Flucht und Migration: Die Grenzen der Europäischen Union
Wieder wurde die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit durch den Brand eines Flüchtlingslagers auf die katastrophale Situation gelenkt, in der sich Migrant(inn)en und Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen befinden. Dieses Mal an der kroatisch-bosnischen Grenze, wo zahlreiche Personen auf ihrem Weg nach Europa in Bosnien-Herzegowina ohne Obdach und adäquate Versorgung gestrandet sind.
Auf der Suche nach den Gründen werden die Dinge schnell komplex. Schon deshalb, weil wir es mit gemischten Menschengruppen zu tun haben, die nach Europa migrieren. Einerseits handelt es sich um Schutzsuchende, die in der Europäischen Union einen Asylantrag stellen wollen, andererseits geht es um Menschen, die der Not in ihrer Heimat entrinnen wollen und für sich und ihre Kinder ein besseres Leben erhoffen. Andere sind auf der Suche nach Arbeit und benötigen eine Perspektive, die es ihnen gegebenenfalls auch ermöglicht, Familienangehörige in ihren Herkunftsstaaten wirtschaftlich zu unterstützen. Allen gemein ist, dass sie in der Regel über keine Einreiseerlaubnis in die EU verfügen. Eine solche ist aber notwendig, um regulär in einen Staat einzureisen und sich dort aufhalten zu dürfen. Die meisten dieser Menschen bekommen keine reguläre Einreiseerlaubnis, da sie entweder die rechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllen oder weil nicht für jeden Fall legale Einreisemöglichkeiten in die EU vorgesehen sind.
Situation der Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen
Staaten haben grundsätzlich das Recht, die Einreisen in ihr Hoheitsgebiet zu kontrollieren und irreguläre Einreisen zu verhindern. Hierfür unterhalten die Staaten entsprechende Grenzschutzsysteme und behalten sich vor, Menschen ohne Einreiseerlaubnis an der Grenze zurückzuweisen. Dasselbe Prinzip gilt auch an den Außengrenzen der Europäischen Union. Ausnahmen bestehen für Menschen, die an der Grenze einen Antrag auf internationalen Schutz stellen. Diese dürfen nicht zurückgewiesen werden, sondern es muss anhand völker- und europarechtlicher Vorgaben geprüft werden, ob ihr Antrag begründet ist und ihnen Schutz gewährt werden muss.
In den vergangenen Jahren wurde jedoch vermehrt berichtet, dass Schutzsuchende unrechtmäßig an den Außengrenzen der EU zurückgewiesen werden und ihnen damit ihr Recht verwehrt wird, einen Asylantrag in der EU zu stellen. Diese sogenannten Pushbacks verletzen regelmäßig das sich aus der Genfer Flüchtlingskonvention ergebende Refoulement-Verbot (Grundsatz der Nichtzurückweisung). In jüngerer Zeit häufen sich die Berichte illegaler Zurückweisungen an den Außengrenzen der EU. Derzeit wird in mehreren Fällen geprüft, ob auch die Europäische Grenz- und Küstenwache (Frontex) an solchen Pushbacks beteiligt war.
Die EU-Mitgliedstaaten an den Außengrenzen befinden sich in der Situation, dass sie einerseits irreguläre Einreisen in die EU verhindern, andererseits aber Schutzsuchende in die EU einlassen sollen. Gleichzeitig sind sie in der Regel als Ersteinreisestaat sowohl für die Durchführung der Asylverfahren zuständig als auch bei einer Ablehnung des Asylgesuchs für die Durchführung der zwangsweisen Rückführungen in die Herkunftsstaaten. Damit tragen die Außengrenzstaaten zu einem großen Teil die Verantwortung allein. Hierzu sind sie nicht mehr bereit, da sie sich von den anderen EU-Mitgliedstaaten nicht ausreichend unterstützt fühlen.
Vorschläge der EU-Kommission
Um die Vielschichtigkeit der Problematik zu erfassen und um die desolate Situation an der EU-Außengrenze zu beenden, bedarf es eines multikausalen Ansatzes. Die Europäische Kommission hat im September letzten Jahres ein EU-Migrations- und Asylpaket vorgelegt. Dieses Paket umfasst neue Gesetzesvorschläge und Empfehlungen. Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass die EU-Kommission zwar bemüht ist, die komplexe Situation und die unterschiedlichen Haltungen der EU-Mitgliedstaaten in ein neues System zu gießen, das möglichst alle Aspekte berücksichtigt. Dabei legt sie aber den Schwerpunkt auf die Verhinderung irregulärer Einreisen und Weiterwanderungen sowie auf Rückführungen und belässt einen großen Teil der Verantwortung weiterhin bei den Mitgliedstaaten an der EU-Außengrenze.
Resultat ist, dass sich die EU-Mitgliedstaaten bei ihren Verhandlungen über den Vorschlag der EU-Kommission wieder auf ihre bisherigen Positionen zurück[1]gezogen haben. Einige Staaten wollen keine Personen aufnehmen, andere fordern mehr Solidarität und Verantwortungsteilung. Derzeit scheint es daher nicht absehbar, wann sich die EU-Mitgliedstaaten in dieser Frage einigen können.
Positionen der Caritas zum EU-Migrations- und Asylpaket
Caritas Europa hat auch Position1 zu den Vorschlägen der EU-Kommission bezogen. Der Deutsche Caritasverband war neben anderen nationalen Caritas-Organisationen an der Ausarbeitung beteiligt und hat sich die Positionen zu eigen gemacht. Einige der Positionen werden nachfolgend benannt:
◆ Aus Sicht der Caritas sollte der von der EU-Kommission vorgeschlagene, komplizierte Solidaritätsmechanismus deutlich vereinfacht werden, damit er verlässlich und nachhaltig wird. Die vorgesehenen sogenannten Rückkehrpatenschaften, mittels derer die Mitgliedstaaten ihre Solidarität bei den Rückkehrbemühungen eines anderen Mitgliedstaates zeigen können, sollten abgeschafft werden. Vielmehr sollten für die Mitgliedstaaten Anreize zur Übernahme von Schutzsuchenden geschaffen werden, um effizientere Beiträge zur Solidarität und Verantwortungsteilung untereinander zu leisten.
◆ Im Rahmen der Zuständigkeitsbestimmung empfiehlt die Caritas, das Ersteinreisekriterium abzuschaffen, das dem Staat der ersten Einreise die Zuständigkeit für die Durchführung der Asylverfahren auferlegt. Vielmehr sollten positive Anreize gesetzt werden, um sicherzustellen, dass Schutzsuchende im zuständigen Mitgliedstaat verbleiben. Damit verbunden sollte eine begrenzte Freizügigkeit für anerkannte Schutzberechtigte gewährt werden. Dies könnte bewirken, dass sich die Schutzberechtigten aufgrund dieser Perspektive freiwillig an das System halten.
◆ Die Übernahme von Schutzsuchenden in andere Mitgliedstaaten sollte direkt nach dem von der EU-Kommission vorgesehenen Screening erfolgen. Das in den Vorschlägen der EU-Kommission für bestimmte Personengruppen vorgesehene beschleunigte Grenzverfahren sollte aus Sicht der Caritas nicht verpflichtend sein. Vielmehr könnte eine vereinfachte Fallbearbeitung für Asylanträge erfolgen, die offensichtlich gut begründet sind, um die Verfahren zu beschleunigen. Eine regelhafte Inhaftnahme sollte verhindert werden.
◆ Insgesamt ruft die Caritas die EU und ihre Mitgliedstaaten dazu auf, eine positivere Sicht auf Migration zu fördern und die Beiträge von Migrant(inn)en für Gesellschaft und Wirtschaft anzuerkennen. Es müssen konkrete Initiativen für Arbeitsmigration geschaffen werden, auch und insbesondere für gering- und nicht qualifizierte Arbeitskräfte.
◆ Komplementäre Zugangswege müssen genutzt und europäische humanitäre Aufnahmeprogramme eingerichtet werden. Menschen hingegen, die auf Neuansiedlung warten, muss Zugang zu EU-Ländern gewährt werden. Hierzu müssen zusätzliche Plätze für Neuansiedlungen zugesagt und die Kontingente erhöht werden.
Menschenwürdige Grenzen
Grundsätzlich ist Grenzschutz ein legitimes Mittel staatlicher Autonomie. Allerdings müssen Grenzschutzsysteme immer auch menschenwürdig ausgestaltet sein. Sie dürfen nicht dazu führen, dass unter dem Vorwand von Sicherheits- oder Rechtsdurchsetzungserwägungen Verletzungen von Menschenrechten an den Grenzen vorgenommen oder billigend in Kauf genommen werden.
Es bedarf daher einer differenzierten, auf der Menschenwürde basierenden Herangehensweise, die die unterschiedlichen Konstellationen in den Blick nimmt. Migrant(inn)en, die an den EU-Außengrenzen in Nachbarländern ankommen, müssen zunächst vor Ort adäquat versorgt und untergebracht werden. Die existenziellen Grundbedürfnisse der Menschen müssen befriedigt und Perspektiven für die Zukunft aufgezeigt werden. Die EU hat bereits aufgrund der unmittelbaren Nähe zu den Nachbarstaaten eine erhöhte humanitäre Verantwortung. Gleichzeitig müssen legale Zugangswege in die EU jenseits der bislang bestehenden Möglichkeiten eröffnet werden, insbesondere im Hinblick auf Möglichkeiten zur Arbeitsmigration für gering- und nicht qualifizierte Menschen.
Schutzsuchenden muss der Zugang zum Schutz an den EU-Außengrenzen ermöglicht werden. Pushbacks verletzen internationales und europäisches Recht und sind illegal. Es braucht unbedingt einen Mechanismus, der die Verantwortlichen solcher Zurückweisungen zur Rechenschaft zieht. Insbesondere ist ein unabhängiger Monitoring-Mechanismus an den EU-Außengrenzen unabdingbar.
Die besonders belasteten EU-Mitgliedstaaten an den Außengrenzen der EU müssen solidarisch unterstützt werden. Ein Zusammenschluss der Willigen, bei dem sich eine Gruppe von Mitgliedstaaten verpflichtet, Schutzsuchende aus Außengrenzstaaten aufzunehmen, könnte auch diese dazu bewegen, Schutzbedürftige menschenwürdig aufzunehmen und human zu versorgen. Dies könnte ein erster gemeinsamer Schritt sein, um die Begriffe Solidarität und Verantwortungsteilung wieder mit Leben zu füllen.
Um zu verhindern, dass Schutzsuchende lebensgefährliche Wege auf sich nehmen, um in die EU zu gelangen, müssen komplementäre Zugangswege erleichtert und geschaffen sowie Neuansiedlungen im Rahmen des Europäischen Resettlement-Programms zugesagt und die Kontingente erhöht werden. Insgesamt benötigt eine menschenwürdige Migrations- und Flüchtlingspolitik eine grundlegende Veränderung der politischen Ausrichtung der einzelnen Staaten hin zu einer solchen, die internationale Zusammenarbeit ernst nimmt und die anstelle von "burden shifting", also der Auslagerung von Verantwortung, "burden sharing", also Verantwortungsteilung, wieder stärker in den Mittelpunkt staatlichen Handelns stellt.
Anmerkung
1. Alle Positionen der Caritas in: Caritas Europa: Analyse und Empfehlungen zum neuen Migrations- und Asylpaket der EU; www.caritas.de/fuerprofis/presse/stellungnahmen/01-27-2021-caritas-positionspapier-zum-migrations-und-asyl-paket-der-e
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