Endlich: der Einstieg in eine bundesweite Wohnungslosenstatistik
Sehr lange haben wir in der Caritas auf dieses Gesetz gewartet: Seit dem Zweiten Armuts- und Reichtumsbericht 2005 haben wir die Einführung einer bundesweiten Wohnungsnotfallstatistik gefordert. Viele politische Widerstände mussten zwischenzeitlich überwunden und auch Fragen beantwortet werden, ob so eine Statistik denn überhaupt machbar sei. Im Januar 2020 hat der Deutsche Bundestag nun endlich das Wohnungslosenberichterstattungsgesetz in zweiter und dritter Lesung verabschiedet, welches den Einstieg in eine jährliche bundesweite Wohnungslosenstatistik und eine zweijährliche Wohnungslosenberichterstattung vorsieht.
In einem ersten Schritt werden Daten über Personen erhoben, denen zum Stichtag 31. Januar 2022 wegen Wohnungslosigkeit Räume zu Wohnzwecken überlassen oder Übernachtungsgelegenheiten zur Verfügung gestellt worden sind. Obdach- und Wohnungslosigkeit in Deutschland werden damit freilich nicht vollständig abgebildet. Nicht erfasst werden im Moment zum Beispiel wohnungslose Menschen, die bei Verwandten, Freunden und Bekannten untergebracht sind oder auf der Straße leben.
Die Erhebung dieser Zahlen ist allerdings auch nicht ganz so einfach. Die bestehenden Landesstatistiken in Nordrhein-Westfalen und in Bayern versuchen, die von der Bundesstatistik nicht erhobenen Gruppen durch die Befragung der Beratungseinrichtungen zu erfassen. Schwierig ist auch die Erfassung von Obdachlosigkeit auf der Straße. In einigen Städten hat es hierzu Zählungen geben. Hamburg hat mit einem Fragenbogen die Straßenobdachlosen in einer Erhebungswoche gezählt. In Berlin gab es eine Nachtzählung zu einem Stichtag Ende Januar 2020. In München wurden 2007 die Streetworker befragt. Dieses unterschiedliche Vorgehen wirft methodische Fragen auf.
Eine bundesweite Erhebung wird es aber nur geben, wenn methodisch vergleichbare Zahlen zur Verfügung stehen. Der Deutsche Caritasverband (DCV) und seine Katholische Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (KAG W) setzen sich deshalb weiter dafür ein, dass alle Anstrengungen unternommen werden, damit möglichst bald eine umfassende bundesweite Erhebung erfolgen kann. Auf deren Grundlage kann dann die Berichterstattung aufsetzen. Das Gesetz sieht diesbezüglich für die dritte Berichterstattung eine Revisionsklausel vor, welche für 2026 eine Entscheidung über die Datenerweiterung verlangt.
Höhere Zielgenauigkeit der Hilfen
Klar ist: Durch eine Statistik ist noch kein Obdachloser von der Straße, keine Familie aus der Notunterbringung heraus, kein bezahlbarer Wohnraum entstanden und kein Ende der Wohnungslosigkeit in Sicht. Eine umfassende Statistik ist aber ein wichtiger Seismograph für gesellschaftliche Entwicklungen: Die geplante Statistik wird jährlich Daten bieten, die sich bis auf die Ebenen der Bezirke und Gemeinden analysieren lassen. Dadurch wird vor Ort eine integrierte Maßnahmenplanung auf guter empirischer Basis möglich. Für die abgestimmte Hilfe zwischen Bund, Ländern und Kommunen kann so zum Beispiel auf dem Gebiet der Fördermittel für den sozialen Wohnungsbau geprüft werden, wo solche Mittel besonders dringlich notwendig sind. Auf Grundlage der Daten können regional Hilfestrukturen weiterentwickelt werden. Und in Kooperation mit Wohnungsunternehmen kann bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden, der zum Beispiel auch kleinere Wohnungen umfasst, die in vielen Städten und Gemeinden Mangelware sind.
Dem DCV war es im Gesetzesverfahren wichtig, dass im Titel der neuen Bundesstatistik klar benannt wird, was erhoben wird, damit nicht der Eindruck entsteht, dass die Zahlen einen Überblick über die Wohnungs-und Obdachlosigkeit insgesamt in Deutschland geben. Im Verfahren konnte eine eindeutige Benennung erreicht werden, dass es sich hier zunächst nur um eine "Statistik untergebrachter Personen" handelt. Positiv zu bewerten ist auch, dass der Gesetzgeber die Trägerzugehörigkeit der Einrichtungen und Dienste konkret nach Verbandszugehörigkeit erfassen lässt. Auf diese Weise werden künftig bundesweit Erkenntnisse dazu vorliegen, wie sich die unterschiedliche und heterogene Organisationstruktur der Wohnungslosenhilfe vor Ort gestaltet und wie zum Beispiel auch die Angebote der Caritas in einzelnen Regionen besser weiterentwickelt werden können.
Ins Rampenlicht der Politik
Wohnungslosigkeit war in der Vergangenheit ein Thema, über das politisch wenig gesprochen wurde -getreu Bertolt Brechts Dreigroschenoper: "Denn die einen sind im Dunkeln. Und die anderen sind im Licht. Und man sieht nur die im Lichte. Die im Dunkeln sieht man nicht." Das wird sich nun ändern: Mit dem Gesetz wird auch eine Wohnungslosenberichterstattung aufgesetzt, die alle zwei Jahre hoffentlich Fortschritte bei der Bekämpfung von Wohnungslosigkeit aufzeigen kann, aber auch auf Defizite aufmerksam machen wird. Die politisch Verantwortlichen in Bund, Ländern und Kommunen sind nun aufgefordert, ab 2022 vor Ort auf dieser Grundlage die Hilfestrukturen gemeinsam mit den Einrichtungen und Diensten der freien Wohlfahrtspflege weiterzuentwickeln und auch den Wohnungsbau voranzutreiben.
Mit der Statistik und Berichterstattung verbunden sein muss eine lösungsorientierte Debatte, die der DCV und seine KAG W bereits 2016 mit einem Papier anzustoßen versucht hatten:1 Zuallererst ist es wichtig, wieder mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und hierfür den sozialen Wohnungsbau voranzutreiben. Handlungsbedarf besteht aber auch im Bereich Prävention. Wichtig ist die Reform des Sanktionsrechts im SGB II, denn die Kürzung von Leistungen kann im schlimmsten Fall zu Wohnungslosigkeit führen. Notwendig sind auch Verbesserungen bei den Kosten der Unterkunft, die Ausweitung der Schuldner- und Energieberatung, die Übernahme von Mietschulden als Beihilfe durch die Jobcenter und der Ausbau niedrigschwelliger Gesundheitsversorgungsangebote für wohnungslose Menschen. Verbessert werden muss das Schnittstellenmanagement für Jugendliche, die Hilfen aus unterschiedlichen Sozialleistungssystemen erhalten und hierbei oft durch die Maschen der Hilfesysteme fallen. Hier regelt das Gesetz zumindest eine bessere Kommunikation bei den Jugendberufsagenturen, indem allen beteiligten Leistungsträgern aus den Rechtskreisen künftig ein gemeinsam nutzbares IT-System zur Verfügung gestellt wird. Das ist eine wichtige Voraussetzung für eine bessere Abstimmung der Hilfen.
Politisch erreicht werden muss noch, dass Zwangsräumungen verhindert werden. Dafür müssen Amtsgerichte ihren gesetzlichen Pflichten besser nachkommen, bei außerordentlichen Kündigungen die örtlichen Sozialhilfeträger, kommunalen Fachstellen und örtlichen Jobcenter zielgenau zu informieren, damit Wohnungsverlust durch frühzeitige Intervention verhindert werden kann.
Leider konnte im Gesetzesverfahren nicht erreicht werden, dass auch Menschen, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind, explizit Gegenstand der Berichterstattung sein werden. Die Caritas wird sich aber weiterhin dafür einsetzen, dass auch diese Gruppe stärker in den Fokus der Berichterstattung genommen wird, denn es ist klar: Die Verhinderung des Verlusts der Wohnung ist die beste Prävention von Wohnungslosigkeit. Notwendig ist hierfür aber auch eine Änderung des Mietrechts, damit nicht eine außerordentliche Kündigung trotz erfolgter Bezahlung der Mietschulden die ordentliche Kündigung nach sich zieht, wie dies heute noch häufig der Fall ist.
Anmerkung
1. KAG W und DCV: Prävention von Wohnungslosigkeit und Verbesserung bestehender Hilfesysteme. Positionspapier, Freiburg, 2016. In: neue caritas Heft 17/2016, S. 33 f
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