Geflüchtete auf dem Arbeitsmarkt
Zum 31. Dezember 2022 lebten in Deutschland gemäß dem Statistischen Bundesamt 3.078.650 Schutzsuchende mit offenem, anerkanntem oder abgelehntem Aufenthaltsstatus.1 Die meisten von ihnen sind entweder seit Beginn des russischen Angriffskrieges
auf die Ukraine im Februar 2022 oder im Zuge der hohen Fluchtmigration in den Jahren 2015/2016 nach Deutschland gekommen. Deren Integration in Arbeitsmarkt und Bildung stellt eine der zentralen gesellschaftlichen Aufgaben dar. Während die Integration für die Teilhabe der Geflüchteten von hoher Relevanz ist, kann Deutschland aufgrund des steigenden Fach- und Arbeitskräftemangels profitieren.
Die Arbeitsmarktintegration Geflüchteter wird stark durch institutionelle Barrieren beeinträchtigt.2 Geflüchtete haben daher üblicherweise unabhängig vom Bildungsniveau insbesondere kurz nach dem Zuzug niedrigere Erwerbsquoten als andere Einwanderungsgruppen. Gemäß Angaben der IAB-BAMF-SOEP Befragung Geflüchteter3 verfügen die zwischen 2013 und 2018 nach Deutschland gekommenen und ein bis maximal sechs Jahre in Deutschland lebenden Geflüchteten zwar zu 77 Prozent über keine Bildungsabschlüsse. In den Herkunftsländern der Geflüchteten werden Qualifikationen jedoch meist während der Tätigkeiten vermittelt, ohne dafür Abschlüsse zu vergeben.4
Viele waren im Herkunftsland erwerbstätig
Da mehr als 64 Prozent der Geflüchteten vor dem Zuzug erwerbstätig waren, verfügt ein Großteil über Vorbildungen und Fähigkeiten, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt gebraucht werden. Die Geflüchteten waren mit 26 Prozent beziehungsweise 24 Prozent zu großen Anteilen in den Berufsbereichen Verkehr, Logistik, Schutz und Sicherheit (Nr. 5 gemäß Klassifikation der Berufe [KldB2010])5 beziehungsweise in Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht und Verwaltung (Nr. 7) erwerbstätig. Für diese Berufe besteht gemäß Engpassanalyse6 der Bundesagentur für Arbeit von 2023 ein hoher Bedarf an Fach- und Arbeitskräften. Die Stellenbesetzungsdauer betrug in verschiedenen Berufsgruppen des Bereichs Nr. 5 mehr als 200 Tage, gegenüber der durchschnittlichen Vakanzzeit von 149 Tagen. Während im Durchschnitt auf 100 Arbeitsstellen 206 Arbeitslose kamen, waren es in mehreren Berufsgruppen des Bereichs Nr. 7 über 400 Arbeitslose.
Die 2022 aus der Ukraine Geflüchteten verfügen gemäß der "IAB-BIB/FreDA-BAMF-SOEP Befragung Geflüchteter"7 zu 17 Prozent über berufliche und zu 71 Prozent über Hochschulabschlüsse. Es existieren jedoch große Unterschiede in den Bildungssystemen. Viele deutsche Ausbildungsberufe werden in der Ukraine an Hochschulen unterrichtet, so dass auch für sie Probleme des Transfers von im Ausland erworbenen Qualifikationen zu hohen Barrieren der Arbeitsmarktintegration führen können. Die Ukrainerinnen und Ukrainer waren zu 85 Prozent vor dem Zuzug erwerbstätig und 17 Prozent beziehungsweise 23 Prozent verfügen über Erfahrungen in den Berufsbereichen kaufmännische Dienstleistungen, Warenhandel, Vertrieb, Hotel und Tourismus (Nr. 6) sowie Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht und Verwaltung (Nr. 7). Mit zwölf bis 13 Prozent war zudem ein hoher Anteil der Geflüchteten in den Bereichen Rohstoffgewinnung, Produktion und Fertigung (Nr. 2) sowie Gesundheit und Pflege (Nr. 8) tätig. In zwei Berufsgruppen der Rohstoffgewinnung, Produktion und Fertigung kamen auf 100 offene Stellen mehr als 900 Arbeitslose. In der Altenpflege erreichte die durchschnittliche Vakanzzeit im vergangenen Jahr 257 Tage.
Während 2021 von den zwischen 2013 und 2018 nach Deutschland gekommenen Geflüchteten die Hälfte erwerbstätig war (68 Prozent der Männer gegenüber 16 Prozent der Frauen), waren von den 2022 geflohenen Ukrainerinnen und Ukrainern zwei Jahre später 18 Prozent erwerbstätig (23 Prozent der Männer gegenüber 17 Prozent der Frauen).8
Geflüchtete arbeiten teilweise auf niedrigerem Qualifikationsniveau
Aufgrund von Unterschieden in den Berufen und Bildungssystemen sowie fehlenden Abschlüssen und Deutschkenntnissen arbeiten die Geflüchteten häufig nicht in den Berufen, in denen sie über Erwerbserfahrung verfügen. So arbeiteten nur zwei Prozent der Geflüchteten, die 2013 bis 2018 nach Deutschland kamen und in den Bereichen Verkehr, Logistik, Schutz und Sicherheit Erwerbserfahrung haben, auch in diesen Bereichen. Im Bereich Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht und Verwaltung waren 2021 vier Prozent der Geflüchteten mit berufsfeldspezifischer Erwerbserfahrung tätig. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass Tätigkeiten in der Buchhaltung, dem Rechnungswesen oder der Steuerberatung meist eine langjährige Ausbildung in Deutschland erfordern. Zwar sind die Anteile der Ukrainerinnen und Ukrainer, die in den Berufsbereichen arbeiten, für die sie Erwerbserfahrung vorweisen können, höher (43/41 Prozent für die Bereiche Nr. 2/6 und 59/81 Prozent für die Bereiche Nr. 7/8). Jedoch fällt der Anteil derer, die auf einem Tätigkeitsniveau unterhalb der eigenen Qualifikation arbeiten, mit 21 Prozent gegenüber sechs Prozent für andere Geflüchtete auch deutlich höher aus.
Anerkennungen, Weiterbildung und Beratung von Bedeutung
Studien zeigen, dass die rechtliche Anerkennung von ausländischen Bildungs- und Berufsabschlüssen mit hohen Erträgen im Hinblick auf Erwerbsquoten und Verdienste einhergeht9, sie aber meist sehr viel Zeit in Anspruch nimmt10 und auch hohe Kosten verursachen kann. Von den Geflüchteten, die zwischen 2013 und 2018 nach Deutschland geflohen sind und über berufliche oder Hochschulabschlüsse verfügen, haben 2021 mit 47 Prozent fast die Hälfte eine Anerkennung ihres Abschlusses beantragt. So ist es einerseits wichtig, die Verfahren zu beschleunigen und zu vereinfachen. Andererseits kommt der Beratung in diesem Bereich eine hohe Relevanz zu. In der "IAB-BIB/FreDA-BAMF-SOEP Befragung Geflüchteter" gaben 36 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer an, dass sie Beratung zur Anerkennung des ausländischen Abschlusses benötigen. Weitere 14 Prozent beziehungsweise 38 Prozent gaben an, Beratungsbedarf im Bereich Bildungserwerb beziehungsweise bei der Arbeitssuche insgesamt zu haben. Für die erfolgreiche Arbeitsmarktintegration und Nutzbarmachung im Heimatland erworbener Qualifikationen und Fähigkeiten kommt auch dem Erwerb von deutschen Bildungsabschlüssen und Deutschsprachkenntnissen hohe Relevanz zu. Die Bildungsmotivation der Geflüchteten ist hoch. Während sich sechs Prozent der zwischen 2013 und 2018 eingewanderten Geflüchteten zum letzten Befragungszeitpunkt in Bildung befanden, haben 51 Prozent angegeben, dass sie sicher oder vielleicht noch (Schul-)Bildungsabschlüsse in Deutschland erwerben möchten. Dieses Bildungsinteresse gilt es zu nutzen sowie eine frühzeitige Teilnahme an Sprach- und Integrationskursen zu ermöglichen beziehungsweise zu fördern, um eine weitere Erhöhung der Erwerbsquoten der Geflüchteten, einhergehend mit qualifikationsadäquaten Tätigkeiten, zu realisieren.
1. DESTATIS, Statistisches Bundesamt: Schutzsuchende. GENESIS Online, 2023, Abruf: 5.4.2024.
2. Fendel, T.; Kosyakova, Y.; Vallizadeh, E.: Institutionelle Rahmenbedingungen sind für die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten von großer Bedeutung. In: IAB-Forum H.
doi.org/10.48720/IAB.FOO.20231026.01
3. Kurzlink: https://tinyurl.com/mv2y97w7
4. Vgl. BQ Portal, Länderprofile.
5. Bundesagentur für Arbeit: Klassifikation der Berufe 2010 (KIdB2010). Hier werden 10 Berufsbereiche, 37 Berufshauptgruppen, 144 Berufsgruppen, 700 Berufsuntergruppen gelistet.
6. Bundesagentur für Arbeit: Gemeldete Arbeitsstellen nach Berufen (Engpassanalyse) (Monatszahlen) Deutschland, Oktober 2023.
7. Kurzlink: https://tinyurl.com/pd9x2ajz
8. Brücker, H.; Glitz, A.; Lerche, A.; Romiti, A.: Integration von Migrantinnen und Migranten in Deutschland: Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse hat positive Arbeitsmarkteffekte. In: IAB-Kurzbericht 02/2021.
Kosyakova, Y.; Brücker; H.; Gatskova, K.; Schwanhäuser, S.: Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter: Erwerbstätigkeit steigt ein Jahr nach dem Zuzug. In: IAB-Kurzbericht 14/2023.
9. Brücker, H.; Glitz, A.; Lerche, A.; Romiti, A: a.a.O.
10. Böse, C.; Schmitz, N.; Zorner, J.; Ord, K.: Auswertung der amtlichen Statistik zum Anerkennungsgesetz des Bundes für 2022. Ergebnisse des BIBB-Anerkennungsmonitorings, Bonn: Bundesinstitut für Berufsbildung, 2023.