Aus Stärken lernen
Vier Jahre nach dem ersten Lockdown wird sichtbar, wie tief die Spuren sind, die die Pandemie hinterlassen hat: nachwirkende Erschöpfung bei Mitarbeitenden in unseren Einrichtungen, psychische Belastungen bei Jugendlichen, Skepsis gegenüber politischen Entscheidungsträger:innen. Es ist dringend notwendig, dass wir uns dieser Folgen bewusst bleiben und uns eingestehen: Die Pandemie hat uns als Gesellschaft überrascht, über Krisenresilienz wussten wir wenig, manche Entscheidung würden wir mit dem Wissen von heute anders treffen.
Wir müssen aus Corona lernen. Dazu gehört, dass Krisengewinnler:innen, die kriminell die Notlage anderer ausnutzten, verurteilt werden. Politische Prozesse müssen daraufhin geprüft werden, ob Verantwortlichkeiten ausreichend klar geregelt waren. Und ob genug Vorsorge getroffen war.
Ein öffentlicher Wettstreit, wer rückblickend die meisten Fehler findet, hilft allerdings nicht. Ein solcher Wettstreit trägt giftige Züge, wenn Behörden-Mitarbeiter:innen in den sozialen Medien für vermeintliche Fehler an den Pranger gestellt werden.
Wir brauchen einen anderen Wettstreit - einen der Erinnerungen an die ungezählten Heldinnen und Helden der Coronakrise. In unseren Einrichtungen und Diensten, aber auch in den Verwaltungen der Sozial- und Gesundheitsbehörden haben Menschen selbstlos Verantwortung übernommen. In einer Situation, die für niemanden leicht zu beherrschen war, haben sie Tag und Nacht Kompetenz und Energie eingesetzt, um dem Virus den Kampf anzusagen. Sie gingen an den Rand der Erschöpfung und darüber hinaus, um vulnerable Mitbürger:innen, letztlich uns alle zu schützen.
Wenn wir aus Corona lernen wollen, darf sich der Blick nicht auf mögliche Fehler verengen. Stattdessen gilt es darauf zu schauen, dass und warum Menschen bereit waren, Verantwortung zu tragen und solidarisch zu sein. Eine Aufarbeitung, die Schuldzuweisungen in den Mittelpunkt stellt, wird für eine nächste Krise das Gegenteil von dem bewirken, was erreicht werden soll: Menschen werden weniger bereit sein, unter riskanten Bedingungen zupackend Entscheidungen zu treffen.
Insgesamt ist Deutschland gut durch die Coronazeit gekommen. Es gab ein dicht geknüpftes Netz von analogen und digitalen Austauschformaten, in denen Praxiserfahrungen und der Zuwachs wissenschaftlicher Erkenntnisse immer wieder abgeglichen wurden. Eine Kommission zur Aufarbeitung sollte daher neben Wissenschaftler:innen zuvörderst die einbeziehen, die die Pandemie aus der praktischen Perspektive bewältigt haben. Nur so können wir tun, was zählt: aus Stärken lernen.