Bundesumweltministerin Schulze im Klimaschutz-Gespräch mit der Caritas
DCV
Thomas Becker: Frau Ministerin Schulze, im Sommer 2019 hat das Bundesumweltministerium (BMU) ein neues Referat "Soziale Angelegenheiten der Umweltpolitik, Soziale Gerechtigkeit" gegründet. Wie kam es zu dieser Idee und der in der Folge intensiven Zusammenarbeit mit den Wohlfahrtsverbänden?
Svenja Schulze: Mich leitet die Überzeugung, dass für eine erfolgreiche Klima- und Umweltschutzpolitik soziale Fragen mitgedacht werden müssen. Daher habe ich gleich zu Beginn der Legislaturperiode eine Arbeitseinheit ins Leben gerufen, die sich den sozialpolitischen Wirkungen von Umweltpolitik widmet. Inzwischen gibt es einen fest etablierten und wertvollen Austausch meines Hauses mit den Wohlfahrtsverbänden. Beide Seiten können hier voneinander lernen - über die Hürden, aber auch die Chancen, die der Klima- und Umweltschutz für die sozialen Einrichtungen und Dienste bedeutet.
Es ist zum Beispiel deutlich geworden, dass die Sozialwirtschaft die Herausforderungen finanziell wie personell nicht aus eigener Kraft schultern kann. Als ein Ergebnis unserer Zusammenarbeit konnten wir für die Sozialwirtschaft zwei maßgeschneiderte Förderprogramme entwickeln. Die Gespräche offenbaren aber auch, wie stark das Thema Klimaschutz bereits in der Wohlfahrt angekommen ist. Ich bin beindruckt, wie viele wegweisende Projekte und Vorhaben die Sozialwirtschaft bereits auf den Weg gebracht hat.
Thomas Becker: Der Stromspar-Check der Caritas, seit Dezember 2008 mit der Förderung des Bundesumweltministeriums am Start, ist ein Erfolgsmodell. Auf Einladung der OECD konnte ich ihn sogar auf der UN-Klimakonferenz 2015 in Paris vorstellen.
Svenja Schulze: Der Stromspar-Check ist ein Vorhaben der Nationalen Klimaschutzinitiative des BMU. Gemeinsam mit dem Bundesverband der Energie- und Klimaschutzagenturen (eaD) gelingt es der Caritas seit über einem Jahrzehnt, in einem großen Teil unserer Gesellschaft einen "fairen" Klimaschutz zu verankern. Mehr als 970.000 Menschen wurden durch die zumeist arbeitslosen Stromsparhelfer(innen) vor Ort in ihren Wohnungen erreicht und für den Klimaschutz gewonnen.
Der Stromspar-Check hilft einkommensschwachen Haushalten konkret dabei, ihr Verhalten zu verändern und damit die Energierechnungen spürbar abzusenken. Im Durchschnitt haben die Haushalte seit Projektbeginn zwischen 170 und 276 Euro pro Jahr mehr im Portemonnaie. Das zeigt deutlich, wie sehr sich klimafreundliches Verhalten im wahrsten Sinn des Wortes auszahlen kann.
Auf dem Weg hin zu einer treibhausgas-neutralen Wirtschafts-, Arbeits- und Lebensweise sind Projekte wie der Stromspar-Check der Caritas wegweisend. Sie zeigen, dass umwelt- und sozialpolitische Aspekte zwei Seiten derselben Medaille sind.
Thomas Becker: Der Deutsche Caritasverband hat inzwischen eine Klimaschutzinitiative gestartet und auch auf seiner Delegiertenversammlung im Herbst 2020 politische Forderungen für einen sozial gerechten Klimaschutz verabschiedet.1 Dabei hat er sich eine Selbstverpflichtung auferlegt: "Für die verbandliche Caritas ist die Erreichung der Klimaneutralität bis zum Jahr 2030 ein ambitioniertes, aber der Problematik angemessenes Ziel." Wie kann das BMU die vielen Einrichtungen der Caritas dabei unterstützen?
Svenja Schulze: Die großen Aufgaben unserer Zeit - der demografische Wandel, die Digitalisierung und der Klimawandel - können nur mit einer gesamtgesellschaftlichen Kraftanstrengung gelingen. Die ökologische Transformation wird auch die Wohlfahrt extrem fordern. Damit Kitas, Senioreneinrichtungen oder Behindertenwerkstätten ihren CO2-Fußabdruck verringern können, müssen sie umfassende Veränderungen vornehmen. Ich denke hier an die energetische Sanierung des Gebäudebestands oder die Anschaffung klimafreundlicher Fahrzeuge. All das kostet Zeit, Geld und Know-how.
Um sich auf die Herausforderungen rund um den Klimawandel einzustellen, unterstützt das BMU soziale Dienste und Einrichtungen mit zwei neuen Förderprogrammen aus dem Konjunktur- und Zukunftspaket. Seit Herbst letzten Jahres können sie im Rahmen des Förderprogramms "Klimaanpassung in sozialen Einrichtungen" bis 2023 individuelle Beratungen, umfassende Konzepte und konkrete Maßnahmen beantragen, um sich an die Belastungen durch den Klimawandel anpassen zu können.
Sozialen Einrichtungen, die ihre Fahrzeugflotte auf rein batterieelektrische Neufahrzeuge umrüsten möchten, stehen bis 2022 im Rahmen des Programms "Sozial & Mobil" zudem 200 Millionen Euro zur Verfügung. Mit beiden Programmen setzen wir nicht nur wichtige Konjunkturimpulse in der Corona-Pandemie, sondern können auch gegen den Klimawandel und seine Folgen vorgehen und gleichzeitig das Arbeitsumfeld der Beschäftigten sowie die Lebensqualität betreuungsbedürftiger Menschen verbessern.
Thomas Becker: Das Problem sind die geforderten Eigenmittelanteile und die Beachtung der De-minimis-Regeln aus dem europäischen Beihilferecht. Der Sozialbereich ist damit überfordert.
Svenja Schulze: Der Bundesregierung ist bewusst, dass die Wohlfahrt gemeinnützig organisiert ist und damit die finanziellen Spielräume sehr begrenzt sind. Aus diesem Grund haben wir zum Beispiel bei unserem neuen BMU-Förderprogramm "Klimaanpassung in sozialen Einrichtungen" dafür gesorgt, den Eigenmittelanteil so gering wie möglich zu halten. Für finanzschwache Kommunen und Wohlfahrtsverbände übernimmt der Bund bis Mitte 2021 sogar teilweise die kompletten Kosten.
Im Rahmen des Förderprogramms "Sozial & Mobil" konnten wir eine Kumulierung mit dem Umweltbonus erreichen, wodurch die Mehrkosten für ein Elektrofahrzeug nahezu vollständig ausgeglichen werden können.
Aber wir müssen noch größer denken. Kurzfristige investive Förderprogramme werden nicht ausreichen, um in den kommenden Jahren und Jahrzehnten die ökologische Transformation in der Sozialwirtschaft zu schaffen. Bis dato sind diese Kosten nicht in den Regelfinanzierungssystemen abgebildet, und es fehlt an speziellen Kredit- oder Zuschussförderungen. Es ist daher vollkommen klar, dass perspektivisch über die Finanzierungsgrundlage der sozialen Dienste und Einrichtungen gesprochen werden muss.
Thomas Becker: Bei einem unserer Gespräche sagten Sie, dass Sie die politische Unterstützung der Wohlfahrtsverbände bei der Durchsetzung einer sozial gerechten Klimapolitik brauchen - insbesondere beim Vorschlag zu einer Klimaprämie.
Svenja Schulze: Alle Bürgerinnen und Bürger müssen unabhängig von ihrer sozialen Lage, ihrer Vermögenssituation oder ihrem gesellschaftlichen Status an den notwendigen klimapolitischen Maßnahmen aktiv teilhaben können. Daher haben wir bei der Ausgestaltung des Klimaschutzprogramms 2030 dafür gesorgt, die Maßnahmen sozialpolitisch zu flankieren. Das zeigt sich zum Beispiel beim CO2-Preis. Um niemanden zu überfordern, sind wir vor wenigen Wochen mit einem moderaten CO2-Preis gestartet. Über eine Deckelung beim Strompreis, das erhöhte Wohngeld und die höhere Pendlerpauschale haben wir zudem Entlastungen für Bürgerinnen und Bürger sichergestellt. Damit der CO2-Preis die notwendige Lenkungswirkung entfalten kann, wird er mit der Zeit ansteigen und auch in den Einrichtungen und Diensten der freien Wohlfahrtspflege zu spürbaren Veränderungen führen. Ob mittel- und langfristig weitere sozialpolitische Abfederungen notwendig sind, wird zu diskutieren sein.
Von Beginn an hatte ich für eine Klimaprämie geworben. Mit einem Prämienmodell würde klimafreundliches Verhalten beim Autofahren und Heizen noch stärker belohnt. Vor allem Haushalte mit geringerem Einkommen würden durch die Pro-Kopf-Rückzahlung spürbar entlastet werden. Bislang habe ich noch keine bessere Idee gehört.
Anmerkung
1. Siehe: Deutscher Caritasverband (Hrsg.): Stellungnahme "Klimaschutz ambitioniert und sozial gerecht gestalten"; Kurzfassung in: neue caritas Heft 1/2021, S. 30 ff.
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