Auch im sozialen Sektor werden Chatbots ihren Platz erobern
In den letzten Jahren hat sich der Digitalbereich der Künstlichen Intelligenz (KI) in beeindruckendem Tempo entwickelt, und dieser Trend scheint sich unaufhaltsam fortzusetzen. Globale Prognosen kommen zu dem Ergebnis, dass der KI-Markt bis 2030 jährlich um 37 Prozent wachsen wird.1
In dieser sich rasant weiterentwickelnden KI-Landschaft verdienen "Chatbots" besondere Aufmerksamkeit. Sie werden zunehmend in Plattformen wie Websites, sozialen Medien und Apps integriert und haben das Potenzial, auch den Bereich der sozialen Arbeit zu verändern. Diese virtuellen Assistenten agieren eigenständig als "Gesprächspartner" und kommunizieren über Text- und Sprachnachrichten mit den Nutzer:innen. Dadurch lassen sich Kommunikationsprozesse automatisieren; rund um die Uhr können Chatbots simultane Unterstützung und Beratung für eine Vielzahl von Nutzer:innen bieten. Besonders hervorzuheben ist dabei:
◆ Chatbots sind in der Lage, eigenständig aus Interaktionen mit den Nutzer:innen zu lernen und deren individuelle Bedürfnisse zu analysieren, zu speichern und fortan effektiver zu erfüllen. Diese kontinuierliche Verbesserung der Ergebnisse trägt wesentlich zur Anpassungsfähigkeit und Effizienz der Chatbots bei.
◆ Chatbots verfügen mitunter sogar über die Fähigkeit, Emotionen und Stimmungen in schriftlichen und gesprochenen Texten zu erkennen, beispielsweise durch Sentiment-Analysen, wie es bei ChatGPT und in Verbindung mit Avataren oder Robotern der Fall ist. Auf dieser Grundlage können sie tröstende Worte wählen oder aktivierende Lösungsansätze vorschlagen - was einen starken Schritt in Richtung einer scheinbar empathischen Interaktion zwischen Mensch und Maschine darstellt.
Es gibt schon wegweisende Praxisbeispiele
Im Gesundheitssektor schon weit verbreitet sind Plattformen wie "DoctoLib", die die Buchung und Verwaltung von Arztterminen vereinfachen und bei den Patient:innen auf hohe Akzeptanz und Zufriedenheit stoßen, oder der Chatbot "Ada", der bei der korrekten Einordnung körperlicher Symptome unterstützt.
Im Gegensatz dazu verläuft die Implementierung digitaler Anwendungsmöglichkeiten im sozialen Sektor eher langsam. Obwohl es eine deutliche Zunahme der Investitionen im Bereich der Informationstechnologie (IT) gibt, werden KI-Technologien wie Chatbots nur zögerlich umgesetzt. Die finanziellen Ressourcen konzentrieren sich primär auf den Erwerb von Hard- und Software und auf die Verbesserung der Netzwerkinfrastruktur, was sich in erhöhten Betriebskosten und Investitionen in mobile Endgeräte niederschlägt.2
Dennoch sind auch im Sozialsektor bereits erste erfolgreiche Praxisbeispiele zu verzeichnen, die als "Best Practices" dienen können:
◆ Im Jahr 2023 gab es erste Schritte im Bereich "KI-gestützte Assistenz für einfache Sprache (KI-ES)", beauftragt vom Bundesverband Caritas Kinder- und Jugendhilfe. Auch die Arbeitsagentur hat einen Chatbot für Leichte Sprache eingeführt.3 Hier besteht ein erhebliches Potenzial für ganz andere Anliegen: zum Beispiel, um Interessierten grundlegende Inhalte des christlichen oder eines anderen Glaubens zu erläutern.
◆ Die Personalgewinnung lässt sich, wie beispielsweise bei den DRK-Kliniken Berlin, mit Hilfe von Chatbots unterstützen.⁴ Angesichts des aktuellen Fachkräftemangels könnte ein vergleichbarer Einsatz auch in anderen Bereichen der sozialen Arbeit sinnvoll sein, beispielsweise in Kindertagesstätten oder der Altenhilfe. Die Erfahrungen aus der Privatwirtschaft zeigen hier beträchtliche Chancen auf.
◆ Die Chatbot-App iCAN (intelligente, Chatbot-assistierte ambulante Nachsorge) dient als Hilfsangebot für junge Menschen mit Depressionen, um sie bei der Wiedereingliederung in den Alltag zu unterstützen⁵ - ein Vorzeigebeispiel.
◆ Im Fundraising bieten Chatbots Unterstützung beispielsweise bei der Erstellung von Drehbüchern oder der Endversion von Videos, wie es erfolgreich bei der Welthungerhilfe umgesetzt wird.⁶ Insbesondere zur Optimierung von Drehbüchern ist KI hervorragend geeignet und kann als Informations-Bot für potenzielle Spender:innen dienen.
◆ Spezielle Brillen, ausgestattet mit KI-Technologien (Augmented Reality - Erweiterte Realität), analysieren für autistische Kinder Gesichtsausdrücke und zeigen Emotionen wie Freude, Traurigkeit oder Wut an. Dies hilft den Kindern, sich in sozialen Situationen sicherer zu fühlen.⁷ Diese innovative Technologie trägt wesentlich zur Entwicklung ihrer sozialen Kompetenz und zur Steigerung ihrer Lebensqualität bei.
Euphorie, Ernüchterung - und dann die eigentliche Wirkung
Während also hohe Erwartungen am Anfang des Weges stehen, bleibt die Entwicklung von Vorsicht und manchmal auch Enttäuschung geprägt. Doch erste Erfolgsgeschichten zeigen das Potenzial auf. Beobachtungen und Konzepten wie zum Beispiel dem "Gartner-Hype-Zyklus"8 oder dem "Amara-Gesetz" zufolge durchlaufen Innovationen häufig eine Phase der initialen Euphorie, gefolgt von Ernüchterung und schließlich einer Phase der produktiven Nutzung. Das Amara-Gesetz betont, dass die anfängliche Überbewertung von Innovationen oft einer tatsächlich gegebenen langfristigen Wirkung weicht. Für den sozialen Sektor impliziert dies, dass die langfristige Integration von KI noch wesentliche transformative Auswirkungen haben kann, trotz ihrer langsamen Anfangsfortschritte.
Weit verbreitet besteht jedoch die Sorge, dass der Einsatz digitaler Technologien in Arbeitsprozessen unter anderem zu Jobverlusten führen könnte. Sie ist von Befürchtungen begleitet, dass menschliche Dienstleistungen weniger gefragt sein könnten. Diese Ängste spiegeln eine tiefe Unsicherheit über den technologischen Wandel und seine Auswirkungen auf die Arbeitswelt wider. Doch sind sie nicht unbedingt begründet, übersehen sie doch, dass Mitarbeitende im sozialen Sektor mittels Chatbot-Unterstützung mehr Zeit für Bereiche ihrer Arbeit bekommen, in denen die Zuwendung von Mensch zu Mensch unverzichtbar ist.
Sowohl bei der Entwicklung von Innovationen als auch im Umgang mit aufkommenden Befürchtungen wird es entscheidend sein, eine ausgewogene Haltung zwischen Enthusiasmus und kritischer Reflexion zu wahren. Anfängliche Zurückhaltung gegenüber digitalen Innovationen kann einer späteren breiten Akzeptanz und Integration weichen, sobald die langfristigen Vorteile deutlicher werden und organisatorische, psychologische und weitere Hindernisse ausgeräumt sind. Die Herausforderung liegt darin, diesen Übergang bewusst zu gestalten und die Technologien an die spezifischen Bedürfnisse des Sektors anzupassen.
Empfehlungen für die Praxis
Ein behutsames, schrittweises Vorgehen ist ratsam, das Chancen und Risiken sorgfältig abwägt und das zugleich stetige Anpassungen sowie Experimente ermöglicht. Ein praktischer erster Schritt könnte beispielsweise eine einfache Befragung von Klient:innen mittels eines Chatbots auf der eigenen Website sein.
Des Weiteren ist es essenziell, Kompetenzen im Unternehmen aufzubauen, Erfahrungen zu sammeln und sich aktiv einzubringen, um die digitale Transformation besser zu verstehen, zu bewerten und mitzugestalten. Die Verantwortung dafür sollte von der Führungsebene ebenso getragen sein wie von allen Mitarbeiter:innen gemeinsam.
Um ein umfassendes Verständnis für die Möglichkeiten und Herausforderungen von Chatbots zu entwickeln, ist es auch hilfreich, über den eigenen Bereich hinauszublicken. Erfahrungen aus dem Erproben von Chatbots privatwirtschaftlicher Unternehmen können wertvolle Erkenntnisse für soziale Handlungsfelder liefern, um Stärken und Schwächen zu erkennen, eigene Strategien zu optimieren und den Service kontinuierlich zu verbessern.
Es ist wichtig, sich nicht von anfänglichen Schwierigkeiten und nur langsamem Fortschritt entmutigen zu lassen. Vielmehr sollten diese als Lerngelegenheiten genutzt werden, um Technologien so einzusetzen, dass sie den Klient:innen maximalen Nutzen bieten.
Volle Wirksamkeit und Effizienz der Digitalisierung können allerdings nur dann erreicht werden, wenn gleichzeitig eine umfassende Standardisierung der Prozesse vorangetrieben wird. Aktuell zeigt sich jedoch, dass viele Abläufe nach wie vor wenig standardisiert sind und größtenteils analog bleiben - das führt zu Medienbrüchen zwischen analogen und digitalen Kanälen.
Insgesamt lautet unser Appell: Bereiten Sie sich weiter gut vor, denn mit der allgemein fortschreitenden Integration und der vereinfachten Nutzung digitaler Anwendungen wird zweifellos auch ihr Einsatz in der Sozialarbeit zunehmen. Dies betrifft nicht nur Chatbots, sondern auch (Pflege-)Roboter, Virtual Reality und viele weitere Technologien.
1. Vgl. Grand View Research: Artificial Intelligence Market Size & Trends. Kurzlink: https://tinyurl.com/HWKM01
2. Vgl. Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt: IT-Report für die Sozialwirtschaft 2023. Eichstätt, 2023.
3. Vgl. per Kurzlink: https://tinyurl.com/HWKM02
4. Vgl. per Kurzlink: https://tinyurl.com/HWKM03
5. Vgl. per Kurzlink: https://tinyurl.com/HWKM04
6. Vgl. per Kurzlink: https://tinyurl.com/HWKM05
7. Vgl. per Kurzlink: https://tinyurl.com/HWKM06
8. Panetta, K.: 5 Trends Appear on the Gartner Hype Cycle for Emerging Technologies, 2019. Kurzlink: https://tinyurl.com/HWKM07