Multireligiöse Teams in Kindertagesstätten sind ein Gewinn
Dass in den Einrichtungen und Diensten der verbandlichen Caritas die Teams multikulturell zusammengesetzt sind, ist nicht ungewöhnlich: Viele Mitarbeiter(innen) stammen aus anderen Ländern und Kulturen oder haben dort ihre Wurzeln. Ihre kulturellen Prägungen und ihre davon bestimmte Art und Weise, alltägliche Aufgaben und Herausforderungen anzugehen, sind immer wieder spürbar, führen manchmal zu Irritationen und Gesprächsbedarf. Die multikulturelle Zusammensetzung der Teams stellt in der Regel kein Problem für die alltägliche Arbeit und deren Organisation dar. Es sei denn, die Religion kommt ins Spiel.
Was jemand glaubt und welcher Religion er angehört, gilt hierzulande als Privatsache. Gilt das auch für die Einrichtungen und Dienste der Caritas? Bei ihren Anforderungen an die Mitarbeiter(innen) geht es in erster Linie um die Fachlichkeit, um Ich- und Sozialkompetenzen, um Teamfähigkeit und Organisationsgeschick, um ein Standing als Fachkraft und Persönlichkeit. Zu den Anforderungen gehört auch die Loyalität zum kirchlichen Arbeitgeber, der erwartet, dass seine Werte und religiöse Praxis von den Mitarbeiter(innen) bejaht und mitgetragen werden. Wenn bei manchen Glaube und Frömmigkeit dazukommen, passt das zur Corporate Identity einer katholischen Einrichtung. Aber niemand fordert Bekenntnisse und eine ausdrückliche spirituelle Praxis. Wann also wird die Religion bei der Mitarbeiterfrage innerhalb der Caritas zu einem Thema, bei dem eine intensivere Beschäftigung angesagt ist?
Religion als "Gretchenfrage"?
Die religiösen Überzeugungen und die konfessionelle Zugehörigkeit der Mitarbeiter(innen) kann in Einrichtungen und Diensten der Caritas dann zu einem Problemthema werden, wenn
- Mitarbeiter(innen) einer anderen Religion angehören als der christlichen und ihre Überzeugungen sowie Ausdrucksformen und Praktiken ihres Glaubens zu den christlichen Sichtweisen und Mentalitäten querstehen - etwa in Bezug auf das Menschenbild oder bestimmte Werte und Grundhaltungen;
- es zu Reibungen zwischen den Angehörigen verschiedener Religionen und Konfessionen kommt - etwa zwischen sunnitischen und schiitischen Muslimen;
- wenn in einer Einrichtung fast ausschließlich konfessionslose Mitarbeiter(innen) arbeiten und nur noch wenige "das Katholische" repräsentieren;
- wenn Einrichtungen und Dienste einen ausgesprochen pastoralen und religionspädagogischen Auftrag haben und dafür ein Personal benötigt wird, das diesen Auftrag in christlichem Sinn auszuführen bereit und in der Lage ist.
Die Herausforderungen, die sich aus dem Themenfeld "Religion bei der Caritas" ergeben, werden hier exemplarisch am Beispiel katholischer Kindertageseinrichtungen diskutiert. Allerdings können sowohl die Fragen als auch die skizzierten Lösungen für die Einrichtungen und Dienste der Caritas relevant sein, die ebenfalls pastorale und religionspädagogische Akzentsetzungen ihrer Arbeit vornehmen oder um die Konturierung ihres katholischen Profils bemüht sind.
Multireligiöse Teams in katholischen Kindertageseinrichtungen
Aus arbeitsrechtlicher Perspektive kann es solche Teams nicht geben. Denn katholische Kindertageseinrichtungen haben einen spezifischen pastoralen und religionspädagogischen Auftrag und gelten als Orte, an denen "missionarisch Kirche sein" gelebt werden soll.1 Erzieher(innen) werden ausdrücklich in den Stand von "Aposteln/Apostelinnen" erhoben und sollen "Zeugnis ihres Glaubens geben".2 Diesem hohen Anspruch können strenggenommen nur überzeugte und bekenntnisbereite Christinnen und Christen in den katholischen Kitas gerecht werden. Dieser Auftrag selektiert - zumindest formal - alle, die einer anderen oder keiner Religion angehören.
Doch erfolgt diese Argumentation ausschließlich aus der Perspektive der Kirche als Träger der katholischen Kitas - in welcher strukturellen Ausgestaltung auch immer - und der spezifischen Zielsetzung, die sie mit ihren Einrichtungen verfolgt.
Um möglichem polarisierendem Denken vorzubeugen, ist zunächst festzustellen, dass alle katholischen Kindertageseinrichtungen im Land zu ihrem spezifischen religionspädagogischen und pastoralen Auftrag stehen, diesen in ihren Leitbildern und Konzeptionen bekräftigt haben und ihn mit bewährten Methoden in der pädagogischen Praxis umsetzen. Doch ihre Ausgangsperspektive ist in der Reihenfolge anders hierarchisiert als in den amtskirchlichen Verlautbarungen: Sie denken und handeln konsequent aus der Perspektive der Kinder (und ihrer Familien). Und: Sie haben mit der Realisierung des religionspädagogischen Auftrags eine andere Erfahrung gemacht als die, dass nur vollidentifizierte Christen(inn)en diesen Auftrag vollziehen können.
Konsequent aus der Perspektive der Kinder und Familien gedacht
Die Welt trifft sich im Kindergarten" - der Titel dieses Buches von Pamela Oberhuemer und Monika Soltendieck trifft auf nahezu jede Kita in unserem Land zu: Die Kinder kommen aus unterschiedlichen Ländern, machen zusammen mit ihren Familien andere Kulturen und Religionen präsent. Auch wenn die christliche Religion und deren vielfältige Glaubensvollzüge im Mittelpunkt der religionspädagogischen Arbeit stehen - diese Arbeit ist stets auch interreligiös ausgerichtet. Denn die Kinder erhalten Einsichten in den Glauben der Menschen anderer Religionen und wie Muslime, Juden, Buddhisten nach ihrem Glauben leben. Sie lernen, dass es zu den Grundfragen des Lebens verschiedene oder ähnliche Antworten und Beiträge aus den unterschiedlichen Religionen gibt. Und sie erleben, wie zwischen den Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit Austauschprozesse und gemeinsame Lebensformen möglich sind. So leisten die katholischen Kindertageseinrichtungen einen Beitrag zur Vorbereitung der Kinder auf ein Leben in einer multikulturellen und -religiösen Gesellschaft.
Die interkulturelle und damit interreligiöse Ausrichtung katholischer Kindertageseinrichtungen verlangt von den pädagogischen Fachkräften entsprechende Kompetenzen, zu denen ein Basiswissen über andere Religionen und ein Vertrautsein mit den Lebensvollzügen der Menschen anderen Glaubens gehören sowie Kenntnis davon, was den Gläubigen an ihrer Religion wertvoll und heilig ist. Die Erfahrung der Fachkräfte besagt: Es ist kaum leistbar, den Religionen und ihren Gläubigen gerecht zu werden. Sie plädieren deshalb vielerorts für multireligiös zusammengesetzte Teams.
Ebenso wird aber vielerorts von den Kita-Verantwortlichen auch auf das kirchliche Arbeitsrecht verwiesen, das die Zulassung etwa von muslimischen Erzieherinnen als Hauptamtliche in die Teams katholischer Kitas nicht zulässt.
Religionen authentisch erleben
Von den Kindertageseinrichtungen, in denen andersgläubige Fachkräfte "dazugeholt" wurden, sind die Rückmeldungen durchgängig positiv: Die Kinder erfuhren über die Religion, der eine andersgläubige Fachkraft angehört, auf authentische und lebendige Weise, was die Menschen dieser Religion glauben, wie sie leben und warum sie so leben. Damit erfuhren Träger, Leitungen und Teams auf eine neue Weise, was es heißt, das in der UN-Kinderrechtskonvention verbriefte "Recht des Kindes auf Religion" zu realisieren: Denn dieses Recht zielt darauf ab, dass die Kinder nicht nur eine Religion kennenlernen und sich darin beheimaten, sondern dass sie auch mit anderen Religionen vertraut gemacht werden und erfahren, wie man trotz religiöser Vielfalt gut miteinander leben kann. Und die christlichen Kinder haben ihre eigene Religion durch den Vergleich mit den anderen und die Inbezugsetzung zu diesen intensiver kennengelernt.
Das trifft auch auf die Fachkräfte zu: Durch die Erfahrung der authentischen Art und Weise, wie beispielsweise eine muslimische Erzieherin die Kinder mit ihrer Religion vertraut macht, erhielten sie neue Impulse für das eigene authentische Zeugnisgeben.4 Sie erfuhren auf eine ganz andere als über eine durch Literatur und Materialien erfolgende Einsichtnahme, was Gläubige anderer Religionen wirklich glauben, und wie und warum sie aus diesem Glauben handeln. Und sie haben sich schließlich wieder neu mit dem eigenen Glaubensleben befasst und dieses ergründet.
Die Frage allerdings, ob diese "hinzugezogenen" Fachkräfte anderen Glaubens zum Team zählen und man tatsächlich von einem multireligiösen Team im engeren Sinn sprechen kann, die wird vor Ort unterschiedlich gehandhabt. Fest steht: Wenn Fachkräfte unterschiedlicher Religionszugehörigkeit "im Team" zusammenarbeiten, kann eine interreligiös ausgerichtete religionspädagogische Praxis für die Kinder, das Team und letztlich für den Geist des Hauses und dessen Spiritualität einen nachhaltigen Gewinn bedeuten.
Konsequenzen für multireligiöse Teams
Multireligiös zusammengesetzte Teams können eine Bereicherung für alle Akteure in den katholischen Kitas sein. Diese können Modelle für eine Ökumene nicht nur bei den religionspädagogischen Vollzügen auf der operativen Ebene sein, sondern auch auf der Fach- und der administrativen Ebene: Der Dialog der Religionen erfolgt durch diejenigen, die unterschiedlichen Religionen angehören. Dies lässt sich in den katholischen Kitas institutionalisieren, indem die Teams auch bei den Hauptamtlichen multireligiös zusammengesetzt werden. Das stellt keine Minderung des genuin christlich ausgerichteten religionspädagogischen Auftrags dar, es kann dessen Realisierung neue und attraktive Akzente geben und sie glaubwürdiger machen.
Anmerkungen
1. Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz: Zeit der Aussaat. Missionarisch Kirche sein. Die deutschen Bischöfe; 68, 2000.
2. Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz: Welt entdecken - Glauben leben. Zum Bildungs- und Erziehungsauftrag katholischer Kindertageseinrichtungen. Die deutschen Bischöfe; 89, 2008.
3. Oberhuemer, P; Soltendieck, M: Die Welt trifft sich im Kindergarten. Weinheim, 2005.
4. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz: Welt entdecken - Glauben leben, a. a.O.
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