„Es wird mehr erwartet, als die Tafeln leisten können“
Spüren Sie, dass die Armut im Land durch Inflation, Krieg in der Ukraine und Energiekrise wächst?
Ja, deutlich. Schon während der Pandemie kamen mehr Menschen zu den Tafeln, die Nachfrage nach "Kundenkarten" stieg. Nun kommen auch viele Geflüchtete aus der Ukraine, die kaum Geld für Lebensmittel haben. Und viele Kund:innen müssen wegen der höheren Energiepreise sparen. Einige Tafeln mussten bereits die Anzahl der Besuche einschränken. Früher konnten alle Besitzer:innen einer Kundenkarte in jeder Tafel der Caritas einkaufen.
Können Sie die Nachfrage noch bedienen? Wie behelfen Sie sich bei Engpässen?
Die Kundenzahlen steigen, die Spenden der Lebensmittelhändler sinken, da diese knapper kalkulieren. Diese Entwicklung wirkt - was sehr positiv ist - zwar der Lebensmittelverschwendung entgegen, aber wir haben schlicht weniger Lebensmittel für mehr Kund:innen. Deshalb müssen wir die Spenden anders aufteilen. Konkret: Bei Engpässen müssen alle Kund:innen mit weniger auskommen. In einigen Tafeln dürfen nur registrierte Kund:innen einkaufen, in anderen dürfen sie nur an festgelegten Tagen kommen. Zum Glück erhalten wir gerade sehr viele Sachspenden aus der Bevölkerung; sonst müssten wir Menschen eventuell ohne Waren gehen lassen.
Gibt es Verteilungskämpfe unter den Klient:innen?
Nein. Wir achten darauf, dass sich alle Kund:innen mit Lebensmitteln versorgen können. Allerdings entsteht ab und zu eine Neiddebatte: Neue Kund:innen würden den bestehenden etwas wegnehmen. Aber dies ist kein spezifisches Problem der Tafeln, sondern ein gesellschaftliches.
Bekämpfen Sie mit den Tafeln die Armut von Menschen, oder füllen Sie nur dauerhaft Lücken in unserem Sozialsystem?
Vorrangig bekämpfen die Tafeln die Lebensmittelverschwendung. Durch die Verteilung dieser Lebensmittel an Bedürftige sollten diese mehr Geld für gesellschaftliche Teilhabe haben. Die Tafeln wollten nie "Vollversorger" sein, sondern immer nur entlastend wirken. Sie konnten zu keiner Zeit die Lücken im Sozialsystem füllen.
Während der Pandemie galten die Tafeln als systemrelevant. Das war Fluch und Segen zugleich. Einerseits konnten wir so unser Angebot aufrechterhalten, andererseits dürfen Tafeln in unserem Sozialsystem nicht relevant sein. Jeder Mensch muss genügend Mittel haben, um sich Lebensmittel, ein Dach über dem Kopf und ein warme Dusche leisten zu können. Das war, ist und wird nie die Aufgabe der Tafeln sein. Wir entlassen den Staat nicht aus seiner sozialen Verantwortung.
Wie können Sie Ehrenamtliche in den Tafeln motivieren?
Das Schöne ist: Die sind bereits motiviert. Denn in den Tafeln helfen sie unmittelbar und konkret und bekommen direkte Rückmeldungen der Kund:innen. Als Träger müssen wir den Engagierten auf jeden Fall Wertschätzung entgegenbringen und feste Ansprechpartner:innen für sie benennen. Ein weiteres Plus für das Ehrenamt in der Tafel ist die Vielseitigkeit: Man kann beispielsweise Waren abholen, Lebensmittel vorsortieren oder bei der Ausgabe mit den Kund:innen ins Gespräch kommen - es ist für jede:n etwas dabei.
Fühlen Sie sich manchmal machtlos?
Ja. Denn ich sehe, wie sich unsere Ehrenamtlichen tagtäglich aufopfern und helfen - und wie sie dann durch aktuelle Entwicklungennoch mehr gefordert werden. Durch die Pandemie und den Krieg in der Ukraine kamen völlig neue Kundengruppen zu uns, die dringend Schutz und auch Nahrung benötigen. Jetzt kommt noch die Energiekrise hinzu und beschert uns weitere Kund:innen. All diese Schicksale schlagen in der Tafel auf. Gleichzeitig werden die Lebensmittelspenden knapper. Mitarbeitende und Ehrenamtliche spüren den Druck, der auf ihnen lastet. Es wird mehr erwartet, als sie und die Tafeln leisten können.
Der Gang zur Tafel löst dauerhaft keine Probleme. Und dann fühle ich mich machtlos, da ich keine Pandemie, keinen Krieg, keine Energiekrise mit all ihren Auswirkungen auf die Tafeln beeinflussen kann.
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