Die Fachkräfte-Kampagne macht den Wert der Arbeit sichtbar
Piet Eikens, ein junger Mann mit einem zusätzlichen Chromosom, lebt mit seiner Familie in Niedersachsen. Sein Vater Michael Eikens sagt, Piet und auch sein Bruder Levi seien eine Bereicherung, forderten jedoch zugleich seine Familie und die Gesellschaft auf, das Leben in seiner Vielfalt zu akzeptieren. Alle versuchten, Piet ein Leben in weitgehender Normalität zu ermöglichen, doch durch Piets Behinderung ergäben sich für seine Familie zuweilen herausfordernde Situationen. Einrichtungen und Dienste der Behindertenhilfe, etwa der familienentlastende Dienst, stünden der Familie dann mit unterstützenden Angeboten und qualifizierten Fachkräften zur Seite, erklärt Michael Eikens, der Mitglied im Angehörigenbeirat des Bundesfachverbandes Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e. V. (CBP) ist.
Die Antwort auf die Frage, in welchem Umfang die Behindertenhilfe bedarfsgerechte und qualifizierte Angebote für Menschen mit Behinderungen vorhalten kann, hängt maßgeblich mit der Anzahl der zur Verfügung stehenden Fachkräfte zusammen. Der CBP führte im Jahr 2022 eine Erhebung unter seinen Mitgliedern durch, um den künftigen Fachkräftebedarf zu ermitteln. Vier von fünf Befragten (83 Prozent) beklagen Probleme bei der Stellenbesetzung mit Fachkräften - im Durchschnitt bleiben bereits jetzt fünf Prozent der Fachkraftstellen in der Behindertenhilfe unbesetzt. Darüber hinaus zeigt die Auswertung der Erhebung, dass bis 2027 acht Prozent und bis 2032 15 Prozent der derzeit tätigen Fachkräfte altersbedingt ausscheiden werden. Das bedeutet, dass in den kommenden zehn Jahren insgesamt mehr als ein Viertel der derzeit tätigen Fachkräfte ersetzt werden müssen.
Schließungen aufgrund von Personalmangel
Immer häufiger melden schon heute Träger, Einrichtungen und Dienste der Behindertenhilfe und Psychiatrie im Fachverband, dass sie Angebote im Bereich des Wohnens, der Betreuung und der Beschäftigung für Menschen mit Behinderungen aufgrund des Personalmangels schließen müssen und dass künftig mit weiteren Schließungen zu rechnen sei.
Mancherorts hat der Personalmangel bereits gefährliche Ausmaße erreicht. Mehrbelastungen der Mitarbeitenden - bedingt durch die Pandemie, immer höhere Qualitätsanforderungen sowie Schicht-, Teil- und Wochenenddienste - führen dazu, dass Personal der Eingliederungshilfe zunehmend in attraktivere Bereiche des Sozial- und Gesundheitswesens abwandert. Für Piet und seine Familie bedeutet das, dass auch sie künftig mit weniger oder sogar ausbleibender Unterstützung bei der Bewältigung des Lebensalltags rechnen müssen und dass Piet womöglich in der Umsetzung seines Rechts auf Teilhabe eingeschränkt werden wird.
Kaum bekannt - geschweige denn anerkannt
Bereits 20191 richtete die CBP-Mitgliederversammlung den Blick auf die Fachkräfte in der Sozialwirtschaft, denn sie sind es, die die Qualität in der Eingliederungshilfe sichern und die Umsetzung der sozialen und beruflichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen
fördern. Im Jahr 2020 startete die Fachkräfte-Kampagne im CBP2 - unter anderem, um die Mitglieder bei der Personalgewinnung zu unterstützen und um die Interessen von Fachkräften für soziale Berufe in der Eingliederungshilfe und Psychiatrie auf politischer und gesellschaftlicher Ebene offensiv in den Fokus zu rücken. "DU ICH WIR … Miteinander auf dem Weg"3, so die Botschaft der Kampagne, mit welcher der CBP und die Mitglieder junge Menschen für Berufe in der Behindertenhilfe begeistern wollten und wollen.
Zu Beginn der Kampagne befragte der CBP Absolvent:innen der Ausbildung zum:zur Heilerziehungspfleger:in, was denn erforderlich sei, damit die Berufsbilder in der Eingliederungshilfe attraktiver würden - schließlich sind sie es, die ein positives Image in die Gesellschaft projizieren können. "Der Beruf und die Tätigkeit des:der Heilerziehungspfleger:in sind in der Gesellschaft nicht präsent. In der Altenpflege [hingegen] weiß jede Person, worum es geht. Als Heilerziehungspfleger fragen mich die Leute immer, was ich denn genau mache." Diese und ähnliche Antworten sind immer wieder Gegenstand in den vom CBP durchgeführten Interviews mit Heilerziehungspflegenden. Darüber hinaus wird beklagt, dass Auszubildende in der Heilerziehungspflege in manchen Bundesländern immer noch Schulgeld zahlten und das Berufsbild nicht in allen Ländern gleichermaßen Anerkennung finde. Nicht sichtbar und ohne gesellschaftliche Anerkennung - so lautet also das niederschmetternde Fazit der Befragung. Und in der Tat: Betrachtet man die Medien als Spiegelbild der Gesellschaft, so sind die Fachkräfte in der Behindertenhilfe dort kaum erkennbar.
Mit starken Bildern ans Licht der Öffentlichkeit
Gemeinsam mit Auszubildenden aus den Berufsfeldern der Behindertenhilfe hat der CBP insgesamt 90 Fotosequenzen herausgearbeitet, welche die facettenreiche Arbeit mit Menschen mit Behinderungen zeigen. Es geht darum, sichtbar zu machen, was die engagierten Fachkräfte jeden Tag im Rahmen dieser sinnstiftenden und attraktiven Tätigkeit leisten. In Zusammenarbeit mit der Fotografin Cornelia Suhan sind so insgesamt 90 Fotomotive für die Akquise von potenziellen Fachkräften entstanden, die der CBP seinen Mitgliedern zur Verwendung auf deren Websites, in den sozialen Medien und gedruckten Publikationen zur Verfügung stellt.
In zahlreichen Veröffentlichungen - zum Beispiel in der Zeitschrift "Sozial for you" der Bundesagentur für Arbeit im Rahmen der Initiative "Boys’ Day - Jungen-Zukunftstag" ⁴, im neue caritas-Jahrbuch 2022⁵und in zwei Ausgaben des CBP-Info - lenkte der Fachverband den Fokus auf die Fachkräfte in der Eingliederungshilfe und machte die wertvolle Arbeit der Heilerziehungspflegenden sichtbar. »
Durch Praktika können sich junge Menschen in einem Berufsfeld ausprobieren und feststellen, ob der Beruf ihren Vorstellungen und Neigungen entspricht. Wegen Corona war das in den vergangenen beiden Jahren nicht oder nur erschwert möglich. Berufsorientierungszeiten der Schulen brachen weg, Berufsorientierungsmessen fanden digital statt. Der CBP bereitete auf seiner Website www.caritas.cbp.de unter dem Motto "Herzwerker:innen gesucht" Infos über soziale Berufe in der Behindertenhilfe und Psychiatrie für die Mitglieder auf. Im Rahmen eines Blogbeitrags der Caritas-Kampagne #DasMachenWirGemeinsam wurde ein Interview mit dem Heilerziehungspfleger Tsiorinavalona Tiaray Rabemanantsoa geführt, der das Berufsbild einer großen Öffentlichkeit vorstellte.⁶ Darüber hinaus entstand eine Plakatreihe, welche die Mitglieder mit dem je eigenen Logo versehen konnten, um für das Berufsbild und zugleich für die eigene Einrichtung zu werben.
CBP rückt Fachkräfte in den Fokus von Politik und Gesellschaft
Die Verbandsmitglieder bei der Personalgewinnung zu unterstützen, bildet die eine Säule - die Interessen der Fachkräfte der Behindertenhilfe und Psychiatrie auf politischer und gesellschaftlicher Ebene offensiv in den Fokus zu rücken, die andere Säule der oben beschriebenen CBP-Kampagne.
Durch die Reform der Pflegeberufe hat die Ausbildung zur Pflegefachkraft an Attraktivität gewonnen. Auf der Bundesebene hat die Fachkräfte-Offensive für Erzieher:innen den Zuspruch für die Ausbildung enorm erhöht. Aber gerade die Fachkräfte in der Eingliederungshilfe sind gefragt, wenn es darum geht, das Bundesteilhabegesetz umzusetzen: Heilpädagog:innen und Heilerziehungspflegende verhelfen Menschen mit Behinderungen zu ihrem Recht auf Teilhabe und wirken daran mit, gesellschaftlich notwendige Entwicklungen voranzutreiben. Als qualifizierte und kompetente Fachkräfte leisten sie eine Arbeit, die weder durch generalisierte Pflegefachkräfte noch durch Erziehende erbracht werden kann. Für das Funktionieren des Systems Eingliederungshilfe sind sie unverzichtbar.
In seinen Forderungen an die Politik stellt der CBP diese Fachkräfte in den Fokus und fordert unter anderem die Erhebung einer verlässlichen Datengrundlage in den Ausbildungsbereichen der Behindertenhilfe und Psychiatrie, die vollständige Refinanzierung der Ausbildungskosten und -vergütungen in diesem Hilfefeld sowie die bundesweite Abschaffung des Schulgelds. Darüber hinaus bezieht der CBP in einem Positionspapier⁷ für die Aus- und Weiterbildungsberufe in der Heilerziehungspflege und Heilpädagogik sowie andere vergleichbare Berufsgruppen in der Eingliederungshilfe Stellung.
Der CBP thematisiert diese Mängel auf politischer Ebene und positioniert partielle Schwerpunkte im Dialog mit anderen Verbänden und Interessenvertretenden. Darüber hinaus hat der CBP zusammen mit den Verbänden den Dialog mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) aufgenommen, um Veränderungen in Ausbildungsfeldern der Behindertenhilfe zu erwirken. So konnte beispielsweise erreicht werden, dass das Berufsbild der Heilerziehungspflege neben den Pflegeberufen und den Erzieherberufen auf der Seite "Politik für die Aufwertung sozialer Berufe" des BMFSFJ seinen Platz gefunden hat.
Fachkräfte-Offensive in Psychiatrie und Eingliederungshilfe
Klassische Maßnahmen der Personalgewinnung, wie sie in der Fachkräfte-Kampagne im CBP untersucht und entwickelt werden, können den aufgrund des demografischen Wandels künftig weiter ansteigenden Fachkräftemangel nicht in Gänze auffangen, wohl aber mindern. Zukünftig wird es notwendiger sein denn je, passgenaue Ermittlungen kommender Personalbedarfe - neben den Fachkräften für Teilhabe, den Heilerziehungspflegenden sind auch Erzieher:innen, Pflegefachkräfte und helfende Berufsbilder mitgedacht - unter Berücksichtigung sich verändernder Betreuungs- und Versorgungsstrukturen vorzunehmen. Ebenso gilt es, bestehende Ausbildungskapazitäten zu sichern und zusätzliche zu schaffen, die Leistungsfähigkeit des Systems zur Gewinnung von Fachkräften zu prüfen und sie weiterzuentwickeln sowie Strategien herauszuarbeiten, wie sich trotz des Mangels an Fachkräften die Qualität der Arbeit aufrechterhalten und stärken lässt. Hierzu zählt zum Beispiel,
◆ eine branchenspezifische Zuwanderungs- und Bildungsinitiative im Ausland in den Blick zu nehmen;
◆ eine Investition in digitale Geschäftsmodelle im administrativen Bereich ebenso wie in der Betreuung mitzudenken;
◆ zukunftsfähige Strukturen im Sinne einer Caring Community zu entwickeln, um das Verhältnis von professionell und nicht professionell Mitarbeitenden neu zu verorten;
• last but not least: die Politik in die Pflicht zu nehmen.
Die Bundesregierung schreibt in ihrer Fachkräftestrategie den Unternehmen als dringlichste Aufgabe die Sicherstellung ihres Fachkräftebedarfs im Rahmen der durch die Demographie gesetzten Grenzen ins Pflichtenheft. Sie will mit dieser Strategie einen unterstützenden Rahmen setzen, Handlungsfelder aufzeigen, Impulse zur Gewinnung und Bindung der Fachkräfte geben.8
Der CBP wird seine Mitglieder auch zukünftig in ihrer jeweiligen Personalstrategie unterstützen und sich auf politischer Ebene für sie einsetzen - damit Piet und alle Menschen mit Behinderungen ihr Recht auf Teilhabe wahrnehmen können und ihre Angehörigen die Unterstützung erhalten, die sie zur Bewältigung des Lebensalltags benötigen.
Anmerkungen
1. Vgl. Tote, K.: Mitgliederversammlung: den CBP zukunftsfähig und stark gestalten. In: CBP-Info 1/2019, S. 14 ff., Download per Kurzlink: https://bit.ly/3XKrD1a
2. Vgl. Grothaus, C.: CBP-Fachkräfte-Kampagne nimmt Fahrt auf. In: CBP-Info 1/2021, S. 15 ff.; Download: ebd.
3. Mehr: www.cbp.caritas.de/themen/fachkraefte
4. Vgl. www.boys-day.de
5. Dohmann-Bannenberg, U.: Ein "Danke" reicht in Zukunft nicht. In: neue caritas-Jahrbuch 2022, Freiburg, 2021, S. 133 ff. Download: www.cbp.caritas.de/publikationen
6. Vgl. Dohmann-Bannenberg, U.: Herzwerker:innen gesucht! In: www.dasmachenwirgemeinsam.de/blog-heilerziehungspfleger_innen-gesucht sowie: CBP-Info 3/2022, S. 16 ff.; Download per Kurzlink: https://bit.ly/3XKrD1a
7. CBP e.V.: Fachkräfte in der Eingliederungshilfe. Download per Kurzlink: https://bit.ly/3WA94fc
8. Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Fachkräftestrategie der Bundesregierung. Berlin, 2022. Download per Kurzlink: https://bit.ly/3XRAaiW
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