Großflächig gegen Fachkräftemangel
Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) hat den Fachkräftenotstand in nüchterne Zahlen verpackt: 537.923 - mehr als eine halbe Million - Fachkräfte braucht das Land. Knapp 20.600 Stellen, die zwischen Juli 2021 und Juli 2022 nicht besetzt werden konnten, fehlten laut Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft(IW)1 in der Sozialarbeit und Sozialpädagogik, also beispielsweise in der Berufseinstiegsbegleitung, in der Schulsozialarbeit, in Jugend-, Kinder- und Altenheimen oder in der Suchtberatung, überall dort, "wo Menschen persönliche Begleitung für die Lösung sozialer Probleme benötigen". Ähnlich groß ist die Lücke bei Erzieher:innen. In der Altenpflege blieben über 18.000 Stellen unbesetzt. Anstatt in dieser Situation auf politische Lösungen zu warten, bringt sich die gemeinsame Kampagne "Die Caritas zeigt Gesicht" des Diözesan-Caritasverbandes und der Orts-Caritasverbände im Bistum Limburg mit Großflächenplakaten ins Gespräch.
Die Mitarbeiter:innen und Klient:innen in den Diensten und Einrichtungen der Caritas spüren den Fachkräftemangel tagtäglich. Darum gilt es, neue Kolleg:innen anzuwerben und bestehende zu binden. Für die Caritas mit ihrer sinnstiftenden Aufgabe, guten Arbeitsbedingungen und fairer Bezahlung dürfte das eigentlich kein Problem sein. Oder doch? Und wie ist es um das Image der Caritas als Arbeitgeberin außerhalb der katholischen Welt bestellt?
Die Projektgruppe der Kampagne "Die Caritas zeigt Gesicht" wollte es genau wissen und leuchtete erst einmal in den eigenen Reihen mittels Fragebogen und Workshops in die Seele der Caritas. Die gute Nachricht vorweg: Die positiven Stimmen überwiegen eindeutig! Die meisten Mitarbeitenden sind zufrieden und empfehlen die Caritas als Arbeitgeberin weiter. Aber wo Licht ist, da ist auch Schatten. Umständliche Arbeitsprozesse, verschnarchte Außenwahrnehmung, unzureichende Rahmenbedingungen sowie ein hierarchisches Leitungs-
und Führungsverständnis monierten die befragten Mitarbeitenden. Zudem leiden viele Caritas-Mitarbeiter:innen unter dem schlechten Image der Kirche, insbesondere wenn ihnen die Missbrauchsskandale und das antiquierte Arbeitsrecht der katholischen Kirche vorgehalten werden.
Echte Mitarbeiter:innen erzählen ihre Geschichte
Rund 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter folgten dem Casting-Aufruf und erklärten sich bereit, auf Großflächenplakaten ihr Gesicht
für die Caritas zu zeigen. Acht von ihnen wurden ausgewählt. Ausschlaggebend war ihre persönliche Geschichte, die mit Vorurteilen gegenüber der Arbeitgeberin Caritas aufräumt: darunter eine außergewöhnliche Pallottinerschwester, ein syrischer Geflüchteter, eine alleinerziehende Mutter, eine Mitarbeiterin mit Tattoos, ein männlicher Kita-Leiter und eine junge Mitarbeiterin, die ihren Glauben bekennt. Sie alle zeigen die Caritas, wie sie wirklich ist.
Die Öffentlichkeit wurde von der Kampagne "Die Caritas zeigt Gesicht" am 30. September 2022 mit 428 Großflächenplakaten und 39 Plakattafeln mit Hintergrundbeleuchtung überrascht. Die markanten Porträts vor schwarzem Hintergrund und die einprägsamen Slogans brachten den Arbeitgeber mit dem Flammenkreuz vom Frankfurter Hauptbahnhof bis in den Westerwald ins Gespräch. Werbeanzeigen mit über fünf Millionen Ad Impressions in den sozialen Medien transportierten die Botschaft exakt zu den Facebook-Nutzer:innen, die regional und altersmäßig als Bewerber:innen für die Caritas im Bistum Limburg infrage kommen.
Im Making-of-Video der Kampagne wird deutlich, was die Models eint: die Begeisterung für ihre Arbeit, die in der Liebe zu ihren Mitmenschen wurzelt - ob sie nun christlich, muslimisch, humanistisch oder ganz anders begründet ist. Ohne die Initiative #OutInChurch und die Diskussion um die neue Grundordnung hätten die Statements von Simone, Mahmoud, Evelyn, Cathrin, Ulrike, Patrick, Ricarda und Hannah in Kirchenkreisen möglicherweise für mehr Aufruhr gesorgt. Kirchenferne Beobachter:innen stellten höchstens verwundert fest, dass mittlerweile selbst die Caritas in der Lebenswirklichkeit ihrer Mitarbeiter:innen angekommen ist. Und genau das soll die Kampagne vermitteln: Caritas ist (endlich!) auch für Menschen eine attraktive Arbeitgeberin, die geschieden und
wiederverheiratet, nicht katholisch getauft oder alleinerziehend sind, die in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft leben oder aus einem anderen Grund befürchten, dass sie beim Wohlfahrtsverband der katholischen Kirche nicht als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter akzeptiert werden.
Individuelle Angebote für individuelle Bewerber:innen
Menschen, die sich bei der Caritas bewerben, suchen häufig eine Arbeit mit Sinn: Kontinuität, Sicherheit und überdurchschnittliche Bezahlung mit weiteren Sozialleistungen sprechen ebenfalls für eine Bewerbung bei Deutschlands größtem Arbeitgeber. Aber darauf kann sich die Caritas nicht ausruhen. Bewerber:innen haben unterschiedliche Erwartungen. Dem einen ist Work-Life-Balance wichtig, der anderen eine steile Karriere in der Sozialwirtschaft, während Schulabbrecher:innen erst einmal mit Bildungsprogrammen zur Ausbildungsreife geführt werden müssen. Für sie alle muss die Caritas passende Angebote vorhalten.
Niedrigschwellige Praktika, Schnuppertage, Begleitung einer Kollegin:eines Kollegen, qualitative oder quantitative Erweiterung des Aufgabenspektrums, Talentmanagement und Aufstiegsmöglichkeiten locken Bewerber:innen an und motivieren Mitarbeitende zum Bleiben. Studienplätze in Mangelberufen müssen in ausreichender Anzahl geschaffen und duale Studiengänge mit vergüteten Praxisphasen beziehungsweise Anerkennungsjahr gepusht werden.
Vor allem müssen die Verbände bei der Rekrutierung und Ausbildung von Fachkräften Allianzen bilden: bistumsweit, landesweit, am besten bundesweit. Das schließt lokales Arbeitgebermarketing keineswegs aus. Der Fachkräftemangel gehört wie die Digitalisierung oder der Klimaschutz zu den Themen, die sich nur im Verbund bearbeiten lassen.
#DasHabenWirGemeinsamGemacht
Dass die Wirkung eines gemeinsamen Vorgehens um ein Vielfaches höher ist, war auch den auftraggebenden Vorständen der Limburger Kampagne bewusst. Ein Verband kann eine Kampagne mit einem Gesamtvolumen von über 600.000 Euro nicht allein stemmen. Rücklagen des Diözesan-Caritasverbandes, Mittel aus dem "Innovationsfonds Caritas im Bistum Limburg" und eine großzügige Förderung durch die Glücksspirale sind in das Projekt geflossen. Insgesamt 170.000 Euro legten die Ortsverbände für die Plakatierung in den Bezirken drauf.
Im März 2023 wird die Evaluation der Kampagne vorliegen. Basierend auf den Ergebnissen der quantitativen und qualitativen Wirkungsmessung wird die Projektgruppe den Auftraggebern Vorschläge für ein weiteres gemeinsames Arbeitgebermarketing unterbreiten. Das könnte eine Kampagne für die Pflege oder für die Kinder- und Jugendhilfe sein, der Ausbau des Social-Media-Recruitings oder ein professionelles verbandsübergreifendes Bewerber:innenmanagement inklusive frisch formulierter Stellenausschreibungen.
Verbandslogik hin oder her: Die Caritas wird in der Öffentlichkeit als eine Marke wahrgenommen. Bewerber:innen fragen nicht, zu welchem Ortsverband das Altenheim in der Nähe ihres Wohnortes gehört. Die Basis für die gemeinschaftliche Wahrnehmung hat die Limburger Kampagne bereits mit der nutzerorientierten Jobbörse www.caritas.work gelegt. Hier werden alle freien Stellen der Caritas im Bistum Limburg gemeinsam ausgespielt.
Angesichts der Komplexität des Fachkräfteproblems mag eine dreiwöchige Imagekampagne von einem Diözesan-Caritasverband und seinen sieben Caritasverbänden an David gegen Goliath erinnern. Aber der Ausgang der Geschichte ist bekannt und die Caritasverbände im Bistum Limburg haben verstanden, dass ein gemeinsamer Wurf mehr Wumms hat als Einzelaktionen. Darum wird sich die Caritas im Bistum Limburg auch künftig gemeinsam dem Fachkräftemangel und mit ihren Bündnispartner:innen die arbeitsmarktpolitischen Weichen stellen.
Anmerkung
1. Hickmann, H.; Koneberg, F.: Die Berufe mit den aktuell größten Fachkräftelücken, IW-Kurzbericht Nr. 67, 2022, Köln.
Kita als Ort für Bildung
Die Rahmenbedingungen in der Pflege müssen stimmen
Suche Sinn, biete Einsatz
Die Fachkräfte-Kampagne macht den Wert der Arbeit sichtbar
Imagekampagne für Kita-Berufe
Die Mischung macht’s: analoge und digitale Beratung
Klimaneutralität: Wo steht die Caritas?
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