nur zu begrüßen. Wichtig sind auch entsprechende Berichtspflichten des Landes und der Verbände zur Verwendung der Mittel gegenüber den Parlamenten und der Öffentlichkeit. Auch dies ist in Berlin Standard, allerdings ist oftmals das Interesse der Parlamentarier zurückhaltend, wenn die Berichte vorgestellt werden.
Angesichts der Tatsache, dass das Verständnis für Subsidiarität im Sozialstaat und die Rolle der freien Wohlfahrtspflege in Politik, Öffentlichkeit und Medien begrenzt und mancherorts ein "Neoetatismus" durch die Übernahme sozialer Dienstleistungen durch den Staat zu beobachten ist, sollte die Caritas gemeinsam mit den anderen Wohlfahrtsverbänden eine aktivere Rolle übernehmen und in der Öffentlichkeit, den Medien und gegenüber der Politik vehement für Transparenz und Subsidiarität als grundlegendes sozialstaatliches und demokratisches Prinzip eintreten.
Transparenz lohnt sich
Subsidiarität. Gemeinwohl. Postleitzahl.
Interview: Caritas-Präsident Peter Neher
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