Was tun, damit sie kommen und bleiben?
Der Fachkräftemangel ist in aller Munde, und gerade die Pflege steht vor der Herausforderung, Ausbildungsplätze bedarfsgerecht besetzen und somit eine gute und verlässliche Pflege dauerhaft sicherstellen zu können. Um dieser Herausforderung entgegenzutreten, gilt es, verschiedene Konzepte zu erarbeiten und Maßnahmen zu ergreifen. Eine hiervon ist die Anwerbung von Pflegeschüler:innen im Ausland. Doch wie kann dies ethisch vertretbar und vereinbar mit den Werten eines Wohlfahrtsverbandes der katholischen Kirche getan werden? Für den Caritasverband Mannheim war es von Beginn an essenziell, nicht in einem Land anzuwerben, das selbst mit Fachkräftemangel zu kämpfen hat. Denn die Lösung eines Problems in Deutschland darf nicht zum Problem anderswo in der Welt werden.
Im Frühsommer 2019 trat der Leiter der Mannheimer Wirtschaftsförderung mit Kontakt zu einer Sprachschule in Vietnam und der Frage nach einem Kooperationsinteresse an die Caritas in Mannheim heran. Die Schule in Da Nang, Zentralvietnam, arbeitete seit einiger Zeit sehr gut mit einem Mannheimer Unternehmen in der Anwerbung von Lokführer:innen zusammen und war daran interessiert, künftig auch Pflegekräfte nach Mannheim vermitteln zu können.
Erste Kontakte per Videocall verliefen gut, so dass entschieden wurde, sich vor Ort ein Bild zu machen und die Akteur:innen persönlich kennenzulernen. Denn neben der achtsamen Auswahl des Anwerbelandes muss für die Caritas der Fokus in besonderem Maße auch auf den Bedingungen des Anwerbeprozesses und den Beweggründen zur Auswanderung liegen. So fand nur wenige Wochen später eine fünftägige Reise nach Da Nang statt, um die Schulleitung, aber auch die Schüler:innen kennenzulernen und das Konzept zu prüfen. Darüber hinaus wurde auch ein Besuch an der Hochschule für Krankenpflege organisiert, um sich generell über die Pflegeausbildung in Vietnam zu informieren. Der Besuch in einem staatlichen Krankenhaus vermittelte einen Eindruck von der vor Ort geleisteten Pflege. Schon während des kurzen Besuchs wurde ein guter Kontakt mit der Schulleitung aufgebaut, die die Schüler:innen mit Engagement persönlich begleitet. Auch die Sprachausbildung findet auf hohem Niveau statt.
Drei Jahre Ausbildung trotz Studium
Viele der Bewerber:innen sind gut ausgebildet, haben zum Beispiel ein vierjähriges Pflegestudium mit Bachelorabschluss absolviert. Da sich das Anerkennungsverfahren in Deutschland jedoch weiterhin schwierig und langwierig gestaltet, absolvieren Schüler:innen hier trotzdem die generalistische Pflegeausbildung. Dies ist kein Muss, aber in vielerlei Hinsicht sinnvoll: Die Auszubildenden haben in diesen drei Jahren nicht nur Zeit, sich in den deutschen Strukturen einzufinden, sondern auch, ihr Deutsch zu verbessern. Darüber hinaus lernen sie die Anforderungen in der Pflege in Deutschland von Grund auf.
Generell stellen nicht kulturelle Unterschiede oder Sprachdefizite die größte Herausforderung dar, sondern bürokratische Hürden. Sich ständig ändernde Anforderungen, um Visa zu beantragen, abgelehnte FSJ-Visaanträge, mehrinstanzliche Zustimmungsverfahren, endlose Bearbeitungszeiten bei der örtlichen Ausländerbehörde - all dies und vieles mehr macht den Prozess herausfordernd, anstrengend und oft auch frustrierend. Selbstverständlich gilt es auch, kulturelle Unterschiede zu überwinden und täglich an der Sprache zu arbeiten. Doch die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Schüler:innen hochmotiviert sind, engagiert an ihren Sprachkenntnissen arbeiten und Ausbildungsinhalte büffeln. Während die ersten Tage in der Berufsschule oft als anstrengend bis "grausam" wahrgenommen werden, da die Schüler:innen kaum etwas verstehen, zeigen die Klausurergebnisse spätestens im zweiten Halbjahr, dass sie über sehr gute Sprachkenntnisse und ein fundiertes Fachwissen verfügen.
Die Abbruchquote ist gering
Seit dem Start im Frühjahr 2020 haben 28 Schüler:innen die Ausbildung beim Caritasverband Mannheim begonnen. Es gab in der gesamten Zeit bisher nur drei Abbrüche. Dies entspricht etwas über neun Prozent und liegt deutlich unter der durchschnittlichen Abbruchquote der generalistischen Pflegeausbildung (geschätzt 30 bis 40 Prozent). Acht Schülerinnen haben die Ausbildung bisher abgeschlossen, sechs davon sind nach der Ausbildung geblieben. Doch diese Erfolge sind kein Selbstläufer. Sie erfordern Begeisterung, Engagement und eine hohe Identifikation aller Beteiligten - der Projektleitung in Deutschland, der Schulleitung in Da Nang, der Lehrer:innen in der Berufsschule, der Praxisanleiter:innen, der Kolleg:innen in den Einrichtungen und natürlich der Schüler:innen selbst.
Um gut in einem fremden Land und einer fremden Kultur anzukommen, braucht es Unterstützung. Dies schafft nicht nur die Basis für eine erfolgreiche Ausbildung, sondern auch eine Bindung an den Dienstgeber. Vertrauen ist die Grundlage jeder Bindungsarbeit. Der Grundstein hierfür wird bereits im Herkunftsland gelegt. Einmal jährlich reisen Vertreter:innen aus Mannheim nach Da Nang, um dort die Caritas und die Pflegeausbildung vorzustellen, sich mit der Schulleitung auszutauschen, die neuen Schüler:innen kennenzulernen, Fragen zu beantworten und Berührungsängste abzubauen. So kommen die - meist noch sehr jungen - Schüler:innen nicht in ein völlig fremdes Setting, sondern haben zumindest eine Ansprechperson, die sie bereits kennen. Bei der Ankunft werden sie persönlich am Flughafen abgeholt und in die Ausbildungswohngemeinschaft begleitet, wo bezogene Betten, Infomappen und ein Päckchen Gummibärchen auf sie warten. Während der ersten Wochen in Deutschland erhalten die Schüler:innen einen Crashkurs "Deutschland für Einsteiger:innen". Was nach viel Aufwand klingt, lohnt sich, aber die Frage bleibt: "Bleiben sie dann auch?"