Wie das Bundesteilhabegesetz die Arbeit rechtlicher Betreuer beeinflusst
Das Amt rechtlicher Betreuerinnen und Betreuer ist umfangreich, verantwortungsvoll und oftmals auf sehr verschiedene Belange eines betreuten Menschen ausgerichtet. Vielfältige Kenntnisse sind gefordert, gerade auch in rechtlichen Fragen. Darüber hinaus braucht es Mut und Empathie, einen anderen Menschen bei seinen Entscheidungen zu unterstützen. Mit diesen Fähigkeiten ausgestattet können rechtliche Betreuer(innen) ein wichtiger Teil der Unterstützung sein, die Menschen bei der Ausübung ihrer rechtlichen Handlungsfähigkeit gegebenenfalls benötigen.1 Für diejenigen, die aufgrund einer Krankheit oder Behinderung nicht ausreichend für ihre eigenen Belange eintreten können oder denen es nicht möglich ist, für ihre Angelegenheiten selbst zu sorgen2, ist es mitunter schwierig oder sogar unmöglich, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Einer vollen und gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft können sie oft nur mit Hilfe geeigneter Unterstützung näher kommen.
Ein großer Teil rechtlicher Betreuungen wird ehrenamtlich, insbesondere von Angehörigen, geführt. Das entspricht der Vorgabe des Gesetzes, das den Vorrang des Ehrenamts normiert.3 Da die Aufgaben anspruchsvoll und immer wieder von gesetzlichen Änderungen tangiert sind, müssen gerade ehrenamtliche Betreuer(innen) wissen, wie sie sich informieren und beraten lassen können.
In diesem Jahr sorgt etwa das Bundesteilhabegesetz (BTHG) mit einer Vielzahl von Neuregelungen für mehr Bedarf an Beratung. Die Änderungen sind für den Personenkreis rechtlich betreuter Menschen von großer und oft existenzieller Relevanz. Erklärtes Ziel des Gesetzes ist es - neben der Eindämmung der Kostendynamik für die Kostenträger -, den Leistungsberechtigten ein Plus an Selbstbestimmung zu ermöglichen: Ihre Rechte auf Mitwirkung im Verfahren sowie bei der Gestaltung und Inanspruchnahme von Leistungen will das BTHG deutlich stärken. Doch gestärkte Rechte führen zugleich zu mehr Pflichten und mehr eigenem Einsatz bei der Mitwirkung und Gestaltung.
Teilhabeleistungen aktiv einfordern
So wurde das Recht der Eingliederungshilfe aus der sozialhilferechtlichen Fürsorge (SGB XII) herausgelöst und in das Teilhaberecht (SGB IX) überführt. Was heißt das aber für die Betroffenen? Praktisch bedeutet es zunächst, dass es nicht mehr ausreicht, dass die Behörde davon erfährt, dass eine Person einen Bedarf an Leistungen zur Eingliederungshilfe hat. Die Kenntnis von der Bedarfslage allein verpflichtet den Eingliederungshilfeträger nicht mehr, von Amts wegen Eingliederungshilfe zu leisten. Es ist nun ein Antrag zu stellen.4 Dieses Antragserfordernis nimmt Betroffene - und damit zugleich ihre rechtlichen Betreuer(innen) - in die Pflicht, Leistungen zur Teilhabe selbst aktiv einzufordern. Damit einher geht die Notwendigkeit eines Fristenmanagements. Zwar bedarf ein Antrag auf Eingliederungshilfe keiner bestimmten Form. Er muss lediglich die Identität des Antragstellers oder der Antragstellerin erkennbar werden lassen und das Leistungsbegehren benennen. Trotzdem ist Aufmerksamkeit gefordert und Entscheidungen sind zu treffen: ob ein Antrag zu stellen ist, wofür und wann und ob möglicherweise die Verlängerung einer Leistung zu beantragen ist.5 Ist der Antrag einmal gestellt, so wirkt er auf den Ersten des Monats zurück, auch dann, wenn von der Behörde später noch weitere Angaben und Informationen eingefordert werden oder ergänzende Ermittlungen durchzuführen sind. Damit ist es für Betroffene wie für rechtliche Betreuer(innen) ratsam, allein zur Fristwahrung einen Antrag zu stellen, auch wenn noch nicht alle Details vorab geklärt werden können. So kann sichergestellt werden, dass später ab dem Monat der Antragstellung die Leistung erbracht wird.
Wo können sich betreute Menschen und ihre rechtlichen Betreuer(innen) über Ansprüche nach dem BTHG informieren? Wie kann gerade dieser Personenkreis von einem Gesetz profitieren, das ein großes Maß an Mitwirkung und Entscheidungen erfordert? Das BTHG enthält etliche Vorgaben, Informationen, Beratung und Unterstützung bereitzustellen: Maßnahmen, die rechtliche Betreuer(innen) einfordern und nutzen sollten. Die Aufgabe der Betreuer(innen) setzt dort an, wo ohne Unterstützung Mitwirkungspflichten nicht erfüllt werden können oder von Gestaltungsrechten kein Gebrauch gemacht werden kann. Also dort, wo das BTHG die Selbstbestimmung einzuschränken droht, anstatt sie zu stärken. Dazu muss - wie generell im Rahmen der Betreuertätigkeit - stets von Neuem und individuell in jeder Situation entschieden werden, in welchem Umfang betreuerische Unterstützung nötig ist: Das Ziel muss dabei immer sein, die notwendige und bestmögliche Durchsetzung von Ansprüchen für ein selbstbestimmtes Leben entsprechend den Wünschen und Präferenzen der Betroffenen zu erreichen.
Noch immer gibt es Regelungen mit Fürsorgecharakter
Um die Möglichkeiten des Teilhaberechts ausschöpfen zu können, ist es wichtig, sich der Chancen und Grenzen des Gesetzes bewusst zu sein. So finden sich noch immer diverse Regelungen mit Fürsorgecharakter auch im neuen Eingliederungshilferecht.6 § 12 SGB IX enthält etwa eine Verpflichtung der Rehaträger - ebenso wie der Jobcenter, Pflegekassen und Integrationsämter -, mittels geeigneter Maßnahmen zur Information und Aufklärung möglichst frühzeitig Rehabilitationsbedarfe zu erkennen. Bedarfe sollen dabei in ihrer Gesamtheit und auch jenseits der eigenen Zuständigkeit betrachtet werden. Sofern ein Bedarf erkannt wird, muss der Rehaträger den Betroffenen und ihren rechtlichen Betreuer(inne)n Unterstützung gewähren, indem er auf eine Antragstellung hinwirkt. Das heißt, die Behörde ist zwar nicht verpflichtet, Eingliederungshilfeleistungen zu gewähren, für die kein Antrag vorliegt. Jedoch hat sie erforderlichenfalls auf eine Antragstellung hinzuwirken, soweit sich dies mit den berechtigten Wünschen7 der betroffenen Person deckt. Umgekehrt handeln Rehaträger pflicht- und rechtswidrig, wenn sie diesen Vorgaben nicht gerecht werden und etwa durch ungeeignete Antragsformulare die Leistungsbewilligung oder die Antragstellung selbst vereiteln.8 Schadensersatzansprüche im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs können die Folge sein: Ein Antragsteller würde beispielsweise so gestellt, als sei eine ausreichende Unterstützung beim Hinwirken auf die Antragstellung geleistet worden und die Antragsfrist demnach nicht nutzlos verstrichen.
Beratung soll auch Persönliches Budget umfassen
Das behördliche Beratungsangebot soll auch über die Ziele und Inhalte von Teilhabeleistungen aufklären und das Verfahren der Inanspruchnahme erläutern, vor allem die Ausführung der Leistung als Persönliches Budget.
Daneben muss über die zusätzlich geschaffene Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung (EUTB)9 informiert werden. Sie steht Ratsuchenden schon im Vorfeld eines Verfahrens zur Verfügung und berät über Möglichkeiten, Rechte und Pflichten. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie unabhängig sowohl von Leistungsträgern als auch von Leistungserbringern ist - oder jedenfalls sein sollte. Es ist ein kostenfreies, ortsnahes, niedrigschwelliges Angebot und fast flächendeckend zu finden.10 Es eignet sich daher sehr gut als fundierte Unterstützung und als Empowerment ratsuchender Betroffener und ihrer rechtlichen Betreuer(innen). Die Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung bietet in besonderem Maß eine Chance, die Position der Betroffenen im Verfahren zu stärken.
Unabhängige Teilhabeberatung bereits im Vorfeld
Für rechtliche Betreuer(innen) gilt es, auf eine gelingende Umsetzung der Regelungen des BTHG zu pochen und die im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen zur Unterstützung - und damit zur Stärkung - bei den Trägern einzufordern, um das "Plus an Selbstbestimmung" tatsächlich zu erreichen. Eine Aufgabe, für die fachliche Kenntnisse, Mut und Empathie gefragt sind.
Anmerkungen
1. Vgl. Art. 12 Abs. 3 UN-BRK.
2. Siehe § 1896 Abs. 1 S. 1 BGB.
3. Siehe § 1897 Abs. 6 BGB.
4. Siehe das Antragserfordernis in § 108 SGB IX.
5. Wird ein Bedarf allerdings im Rahmen des Gesamtplanverfahrens ermittelt, so muss für entsprechende Leistungen kein gesonderter Antrag gestellt werden. Vgl. §§ 108 Abs. 2, 117 ff. SGB IX.
6. Vgl. insbesondere Information, Aufklärung, Beratung und Unterstützung in den §§ 12, 32, 106 SGB IX.
7. Vgl. § 81 SGB IX.
8. Gesetzesbegründung zum "Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG)" in BT-Drs. 18/9522, S. 231.
9. Vgl. § 32 SGB IX.
10. Unter www.teilhabeberatung.de sind Adressen von nahegelegenen Beratungsstellen zu finden. Mit Blick auf die Regelungen zum Coronavirus findet sich folgender Hinweis: ,,Die EUTB®-Angebote stehen Ihnen grundsätzlich weiterhin zur Beratung offen. Bitte informieren Sie sich telefonisch oder per E-Mail direkt bei den Beratungsangeboten, ob bzw. inwieweit persönliche Beratungen aktuell stattfinden." (Stand 21.4.2020).
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