Die Rente ist...sicher, armutsfest und geschlechtergerecht
Pünktlich zum verabredeten Termin hat die Kommission Verlässlicher Generationenvertrag am 27. März 2020 dem Bundesarbeitsminister ihren Abschlussbericht vorgelegt.1 Die öffentliche Resonanz war denkbar gering. Nur elf Tage zuvor hatten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten auf weitgehende Beschränkungen des öffentlichen Lebens verständigt, um die Infektionsketten der Covid-19-Pandemie zu durchbrechen. Die konkrete Umsetzung des "Lockdowns" einerseits und die Abfederung ungewollter Nebeneffekte andererseits absorbierten bis in den Mai die politische Aufmerksamkeit. Sozialpolitik in Zeiten von Corona war und ist bestimmt von kurzfristigen Erfordernissen, von Erleichterungen beim Kurzarbeitergeld, von Lockerungen bei der SGB-II-Beantragung und von der Absicherung der sozialen Infrastruktur.2
Inzwischen sind es aber die erkennbaren Folgen der Corona-Krise selbst, die neues Interesse an der Rentenpolitik wecken: Die Einnahmen der Sozialversicherungen brechen, ähnlich wie die Steuereinnahmen, ein; die Zahl der Arbeitslosen steigt, die der Erwerbstätigen sinkt; wesentliche Einflussfaktoren der privaten Alterssicherung geraten ins Trudeln. Die vorläufige Aussetzung der parlamentarischen Beratung der vom Bundeskabinett beschlossenen Grundrente hat bald nach Beginn der Krise deutlich gemacht, dass sich Sozialpolitik ihrer großen Themen unter veränderten Vorzeichen (nach der Krise) annehmen wird. Der Bericht der Generationenvertragskommission wird im Herbst neu zur Hand genommen werden, wenn es darum geht, akute politische Handlungsnotwendigkeiten und langfristige Leitplanken aufeinander zu beziehen.
Beiträge zur gesetzlichen Rente sollen sich lohnen
Der Deutsche Caritasverband (DCV) gehört schon jetzt zu den aufmerksamen Leser(inne)n des Berichts. Denn: Eine verlässliche Alterssicherungspolitik ist wesentliche Voraussetzung dafür, dass sich Angst vor Armut im Alter nicht wie ein Bleigewicht auf die Gesellschaft senkt. Wer im Erwerbsleben seine Existenz aus Arbeit sichern kann, soll auch im Rentenalter auskömmlich abgesichert sein. Diesen Anspruch des Generationenvertrags hat die Kommission mit Nachdruck bekräftigt. Und sie hat dafür ein konkretes Instrument empfohlen: Zukünftig soll mit dem Rentenversicherungsbericht jährlich der Grundsicherungsabstand der gesetzlichen Rente berechnet werden.3 Wer in die Rentenversicherung eingezahlt hat, soll über mehr Rente verfügen als jemand, der aus Grundsicherung im Alter abgesichert ist. Der Anreiz, Beiträge in die gesetzliche Rente zu zahlen, soll (zum Beispiel auch für Minijobber(innen)) gestärkt werden, indem die Rente auf diese Weise auf das Ziel der Armutsfestigkeit bezogen wird. Die gesetzliche Pflicht zur Rentenbeitragszahlung wird gegen Widerstände immunisiert; sichtbar wird, dass sich die Eigenvorsorge fürs Alter lohnt.
Die Einlösung dieser Zusage ist eine dauerhafte politische Aufgabe; im bestehenden System sind dazu Sicherungen eingebaut. Eine an der Bruttolohnsumme orientierte Einnahmedynamik (der gesetzlichen Rentenversicherung) ist um ein Vielfaches stabiler als eine mit dem Aktienindex schwankende Entwicklung privater Vorsorgeprodukte. Betrachtet man die Entwicklung des Dax und die Bruttolohn- und -gehaltssumme (BLS) in den letzten fünf Jahren, so ist die kontinuierlich steigende Entwicklung der BLS ein Garant steigender Renten, während die Fieberkurve der Börse bei insgesamt günstigem Verlauf auch deutliche Einbrüche zu verzeichnen hat. Der tiefe Fall des Dax 30 innerhalb weniger Tage im März 2020 ist deutlich gravierender als der coronabedingte Einbruch der Lohnsumme ausgefallen. Für die Einnahmen der Rentenversicherung gilt darüber hinaus: Die Beitragszahlung bei Kurzarbeit bremst den Einnahmeausfall so wirksam ab, dass einer 50-prozentigen Reduzierung der Arbeitszeit in Kurzarbeit ein zehnprozentiger Beitragsausfall entspricht. Einnahmeentwicklung der Sozialversicherung, Rentenniveauentwicklung und persönliche Rentenbiografie wurden gleichermaßen erfolgreich stabilisiert Dringlich machen die Erfahrungen der Corona-Krise die Einbeziehung der Selbstständigen in die Sozialversicherung. Von den 4,3 Millionen Selbstständigen (inklusive mithelfenden Familienangehörigen) sind nur 300.000 in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert (darunter circa 180.000 Künstler(innen) und Publizist(inn)en und 50.000 Handwerker(innen)). Weitere 200.000 Selbstständige sind in der Alterssicherung der Landwirte, 400.000 in den berufsständischen Versorgungswerken. Knapp 3,4 Millionen Selbstständige verfügen über keine obligatorische Absicherung ihrer Einkünfte für das Alter. Ehemals Selbstständige sind im Alter überproportional bedürftig, also auf Grundsicherungsleistungen angewiesen. Sie machen fast ein Fünftel der Bezieher(innen) von Grundsicherung im Alter aus (17 Prozent), während sie in der gleichaltrigen Vergleichsgruppe derer, die keine Grundsicherung beziehen, nur mit einem Zehntel vertreten sind. Die Grundsicherungsquote ist bei den ehemaligen Selbstständigen mit knapp vier Prozent nahezu doppelt so hoch wie bei Personen, die abhängig beschäftigt gewesen sind.4
Selbstverständlich sozialversichert
Nicht nur für die "neuen Selbstständigen", die ihre Arbeitskraft über Online-Plattformen anbieten und denen die Kommission besondere Aufmerksamkeit schenkt, ist die Versicherungsfreiheit ein Nachteil; in Krisenzeiten wie der Corona-Pandemie wird dies doppelt deutlich: Auch wenn Bund und Länder kleinen Selbstständigen mit steuerfinanzierten Corona-Rettungsmaßnahmen unbürokratisch unter die Arme gegriffen haben, ist die Kombination aus Kurzarbeitergeld und Rentenbeitragszahlung für abhängig Beschäftigte das ungleich nachhaltigere soziale Sicherungspaket. Es sollte zu einer Unternehmensgründung ebenso selbstverständlich dazu gehören, dass die Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit sozialversicherungspflichtig sind wie die Steuerpflicht der Gewinne. In hybriden Erwerbsverläufen, in denen phasenweise und synchron Einkommen aus selbstständiger und aus abhängiger Tätigkeit kombiniert werden, ist nur mit einer Sozialversicherungspflicht beider Einkommensbestandteile ein ausreichender Schutz gegen Altersarmut zu gewährleisten.5
Die Generationenvertragskommission unterstützt das Vorhaben des Koalitionsvertrages, eine "gründerfreundlich ausgestaltete Altersvorsorgepflicht"6 einzuführen. Aus Sicht der Caritas ist es eine der dringlichsten Lehren der Corona-Krise, dass dieser erste Schritt in Richtung Rentenversicherungspflicht nun ohne weitere Verzögerungen getan wird.
Frauen sind bei der Alterssicherung oft benachteiligt
Völlig richtig betont die Kommission auch: "Für die Einzelnen ist eine möglichst durchgängige Erwerbsbiografie bis zur Regelaltersgrenze und in guter Arbeit mit guten Löhnen eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine auskömmliche Altersversorgung."7 Lücken in der Versicherungsbiografie sind individuell das größte Altersarmutsrisiko - egal, ob sie am Anfang, am Ende oder in der Mitte des Erwerbslebens entstehen. Familienbedingte Lücken in der Erwerbsbiografie sind bei Frauen besonders häufig anzutreffen - seien sie durch Erziehungsaufgaben oder durch familiäre Pflege verursacht.
Lücken in der Erwerbsbiografie sind das größte Armutsrisiko
Zu einer Steigerung der Erwerbsbeteiligung von Frauen können insbesondere eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine partnerschaftliche Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit beitragen, meint die Kommission. Sie empfiehlt dazu einen "Gender-Check" - mit seiner Hilfe soll eine Folgeabschätzung von Gesetzen auf die Alterssicherung von Frauen und Männern gelingen. Hier hätte die Caritas sich - nach vielen Jahren der Diskussion - konkretere Vorschläge vorstellen können: Die Einführung eines permanenten Rentenanwartschaftssplittings (auch laufender Versorgungsausgleich genannt) könnte dazu beitragen, die Nachteile des aktuellen Rentensplittings ebenso zu überwinden wie die rollenstereotypisierende Wirkung der Hinterbliebenenversorgung. Empfehlungen, die Reform des Rentenrechts für Verheiratete mit der Reform des Ehegüterrechts zu verknüpfen, liegen auf dem Tisch.
Die Alterssicherung als Generationenvertrag über eine beitragsbezogene umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung bietet keine Garantie, im Alter eine bestimmte Summe monatlich auf dem Konto zu haben. Allerdings bietet dieses System ein Höchstmaß an Sicherheit in Bezug auf die Teilhabe am Einkommen der Erwerbstätigen. Mit den eigenen Beiträgen wirksam Vorsorge fürs Alter leisten zu müssen, ist das Vorrecht der Erwerbspersonen im deutschen Sozialstaat. Für diejenigen, deren Teilhabe- und Erwerbschancen schon im erwerbsfähigen Alter abbrechen, ist der Staat ergänzend in der Pflicht, eine Altersgrundsicherung zu gestalten, die eine menschenwürdige Existenz gewährleistet.
Anmerkungen
1. Informationen zur Kommission, zu ihrem Auftrag und dem Abschlussbericht finden sich unter www.verlaesslicher-generationenvertrag.de
2. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Kurzlink: https://bit.ly/3bagcHF
3. Bericht der Kommission Verlässlicher Generationenvertrag Band I, Empfehlungen, S. 72, siehe www.verlaesslicher-generationenvertrag.de/bericht-der-kommission
4. Bericht der Kommission Verlässlicher Generationenvertrag (Band I, Empfehlungen), S. 100 f.
5. Vgl. Welskop-Deffaa, E. M.: Rente in der Arbeitswelt 4.0 - neun Thesen. In: Deutsche Rentenversicherung 1/2017, S. 102- 117. Siehe auch Welskop-Deffaa, E. M.: Ökonomie 4.0 mitbedenken. In: neue caritas Heft 3/2019, S. 5 und WelskopDeffaa, E. M.: Der digitale Nomade ist genauso schutzbedürftig wie der Industriearbeiter. In: neue caritas Heft 11/2018, S. 9
6. Bericht der Kommission, a. a.O., S. 101.
7. Bericht der Kommission, a. a.O., S. 105.
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