Wie können Opfer von Menschenhandel auch in Corona-Zeiten beraten werden?
Die Fachberatungsstellen von Jadwiga in München und Nürnberg beraten und unterstützen Frauen und Mädchen, die Opfer des internationalen Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung oder der Arbeitsausbeutung geworden sind. Auch helfen sie Frauen, die von einer - manchmal auch drohenden - Zwangsheirat betroffen sind. Träger ist die gemeinnützige GmbH "STOP dem Frauenhandel". Von den beiden Beratungsstellen aus wurden über Jahre eine Reihe von "Frauencafés" wöchentlich oder alle 14 Tage, manche monatlich, in den Erstaufnahmestellen für Flüchtlinge betrieben. "Die Cafés sind ein Lichtblick in der Eintönigkeit des Lebens in den Unterkünften", sagt Zyle Veliqi, eine der Beraterinnen von Jadwiga. Die Mitarbeiterinnen der Fachberatungsstelle richten mit ehrenamtlichen Helferinnen Früchte und Kekse, Kaffee, Tee und Saft her und schaffen eine einladende Atmosphäre. Ziel dieses Angebotes ist es, einen Schutzraum für Frauen zu schaffen, gegenseitige Unterstützung anzuregen, Informationen über Ärzte oder Hebammen zu vermitteln, aber auch über Menschenhandel aufzuklären, damit Frauen nicht im Umfeld der Unterkünfte Opfer werden.
"Im Rahmen der Frauencafés kommen wir mit den Frauen ins Gespräch und können Betroffene von Menschenhandel und Zwangsheirat identifizieren", so Veliqi. Dies sei sehr wichtig, um diese besonders schutzbedürftige Gruppe von weiblichen Flüchtlingen zu unterstützen und bei akuter Gefährdung geeignete Schritte zum Schutz der Frauen einzuleiten. Bis zu den Beschränkungen im Frühjahr dieses Jahres kamen jeweils bis zu 20 Frauen jede Woche in diese Frauencafés. Zyle Veliqi betreute regelmäßig zwei Frauencafés. Die Juristin aus dem Kosovo hat mittlerweile seit fünf Jahren Erfahrung mit Flüchtlingsfrauen, die Opfer von Menschenhandel wurden. "Die Frauen sprechen nicht direkt über ihr Schicksal", sagt Veliqi. "Aber wir wissen, dass viele Frauen, die durch die Sahara nach Libyen und über das Meer kamen, Opfer von Menschenhandel geworden sind." Die Täter sähen in ihnen eine Handelsware mit dem Ziel der sexuellen Ausbeutung in Europa. Vor allem Frauen aus Nigeria, aber auch aus Sierra Leone und anderen afrikanischen Ländern seien auf der Reise schon zur Prostitution gezwungen worden oder in Bordellen - sogenannten "Connection Houses" - in Tripolis gelandet. Es brauche einen Prozess der Vertrauensbildung, bis die Frauen über ihre Erfahrungen sprechen könnten. "Manchmal dauert es sehr lange", weiß Veliqi aus ihrer Erfahrung. "Das Thema der sexuellen Ausbeutung kann zunächst nur indirekt angesprochen werden. Wir stellen erst mal unsere Arbeit und Unterstützungsmöglichkeiten vor." Häufig ersuchten betroffene Frauen nach der Veranstaltung um einen persönlichen Beratungstermin. Spreche beispielsweise eine Frau von Schulden oder wurde ihr der Pass abgenommen, könnten das Hinweise auf Frauenhandel sein.
Finanzielle Abhängigkeit und Gewalt
Der Fall von Blessing1, die die Beraterinnen von Jadwiga über mehrere Jahre begleiteten, ist so typisch wie erschütternd. In instabilen Verhältnissen bei Verwandten in Nigeria aufgewachsen, sollte die junge Frau mit 17 Jahren an einen Freund des Onkels gegen gute Bezahlung verheiratet werden. Eine Freundin der Tante, die in Italien lebte, lockte sie mit falschen Versprechungen, mit ihr zu kommen. Blessing sah ihre Chance, der ungewollten Ehe zu entkommen. Sie ahnte nicht, dass die Freundin eine "Madame" war, die Mädchen für die Prostitution in Italien anwarb. In dem landesüblichen Juju-Ritual (einem westafrikanischen Volkszauber) wurde sie zu absolutem Gehorsam ihrer neuen Arbeitgeberin und ihren Helfern gegenüber verpflichtet. Da die Armutsrate in Nigeria sehr hoch ist, lassen sich viele junge Frauen mit Versprechungen auf gute Jobs locken.
Zur Prostitution in Italien gezwungen
Blessing wurde wie viele andere Frauen von Schleppern auf Lastwagen durch die Sahara nach Libyen gebracht. Das Boot, das sie nach Italien bringen sollte, wurde von der Küstenwache aufgegriffen, und mit vielen anderen Frauen wurde sie in einem Lager in Libyen gefangen gehalten. Dieser Hölle entkam sie, weil ihre Arbeitgeberin sie aus dem Lager "freikaufte" und eine neue Überfahrt organisierte. Als Blessing schließlich in Italien bei ihrer angeblichen Arbeitgeberin ankam, erfuhr sie, dass sie nun 35.000 Euro Schulden bei der "Madame" habe. Sie wurde gezwungen, das Geld auf dem Straßenstrich zu verdienen. Wenn sie zu wenig verdiente, wurde sie geschlagen. Für Essen und Wohnen häuften sich weitere Schulden auf ihrem Konto an, so dass sie die Hoffnung verlor, sich jemals freikaufen zu können.
Ein langer Weg, bis Opfer einen Schutzstatus erhalten
Blessing gelang schließlich die Flucht nach Deutschland. Häufig würden die Frauen, die aus der Prostitution aussteigen wollen, jedoch innerhalb von Italien wieder von Landsleuten aufgegriffen, zurückgebracht und wieder zur Prostitution gezwungen. "Die Angst, wieder in die Fänge dieses Systems von Prostitution und Ausbeutung zu gelangen, ist riesengroß", sagt Veliqi. Auch in Deutschland fürchten die Frauen, erkannt zu werden. Blessing brauchte lange, bis sie über ihre Erfahrungen sprechen konnte. Wegen des Dublin-Abkommens drohte ihr die Abschiebung nach Italien. Erst in dieser Zwangslage konnte sie sich offenbaren. "Aber auch dann war es noch ein langer Weg, um einen Schutzstatus für sie zu erhalten", erläutert die Beraterin. Die Klientin dabei zu begleiten, sie zu stabilisierten, Mut zu machen, aber auch Möglichkeiten zur Integration zu finden, sei ihre vornehmliche Aufgabe. "Wir setzen uns dafür ein, dass von Menschenhandel betroffene Frauen im Asylverfahren oder beim Verwaltungsgericht ihre Rechte und ihren Schutz erhalten."
Überleben in Corona-Zeiten
Trotz der Beschränkungen und der Schließung der Cafés im Frühjahr wurden die Frauen durch die gute langjährige Zusammenarbeit mit den Sozialberater(inne)n in den Unterkünften in Krisenfällen an Jadwiga vermittelt. "Diese erste Zeit war für betroffene Frauen sehr schwierig. Es war notwendig, neben der telefonischen Beratung auch einige persönliche Beratungen durchzuführen", erzählt Veliqi. Ende Mai, nach den strengen Kontaktbeschränkungen, stiegen die Beratungszahlen stark an. "Die Frauen mussten zuerst ihr Überleben unter Corona-Bedingungen sichern, dann konnten sie sich wieder ihren seelischen Problemen zuwenden", so die Beraterin. Durch die Corona-Pandemie seien viele Frauen in andere Unterkünfte in Bayern verlegt worden. Das erschwerte die Arbeit und eine persönliche Beratung zusätzlich. Inzwischen entwickelten die Beraterinnen jedoch auch kleinere Formate als die Frauencafés, um die Frauen zu erreichen. Sie organisieren Spaziergänge und Workshops mit wenigen Teilnehmerinnen.
Aufnahme ins Asylverfahren mit geschultem Personal
Die Leiterin der Fachberatungsstelle Jadwiga, Monika Cissek-Evans, hofft sehr, dass die Arbeit in den Frauencafés bald wieder aufgenommen werden kann. Mit dem direkten Angebot vor Ort könnten sie auch Frauen erreichen, die sich stark zurückgezogen hätten. "Viele Frauen sind traumatisiert und verängstigt. Nur nach längeren Kontakten in vertraulichen Gesprächen können die Frauen von dem Horror berichten, den sie im Heimatland, in Libyen oder in Italien durchgemacht haben. Überhaupt wäre es wichtig, schon bei der Aufnahme ins Asylverfahren eine Identifizierung vulnerabler Gruppen mit geschultem Personal durchzuführen", fordert Cissek-Evans.
Die Frauencafés und das Beratungsangebot werden vom Erzbischöflichen Ordinariat München und Freising sowie über das Caritas-Projekt "Unterstützungsangebote beim Empowerment von geflüchteten Mädchen, Frauen und Familien sowie anderen besonders schutzbedürftigen Personen" unterstützt und finanziell auch von der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung bezuschusst. Der IN VIA Verband Bayern als Fachverband der Caritas und einer der beiden Gesellschafter der gemeinnützigen Organisation "STOP dem Frauenhandel" macht dies möglich.
Anmerkung
1. Name geändert.
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