Kita als Ort für Bildung
Wir müssen mehr testen und messen …", reiht sich die Bundesbildungsministerin in den allgemeinen Kanon ein, der auf die IQB-Studie folgt.1 Demnach erreicht jede:r fünfte Viertklässler:in die Mindeststandards nicht.
Die Reaktionen auf die erneute Kränkung des Bildungswesens kennen wir seit Jahrzehnten: vermessen, diagnostizieren, kontrollieren - und zwar bitte ab der Kita. Die Input-Steuerung sei nicht ausreichend, flächendeckend sollen Leistungsstandards von Grundschul- und Kita-Kindern gemessen werden. Additive statt alltagsintegrierter Maßnahmen werden - trotz schlechter Evaluationsergebnisse - hochgehalten. Kinder sollen regelmäßig zu "diagnostischen Terminen". Auch sollen so verpflichtende Fördermaßnahmen eingeführt werden. Neben den Eltern wird gern die reformpädagogische Tradition mitverantwortlich gemacht und mehr "direkte Instruktion" gefordert.
Im Mittelpunkt der Diskussion steht die Vermessung der Kinder. Hätte man nur ausreichend Daten, so könne man gezielt Maßnahmen ergreifen - eine kausale Verknüpfung von - defizitorientierter! - Vermessung und Qualität. Kein Gedanke an zwei der wichtigsten Faktoren für den frühkindlichen Bildungserfolg: die gottgegebene Fähigkeit und Freude am Lernen jedes Kindes und Fachkräfte, die Profis darin sind, Kinder dabei zu begleiten. Kita kann der Ort sein, an dem das Recht der Kinder auf Bildung eingelöst wird und Benachteiligungen ausgeglichen werden, wenn der Rahmen stimmt: verlässliche Fachberatung, Qualitätsentwicklung, multiprofessionelle Teams, Sozialraumbudgets, moderne Arbeitsplätze, Zeit für Konzeption. Gerade jetzt die totale Vermessung der Kinder zu fordern ist auch deswegen heikel, weil die technische Entwicklung die fachpolitische überholt: Digitale Systeme sammeln Daten nicht nur, sondern werden sie auch interpretieren und Maßnahmen vorschlagen. Schon jetzt erheben sie Daten, für deren Interpretation Pädagog:innen in der Regel die Kompetenz fehlt und nicht klar ist, welches pädagogische und bildungspolitische Konzept zugrunde liegt.
Ein defizitorientiertes und materialistisches Bild vom Kind wird dazu führen, dass mit effektiven Mitteln falsche Lösungen auf ein reformbedürftiges Bildungssystem angewandt und diese Fehler auf den Elementarbereich übertragen werden. Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über Bildung, in deren Mittelpunkt der Mensch steht. Hier kann Kirche wirklich relevant sein.
Anmerkung
1. In: Die Zeit vom 10. Dezember 2022.