Menschen mit Behinderung und Betreuungserfahrung stärken
Am 1. Januar 2023 ist die Reform des Betreuungsrechts in Kraft getreten: Sie hat das Selbstbestimmungsrecht von Menschen mit rechtlicher Betreuung entscheidend gestärkt und soll sie unterstützen, ihre eigenen Wünsche zu erkennen und umzusetzen. Rechtliche Betreuer:innen sollen die Menschen befähigen, ihre persönlichen Angelegenheiten selbst wahrzunehmen.
Das Problem: Die meisten Menschen, die eine rechtliche Betreuung in Anspruch nehmen, wissen nichts von dem neuen Ansatz. Zwei Drittel der Menschen mit Betreuungserfahrung haben nie von der Betreuungsrechtsreform gehört. Das zeigt eine Umfrage der Arbeitsstelle Rechtliche Betreuung in Caritas-, SkF- und SKM-Betreuungsvereinen.
Mitarbeitende aus diesen Betreuungsvereinen wollen deshalb in einem Projekt barrierearme Informationen in adressatengerechter Form für Menschen mit Behinderung und Betreuungserfahrung entwickeln. Die Betroffenen sollen ihre Rechte kennenlernen. Sie sollen lernen, eigene Wünsche wahrzunehmen, zu äußern und umzusetzen. Das Projekt soll für Menschen mit Betreuungserfahrung Antworten und Orientierung bieten bei Fragen wie: Welche Wünsche habe ich? Welche Hilfe bietet die rechtliche Betreuung für mich? Wo kann ich meine Fragen stellen?
Am 1. Oktober 2022 ist das Projekt gestartet unter dem Titel "Information, Aufklärung und Stärkung von Menschen mit lebenslanger Behinderung und Betreuungserfahrung zur Reform des Betreuungsrechts 2023". Gefördert wird es von der Aktion Mensch. Damit die Wünsche der Zielgruppe, der Menschen mit Behinderung und Betreuungserfahrung, maßgeblich berücksichtigt werden, sind sie direkt befragt worden: Was ist von der Reform bei ihnen angekommen? Was wollen sie darüber wissen? In welchem Format soll das Wissen zur Verfügung gestellt werden?
Zudem haben sich neun Betreuungsvereine als Modellstandorte zur Verfügung gestellt. Sie entwickeln Schulungsmaterial, erproben und evaluieren dieses und binden dabei Menschen mit Betreuungsbedarf als Expert:innen in eigener Sache ein. Projektakteur:innen aus den Modellstandorten und Diözesanreferent:innen bilden gemeinsam eine Begleitgruppe. Diese Gruppe unterstützt die Projektleitung zum Beispiel dabei, Inhalte zu entwickeln, den Zeitplan zu gestalten oder die nächsten Schritte umzusetzen.
Umfrage zeigt Informationslücken und Beratungsbedarf
Im Jahresverlauf 2023 wurde eine anonyme Umfrage durchgeführt. Layout und Design des Fragebogens waren optisch ansprechend und inhaltlich gut verständlich gehalten. Er ist konsequent in einfacher Sprache aufgesetzt. Die Lesbarkeit wird durch verschiedene Grafiken unterstützt.
Betreuungsvereine der verbandlichen Caritas haben die Umfrage bundesweit begleitet, indem sie die Fragebögen an die von ihnen betreuten Menschen weitergegeben haben. 123 ausgefüllte Fragebögen kamen zurück, 112 waren auswertbar. Teilweise haben die Betreuten die Fragebögen selbst ausgefüllt, teilweise hat eine Hilfsperson dabei unterstützt.
Besonders erschreckend ist: 74 von 112 teilnehmenden Menschen - das sind 66 Prozent - haben keine Kenntnis von der Betreuungsrechtsreform, obwohl sie eine rechtliche Betreuung haben! Dieses Ergebnis zeigt: Das Projekt ist bedeutend und dringend nötig.
Über rechtliche Betreuung informieren und aufklären
Parallel wurden erste Informationskonzepte entwickelt, zum Beispiel Vorträge. Diese sind konsequent in einfacher Sprache gehalten und werden von verschiedenen Visualisierungsmodellen ergänzt. Kleine Rollenspiele aktivieren die Teilnehmer:innen zusätzlich.
Die Betreuungsvereine an den neun Modellstandorten erproben diese Vorschläge in Einrichtungen der besonderen Wohnform und in Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Besonders relevant dabei ist die Kooperation mit Bezugsbetreuer:innen aus den jeweiligen Einrichtungen. Diese helfen, Vertrauen und Raum für eine offene und kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Betreuungserfahrung zu schaffen. Auf diesem Weg sind an den Modellstandorten bisher über 200 Menschen aus der Zielgruppe erreicht worden.
Echte Teilhabe beginnt bei dem barrierefreien Zugang zu Information. Die Betroffenen müssen wissen, dass es überhaupt hilfreiche Informationen gibt und wo diese zu finden sind. Es muss intensiv aufgeklärt werden, um Menschen mit Behinderung und Betreuungserfahrung wirklich zu beteiligen.
Einfache Sprache als Schlüssel für barrierefreie Information
Um diese Aufklärung zu ermöglichen, will die Arbeitsstelle so schnell wie möglich:
◆ eine barrierefreie Website erstellen,
◆ leichtverständliche Texte schreiben
◆ und alternative Formate nutzen, zum Beispiel einen Erklärfilm.
Denn eine Erkenntnis zeigt das Projekt schon jetzt: Einfache Sprache ist der Schlüssel, mit dem alle Menschen im Hilfesystem selbstständig Entscheidungen treffen können. Nur so ist gesellschaftliche Teilhabe möglich. Wird einfache Sprache konsequent genutzt, werden kurze Sätze gebildet und auf Fachsprache verzichtet, kommen die Informationen an. Bei allen Menschen.
Links
◆ Projekt in schwerer Sprache:
https://tinyurl.com/nc09-24-schwere-sprache
◆ Fragebogen: https://tinyurl.com/nc09-24-fragebogen
Leichte Sprache
Wir schreiben diesen Text in schwerer Sprache.
Es gibt auch einen Text in einfacher Sprache.
Diesen finden Sie im Internet.
Der Link dorthin lautet: https://tinyurl.com/nc09-24-einfache-sprache