Pornos oder Alkohol: Die Suchtmerkmale sind die gleichen
Klassischerweise beschäftigt sich die Suchtberatung der Nürnberger Caritas mit missbräuchlichem oder abhängigem Alkohol- und Medikamentenkonsum und deren therapeutischer Behandlung. Seit geraumer Zeit ist nun auch der exzessive Medienkonsum verstärkt in der Beratung präsent, die Berater:innen sind zunehmend mit Pornosucht konfrontiert. Denn diese schränkt immer mehr Menschen im Alltag, in der Selbstbestimmungsfähigkeit oder in der Partnerschaft ein. Ein sexualtherapeutischer oder -medizinischer Ansatz ist das Mittel der Wahl, um diesem Phänomen begegnen zu können.
Auf die Beratungsstelle werden die Klienten in der Regel über das Internet aufmerksam. Ein Beitrag im Podcast der Lokalzeitung mit der Beraterin und einem Betroffenen sorgt bis heute für positive Aufmerksamkeit.1 In der Beratung kommt es daher immer häufiger zu Situationen, in denen sich das Gespräch um Pornografie im Internet dreht. "Bei mir ist das Problem nicht nur das Spielen, sondern eher so ein Chat-Problem ..." oder "Ich sammle aber nicht nur Spiele" sind beispielhafte Einstiege in das Thema. Etwa jede zehnte Anfrage an die Beratungsstelle bezieht sich mittlerweile ohne Umschweife auf den Konsum von Pornografie.
Anfragen zu Pornosucht werden häufiger
Im Rahmen der Beratung geht es primär um Pornosucht im digitalen Raum und ausschließlich um die Formen, die nicht strafrechtlich relevant sind. Für Phänomene wie Pädophilie und andere extreme Neigungen sowie den damit verbundenen illegalen Medienkonsum sind andere Anlaufstellen die richtigen Ansprechpartner. Pornosüchtig sind Studien zufolge zwischen drei und zehn Prozent der erwachsenen deutschen Männer. Aber auch 1,7 Prozent der Frauen berichten von einem exzessiven Nutzungsverhalten. Der Konsum von Pornografie hat längst jegliche Tabuisierung hinter sich gelassen: Man geht davon aus, dass 98 Prozent der Männer sowie 70 Prozent der Frauen mehrfach Kontakt mit diversen Formen von Pornografie hatten oder diese regelmäßig konsumieren. Jede Art von Pornografie, die Darstellung aller erdenklichen Sexpraktiken und Fetische sind heutzutage nur einen Mausklick entfernt. Doch Art und Intensität des Konsums sagen zunächst wenig darüber aus, was mit dem exzessiven Konsum an Problemen kompensiert wird oder ob jemand überhaupt einen Kontrollverlust erleidet - ganz wie bei Alkohol auch.
Im Einzugsgebiet der Metropolregion Nürnberg und weit darüber hinaus gibt es kaum Hilfe für Menschen mit dieser Problematik. Insofern ist die Caritas mit ihrem Angebot ein Vorreiter. Dass sich die Kirche, sogar die katholische, dieses Themas annimmt, wird von Klienten überrascht und anerkennend festgestellt. Kirchlichkeit ist nicht die Barriere - eine gewisse Sprachlosigkeit, wenn es um sexuelle Themen geht, und die große Scham sind es, die erst bei sehr großem Leidensdruck überwunden werden. Bei diesem intimen Gegenstand ist ohnehin eine nicht wertende, nicht moralisierende therapeutische Haltung enorm wichtig. Die hohe Professionalität sowie die Fachlichkeit der Beratungsstelle wird daher von den Klienten besonders geschätzt.
Klienten brauchen Fachlichkeit und Professionalität
Seit es das spezielle Angebot der Suchtberatungsstelle gibt, meldeten sich ausschließlich betroffene Männer.2 Die Mehrheit davon befindet sich in einer festen Partnerschaft und besitzt mit hohem prozentualem Anteil einen höheren Bildungsabschluss. Der Leidensdruck wurde in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen zu hoch und sie fanden trotz ihrer Reflexionsfähigkeit selbst keinen Ausweg aus ihrem Konsum. Dieser wird in der Regel zum Zeitpunkt des Erstkontakts als problematisch geschildert: Er nimmt nicht nur übermäßig viel Zeit in Anspruch, sondern findet zunehmend an ungeeigneten Orten statt, etwa am Arbeitsplatz oder beim Warten an der Baustellenampel. Die Betroffenen gehen damit erhebliche Risiken ein, die sich negativ auf ihr Leben auswirken können - über die Gefährdung der Paarbeziehung, der gesamten Familie, einer gesunden eigenen oder partnerschaftlichen Sexualität hinaus.
Im Aufnahmegespräch findet das Clearing statt, beginnend mit der wichtigen Frage, ob der Klient überhaupt mit einer Frau als Ansprechpartnerin arbeiten kann. In der Praxis war das bislang kein Problem für die hilfesuchenden Männer. Offenheit, Fachwissen, Professionalität, aber auch Humor und eine gewisse Lockerheit sind die Eigenschaften, die die therapierende Person mitbringen muss. Chemie und therapeutische Beziehung müssen unbedingt stimmen, damit Scham und Unsicherheit überwunden und über intimste Fakten und Gefühle gesprochen werden kann. Wichtig im therapeutischen Prozess ist immer die individuelle Situation des Betroffenen und ein Verstehen des eigenen Verhaltens. Sexuelle Inhalte spielen nur am Anfang eine größere Rolle, die Ursachen liegen meist woanders. Exzessive Nutzung von pornografischem Material ist - wie bei anderen Suchtformen auch - oft ein Symptom von tiefer liegenden Problemen. Etwas Geduld muss mitgebracht werden, möchte man die Beratung in Anspruch nehmen: Nach dem ersten Clearinggespräch ist wie für Beratungen bei stoffgebundenen Süchten mit einer Wartezeit von circa zwei bis vier Monaten zu rechnen.
Strategien für gesunden Konsum entwickeln
Über 40 Personen wurden im vergangenen Jahr von der Nürnberger Suchtberatungsstelle zum Thema Pornosucht beraten und in ihren Erfolgen und Rückfällen begleitet. Die Klienten hatten anschließend erstens eine Vorstellung davon, was sie in den Konsum getrieben hatte und welche Faktoren dazu beitrugen, es immer wieder zu tun. Zweitens haben sie Strategien entwickelt, wie sie ihren individuellen Problemen entgegenwirken können. Und drittens fühlten sie sich in der Lage, Probleme, Bedürfnisse oder Gefühle in der Partnerschaft und im sozialen Umfeld besser zu artikulieren. Viele haben es damit geschafft, Pornografie nicht mehr zu nutzen oder nach einer längeren Abstinenzphase auf ein für sie gesundes Maß zu reduzieren.
Mit der zunehmenden Leistungsfähigkeit des Internets hat die Pornoindustrie ihre Chance genutzt und sich als außerordentlich innovativ erwiesen, wenn es darum ging, ihre Inhalte über verschiedene Kanäle und Plattformen erfolgreich zu vertreiben. Dass das ständig verfügbare Internet mit seinen immer höheren Datenraten den exzessiven Konsum von visuellen Reizen wie Bildern und Videos begünstigt, ist jedem bewusst, der seinen wöchentlichen Datenverbrauch auf dem Handy kontrolliert. Die verschiedenen Internet-Plattformen tun ihr Übriges, um die Verweildauer möglichst hochzuhalten, um entsprechende Werbeeinnahmen zu generieren. Diese deutlichen Veränderungen des Medienkonsums lassen eine Prognose zwingend erscheinen: dass es künftig immer mehr Menschen geben wird, die unter exzessiver Mediennutzung und Pornokonsum leiden.
1. Podcast "heiß & innig" (Verlag der Nürnberger Presse): "Sex- und Pornosucht: So sehr leiden die Betroffenen": Kurzlink https://tinyurl.com/nc09-24-podcast
2. Daher ist in diesem Beitrag von "Klienten" die Rede.
Quellen
Bischof, G.; Bischof, A.; Meyer, C.; John, U; Rumpf; H.-J.: Prävalenz der Internetabhängigkeit — Diagnostik und Risikoprofile (PINTA-DIARI). Kompaktbericht, 2013.
Deutscher Bundestag: Technikfolgenabschätzung (TA). Neue elektronische Medien und Suchtverhalten. 2016. https://tinyurl.com/nc09-24-technikfolgen
Harper C.; Hodgins, D. C.: Examining Correlates of Problematic Internet Pornography Use Among University Students. In: J Behav Addict, 5. Jg., Heft 2/2016, S. 179-191.