Das partnerschaftliche Miteinander muss gestärkt werden.
So geht sächsisch." - Mit diesem Claim wirbt der Freistaat Sachsen für das Land und seine Politik. Nach den Negativschlagzeilen der letzten Jahre mag ein solcher Ausspruch irritieren. Und doch: Mit dem Selbstbewusstsein einer langen kulturellen und industriellen Tradition und mit dem Stolz auf das seit dem Mauerfall Erreichte wird gezeigt, was in diesem Land möglich ist. Hinter dem Claim steht auch der Anspruch, eigene Wege zu gehen und neue politische Akzente zu setzen. Aus Sicht der Caritas ist von besonderem Interesse, was dieser Anspruch in der Sozialpolitik bedeutet.
AfD ist größte Oppositionsfraktion
Die Landtagswahlen 2019 brachten der seit 1990 in der Regierungsverantwortung stehenden CDU erneut den höchsten Stimmenanteil. Am 20. Dezember 2019 unterzeichneten CDU, Bündnis 90/Die Grünen und SPD ihren Koalitionsvertrag "Gemeinsam für Sachsen". Die AfD stellt im Landtag die größte Oppositionsfraktion und hat in den vorangegangenen Kommunalwahlen ebenfalls hohe Ergebnisse erzielt.
Der Koalitionsvertrag enthält eine große Zahl sozialpolitischer Aussagen. Diese reichen von der frühkindlichen Bildung über die Schulsozialarbeit, die Gestaltung einer inklusiven Gesellschaft, die Verbesserung der Integration geflüchteter Menschen, die Förderung des Ehrenamtes bis hin zu einer guten Pflege und Gesundheitsversorgung. Selbst das schwierige Thema Wohnungslosenstatistik wurde aufgenommen. Der Vertrag schätzt den Beitrag der Verbände der freien Wohlfahrtspflege mit ihren Einrichtungen und Diensten als unverzichtbar für die Sozialstaatlichkeit in Sachsen ein. Insgesamt zeigt der neue Koalitionsvertrag eine realistische Sicht auf die Verschiedenartigkeit der Lebenslagen in einer modernen Gesellschaft. Die Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Sachsen begrüßte das Papier. Nun muss dafür gesorgt werden, dass vieles aus diesem Vertrag umgesetzt werden kann.
Sozialpolitik wird von Verbänden mitgestaltet
Die Voraussetzungen für eine Sozialpolitik, die die Erfahrungen und Lösungsansätze der Verbände einbezieht, sind auf Landesebene vorhanden. Bereits unter der von CDU und SPD gebildeten Vorgängerregierung gab es eine gute Entwicklung. Die Verbesserung der Betreuungsschlüssel in den Kindertageseinrichtungen, Gespräche über die auf Landesebene zu regelnden Standards in der Schwangerschafts- und der Insolvenzberatung bis hin zur Gestaltung der pflegerischen Versorgung und zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes sind dafür Beispiele. Zweimal jährlich findet ein sozialpolitischer Dialog der Sozialministerin mit der Liga der Freien Wohlfahrtspflege statt. Die Liga wirkt im Beirat der Sozialberichterstattung des Landes mit. Regelmäßige Gespräche gab es mit der Integrationsministerin und dem Kultusminister. Mit Vertreter(inne)n des Innenministeriums wurden Fragen des Ausländerrechts, der Wohnungspolitik und der Gewaltprävention besprochen. Wertvoll ist die Beteiligung in der Fachkräfteallianz des Wirtschafts- und Arbeitsministeriums. Besonders hervorzuheben ist auch der große Stellenwert, den die regelmäßigen und von allen Beteiligten gut vorbereiteten Gespräche der Liga mit den Landtagsfraktionen haben.
Also alles gut in Sachsen? Der Koalitionsvertrag zeigt eine Entwicklung auf, die die Wohlfahrtsverbände vor Herausforderungen stellt. Unter den Schwerpunktbereichen nennt der Vertrag an erster Stelle: "Starke Kommunen - starker Freistaat". Die Kommunen werden als das Rückgrat des Landes bezeichnet. Sie sollen finanzielle und gestalterische Spielräume erhalten und von Bürokratie entlastet werden.
Bereits mit dem Doppelhaushalt 2019/20 wurde ein Kommunaleigenverantwortungsgesetz beschlossen, das im weitaus stärkeren Maße als zuvor die pauschale Zuweisung von Landesmitteln an die Gemeinden für Bereiche der sozialen Daseinsvorsorge vorsieht. Die Entscheidung über den konkreten Einsatz obliegt den Kommunen. Landeseinheitliche Standards werden nicht gesetzt. Inwieweit die Kommunen die Wohlfahrtsverbände, zum Beispiel die Kreisarbeitsgemeinschaften der freien Wohlfahrtspflege, bei der Gestaltung dieser Förderprogramme einbeziehen, ist offen. Hier deuten sich Konflikte zwischen kommunaler Eigenverantwortung, Steuerungsinteresse des Staates und Mitwirkungsmöglichkeiten der freien Wohlfahrtspflege an.
Rekommunalisierung von Einrichtungen sorgt für Konflikte
Aktuelle Spannungsfelder zwischen kommunaler Gestaltung und dem Anspruch der Wohlfahrtspflege auf vergleichbare Standards sind die Umsetzung der Hilfen nach § 67 SGB XII in der Wohnungsnotfallhilfe und die Ausgestaltung der Grundsicherungsleistungen des SGB IX.
Zu den immer wieder geäußerten Befürchtungen der Wohlfahrtspflege zählt die Rekommunalisierung von Einrichtungen, die zuvor in freier Trägerschaft betrieben wurden. So kündigte 2019 ein sächsischer Landkreis dem freien Träger einer an drei Standorten betriebenen psychosozialen Kontakt- und Beratungsstelle den Versorgungsvertrag und führt seit Jahresbeginn 2020 die Beratungsstelle in eigener Trägerschaft fort. Nach einer Intervention der Kreisarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege erläuterte der Landkreis diesen Schritt mit der besseren Steuerungsmöglichkeit und dem Ausbleiben von Kostenvorteilen durch den Beitritt der freien Träger zu Tarifverträgen. Das Subsidiaritätsprinzip gelte, anders als durch das SGB VIII in der Jugendhilfe, im Bereich des Gesundheitsamtes und der psychiatrischen Versorgung nicht. Auch im Bereich der Kindertageseinrichtungen gibt es unter Hinweis auf Steuerungs- und Belegungsmöglichkeiten Bemühungen, kommunale Trägerschaften auszubauen.
Das Agieren einiger Kommunen war auch in anderen Fällen kritikwürdig. Ein Konfliktpunkt ist das Vergaberecht. So schrieb ein Landkreis 2018 das gut funktionierende System der Flüchtlingssozialarbeit neu aus, obwohl die rechtliche Notwendigkeit für ein Vergabeverfahren nicht gegeben war. Die Betreuung geflüchteter Menschen in diesem Landkreis war über mehrere Monate gefährdet, weil die bestehenden Träger das Vergabeverfahren als einen Versuch zur Absenkung fachlicher Standards bewerteten und sich an diesem Vorhaben nicht beteiligten. Konfliktpotenzial bietet auch die korrekte Anwendung des Besserstellungsverbotes. So kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen freien Trägern und Sozialverwaltung über die Refinanzierung tariflicher Eingruppierungen, obwohl die Rechtslage eindeutig erscheint.
Die Entwicklungen auf kommunaler Ebene enthalten eine gewisse Ambivalenz. Die Caritas, geprägt durch die katholische Soziallehre und ihr Subsidiaritätsprinzip, wird Gestaltungsmöglichkeiten auf örtlicher Ebene gutheißen. Zugleich besteht ein Anspruch, im Hinblick auf die betroffenen Menschen die Leistungen nach anerkannten Standards und in einer gewissen Vergleichbarkeit im Land zu gestalten. Die Gespräche der Liga auf Landesebene mit den kommunalen Spitzenverbänden leisten dazu einen Beitrag.
Zusammenarbeit oft nicht partnerschaftlich
Gestärkt werden muss vor allem das partnerschaftliche Zusammenwirken zwischen Sozialverwaltung und Wohlfahrtspflege vor Ort. Die Kreisarbeitsgemeinschaften der freien Wohlfahrtspflege sind regelmäßig im Gespräch mit Verantwortlichen der Städte und Landkreise. Oft entsteht aber der Eindruck, dass die Zusammenarbeit nicht partnerschaftlich, sondern wie ein Verhältnis von Auftraggeber und Auftragnehmer gestaltet ist. Hier sind Klärungen der Rollen von freier und öffentlicher Wohlfahrtspflege erforderlich. Auch ist die Arbeit der Verbände auf Kreisebene stärker durch ihre Trägeraufgaben als durch ihre Spitzenverbandsfunktion geprägt. Trotz der gerade innerhalb der Caritas mit ihrem seinerzeitigen FÖDKOM-Prozess1 erfolgten Zuschreibungen fehlen im Tagesgeschäft der örtlichen Caritasverbände die Ressourcen für die mit der Kommunalisierung wachsenden spitzenverbandlichen Aufgaben. Das gilt weitgehend auch für die anderen Spitzenverbände. Dass sich das Engagement lohnt, zeigt die Initiative der Verbände in Leipzig, die im Jahr 2018 durch intensive sozialpolitische Arbeit mit den Stadtratsfraktionen und in den Medien eine dringend erforderliche Fortentwicklung der Hilfeangebote in der wachsenden Metropole erreichen konnten.
Ein gutes sozialpolitisches Lobbying ist wichtig So geht sächsisch?
Die Beschreibungen zeigen Entwicklungsbedarfe, die bundesweit gültig sein dürften. Neben der sozialpolitischen Arbeit auf Landesebene braucht es im Interesse der betroffenen Menschen ein gutes sozialpolitisches Lobbying auf örtlicher Ebene. Dies geschieht in Gesprächen, die von gegenseitigem Respekt für die jeweiligen Aufgaben und Rollen geprägt sein sollen. Zugleich deuten Sozialpolitiker(innen) an, dass die eine oder andere Entscheidung schneller fällt, wenn es in der Bevölkerung einen "Resonanzraum" gibt, wenn also die Bürger(innen) sich für bestimmte soziale Anliegen einsetzen. Das stellt Anforderungen an die Öffentlichkeitsarbeit und die Kampagnenfähigkeit der Verbände, nicht zuletzt in den sozialen Medien.
Hier kommt dann aber doch eine spezifisch sächsische Komponente ins Spiel. Die Wahlergebnisse signalisieren, dass die Unterstützung bestimmter Gruppen hilfebedürftiger Menschen, hierzu zählen insbesondere die geflüchteten Menschen, diesen gesellschaftlichen Konsens nicht an allen Orten erzielt. Die Caritas vertritt aus dem biblischen Auftrag zur Nächstenliebe heraus auch die Anliegen von Menschen in Not, die nicht die breite Zustimmung erhalten. Wie sich dies in sich wandelnden Zeiten und in einem, wie die Sächsische Zeitung es nennt, "gereizten Land"2 sozialpolitisch wirksam gestalten lässt, bleibt eine Herausforderung.
Anmerkungen
1. Vgl. Deutscher Caritasverband (Hrsg.): Föderalismus und Kommunalisierung: Konsequenzen für die verbandliche Caritas. In: neue caritas Heft 11/2010, S. 28-43.
2. Alexe, T.: Kenia, eine Chance für Sachsen. In: Sächsische Zeitung vom 21./22.12.2019, S. 1
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