„Respekt“ ist keine leere Worthülse
„Prävention und Gewalt waren immer Themen. Viele Kinder bringen Gewalterfahrungen mit.“ Annick Tombrink sagt das in einem ruhigen Tonfall. Die Erziehungsleiterin der Jugendhilfe St. Elisabeth im Dortmunder Haus Niederhofen arbeitet schon seit 20 Jahren in der Jugendhilfeeinrichtung und kennt die Problematik. Dennoch habe man vor drei Jahren eine Projektgruppe gegründet, um mit Gewalterlebnissen besser umgehen zu können. Daraus sind ein Buch und eine Postkartenserie entstanden – und ein geänderter Umgang mit den Kindern und Jugendlichen.
Die Fragen, mit der sich die Gruppe beschäftigt, klingen zunächst banal. „Was erwarten wir als Mitarbeiter? Was erwarten die Jugendlichen?“ So fasst es Annick Tombrink zusammen. Denn: „Dass nicht jeder glücklich ist, in einer Jugendhilfeeinrichtung zu leben, ist klar.“ Und dass es viele der Regeln, die nach und nach neu erarbeitet wurden, bereits jahrelang gab, überraschte niemanden. Dennoch ergaben sich auch durch einen Workshop mit den Jugendlichen, in dem etwa Lieder geschrieben, Postkarten gestaltet und Theater gespielt wurde, neue Perspektiven. „Wir erkannten etwa, dass die Gruppenbesprechungen einen anderen Rahmen bekommen müssen. Wir müssen die Kinder und Jugendlichen mehr hören.“ Am Ende sei der Prozess noch lange nicht. „Das muss ja auch gelebt werden. Wir sind noch nicht mit der Arbeit fertig“, betont Annick Tombrink weiter.
Allerdings sei die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die nicht mehr in ihren Familien leben können oder dürfen, an sich sehr sensibel. Auf der einen Seite stünden der Schutz sowie klare Regeln für das Leben miteinander. Doch es gebe auch eine zweite Seite. „Das ist das Bedürfnis nach menschlicher Nähe.“ Das ist für die Erziehungsleiterin elementar. Doch was brauchen Kinder und Jugendliche in welchem Alter? Wie viel Zuwendung ist angemessen? „In einer Familie ist es normal, dass Kinder im Bett der Eltern schlafen dürfen, wenn sie eine schwere Nacht haben“, nennt Tombrink ein Beispiel. In einer Einrichtung der Jugendhilfe sei das dagegen unmöglich.
Letztlich müssen sich die rund 140 Mitarbeiter, die für die Jugendhilfeeinrichtung der katholischen St.-Johannes-Gesellschaft Dortmund arbeiten, über ihr Handeln bewusst werden. Einfach so ein Mädchen oder einen Jungen in den Arm zu nehmen, sei problematisch. Doch wenn ein Kind Trost brauche, sei eine solche Geste durchaus nötig und sinnvoll. „Wir müssen achtsam sein, sensibel sein im Umgang mit den Kindern und Jugendlichen.“ Das gelte auch für die Themen Aggressivität und Sexualität, die natürlich auch zum Leben gehören. Immer müsse ein respektvoller Umgang gepflegt werden. Zudem nehmen alle Mitarbeiter an der entsprechenden Schulung des Erzbistums Paderborn teil.
Diese Herangehensweise trägt bereits Früchte. So haben etwa Jugendliche bemängelt, dass es zwar für die Kinder einen Spielplatz gebe. Teenager hätten dagegen keinen eigenen Treffpunkt. Die Kritik fiel auf fruchtbaren Boden, die Jugendlichen haben nun eine eigene Hütte. Und für die gibt es klare Regeln. „So war das Rauchen ein Thema“, nennt Annick Tombrink ein Beispiel. Es gab Diskussionen und eine Lösung: Die Freunde des blauen Dunstes qualmen vor der Tür – und keiner protestiert. Ein Beweis dafür, dass „Respekt“ keine leere Worthülse ist.