Bistum Osnabrück geht voran
Der Druck auf Kirche und Caritas, Unternehmensmitbestimmung einzuführen, wächst: Im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition1 heißt es: "Gemeinsam mit den Kirchen prüfen wir, inwiefern das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann. Verkündungsnahe Tätigkeiten bleiben ausgenommen." Um dieses Versprechen umzusetzen, hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen Dialogprozess zum kirchlichen Arbeitsrecht ins Leben gerufen. Unter anderem ist dabei die Frage nach der Einführung von Unternehmensmitbestimmung benannt worden. In diesem Bereich sehen die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, die Partei Die Linke sowie Vertreter anderer Parteien Handlungsbedarf bei der Kirche. Verdi fordert zudem seit langem die Abschaffung des kirchlichen Arbeitsrechts2, weil nur so (betriebliche) Mitbestimmungsrechte von Mitarbeitenden in der Kirche umsetzbar seien.
Was ist dran an dieser Sichtweise? Evangelische und katholische Kirche und ihre Wohlfahrtsverbände Diakonie und Caritas haben als Reaktion auf den Dialogprozess und die Verdi-Petition klargestellt, dass die erhobenen Forderungen nicht nachvollziehbar sind, weil
◆ die Vergütungen in kirchlichen und caritativen Einrichtungen in der Regel besser sind als bei vergleichbaren Unternehmen,
◆ es im Dritten Weg eine sehr hohe Tarifbindung gibt,
◆ die alte Forderung nach dem Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen am tatsächlichen Bedarf vorbeigeht, weil durch zwingende Schlichtungsverfahren das Erreichen von Verhandlungsergebnissen gesichert wird,
◆ anders als in der gewerblichen Wirtschaft die betriebliche Mitbestimmung durch fast flächendeckende Mitarbeitervertretungen in den Einrichtungen von Kirche, Caritas und Diakonie mit ähnlichen Rechten wie Betriebsräte und Personalvertretungen effizient gewährleistet wird.3
Im Bistum ist Unternehmensmitbestimmung etabliert
Zur Frage der Unternehmensmitbestimmung weisen evangelische und katholische Kirche und ihre Wohlfahrtsverbände darauf hin, dass die für diakonische Unternehmen ab 500 Beschäftigten auf den Weg gebrachte Unternehmensmitbestimmung wegweisend für den gemeinnützigen Sektor in Deutschland ist.4
Aber wie sieht es in der katholischen Kirche und ihrer Caritas aus? Der Meinungsbildungsprozess zur Einführung von Unternehmensmitbestimmung in der katholischen Kirche und ihrer Caritas ist noch nicht abgeschlossen. Allerdings weisen die Bischöflichen Erläuterungen zum kirchlichen Dienst zur neuen Grundordnung des kirchlichen Dienstes unter Abschnitt IX 3. darauf hin, dass ungeachtet des Geltungsausschlusses von Mitbestimmungsgesetz und Drittelbeteiligungsgesetz5 zu prüfen sei: Ob und inwieweit Mitarbeitende im kirchlichen Dienst unter Berücksichtigung der besonderen kirchlichen Aspekte und in der vom kirchlichen Selbstverständnis gebotenen Form wirtschaftliche und unternehmerische Entscheidungen mitbeeinflussen können. Inwieweit können Mitarbeitende an der Aufsicht über kirchliche Unternehmen teilhaben?6
Hier ist das Bistum Osnabrück bereits einen Schritt weiter. Denn anders als in allen anderen Bistümern ist die Unternehmensmitbestimmung bereits umgesetzt.7 Eine besondere Regelung in § 27 b Abs. 7 der MAVO bestimmt Folgendes:
◆ In Einrichtungen im Bistum Osnabrück, die über ein Aufsichtsgremium verfügen, findet Unternehmensmitbestimmung statt. Dafür wirken gewählte Mitarbeitende mit Sitz und Stimme im Aufsichtsgremium mit.
◆ Diese Mitbestimmung ersetzt die in § 27 b MAVO vorgesehene Bildung von Wirtschaftsausschüssen.
◆ Wahlberechtigt sind die jeweils zuständige MAV, Gesamt-MAV oder erweiterte Gesamt-MAV.
Die Zahl der stimmberechtigten Mitarbeitenden im Aufsichtsgremium richtet sich nach dessen Größe: Besteht ein Aufsichtsgremium ohne die Mitarbeitenden aus bis zu fünf Personen, kommt ein Mitarbeitender dazu, umfasst das Aufsichtsgremium bis zu zehn Köpfe, kommen zwei Mitarbeitende hinzu, bei noch größeren Aufsichtsgremien kommen drei Mitarbeitende hinzu. Auch wenn damit die Zahl der Mitarbeitendenvertreter:innen im Aufsichtsgremium geringer ist als nach dem Drittelbeteiligungsgesetz oder dem Mitbestimmungsgesetz, hat sie doch wegen der viel früheren Anwendungspflicht bei Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitenden eine deutlich größere praktische Relevanz als im weltlichen Recht.8
Da die Osnabrücker Regelung vorsieht, dass wegen der Einführung der Unternehmensmitbestimmung keine Wirtschaftsausschüsse gebildet werden, lautet eine Kritik am Osnabrücker Modell: Hier finde eine Vermischung der betrieblichen und der unternehmerischen Mitbestimmung statt. Allerdings beschränkt sich die Bildung von Wirtschaftsausschüssen darauf, dass in einem besonderen Gremium über die wirtschaftliche Entwicklung berichtet wird. Diese in allen Mitarbeitervertretungsordnungen in der deutschen katholischen Kirche vorgesehene Bildung von Wirtschaftsausschüssen in § 27 b MAVO ist dem weltlichen § 106 BetrVG nachgebildet. Diese Wirtschaftsausschüsse führen nicht zu qualitativen Mitwirkungsmöglichkeiten in der betrieblichen Entwicklung und strategischen Unternehmensgestaltung. Die Regelung erweitert damit nicht die Mitwirkungsmöglichkeiten der Mitarbeitenden, sondern schafft zusätzliche Informationspflichten gegenüber dem Wirtschaftsausschuss. Vergleichbare Informationspflichten bestehen nach § 27 a MAVO bereits gegenüber MAV, Gesamt-MAV oder erweiterter Gesamt-MAV.
Die Osnabrücker Regelung in § 27 b Abs. 7 MAVO vermeidet diese Doppelung: Gewählte Mitarbeitende, die nicht zwingend MAV-Mitglieder sein müssen, können im Bistum Osnabrück substanziell an der Beratung strategischer Fragen der Unternehmensentwicklung mitwirken und aus der Mitarbeiterschaft Gesichtspunkte zur weiteren Unternehmensentwicklung in die Aufsichtsgremien einbringen. Da die Zahl der mitwirkungsbefugten Mitarbeitenden nach der Größe des Aufsichtsgremiums gestaffelt ist, wird gewährleistet, dass gerade in größeren Aufsichtsgremien (mehr als fünf Mitglieder ohne Mitarbeitende) mehrere Repräsentant:innen der Mitarbeiterschaft ihre Positionierung auch durch interne Beratung und Abstimmung effektiv in die Beratungen des Aufsichtsgremiums einbringen können.
Aktuelle Regelung ist seit Juli 2022 in Kraft
Bereits am 1. März 2018 wurde die Regelung in § 27 b Abs. 7 MAVO eingeführt, sah aber zunächst nur eine optionale Ersetzung der Wirtschaftsausschüsse durch mitbestimmte Aufsichtsgremien vor.9 Erst mit der Novellierung von § 27 b Abs. 7 in der Osnabrücker MAVO zum 1. Juli 2022 wurde die Reichweite der Unternehmensmitbestimmung präzisiert. Seither ist diese in Einrichtungen mit Gesamt-MAV oder erweiterter Gesamt-MAV bei mehr als 100 Mitarbeitenden, bei Einrichtungen ohne (erweiterte) Gesamt-MAV ab 200 Mitarbeitenden zwingend einzuführen. Im selben Zug wurde auch die Staffelung der Zahl der mitwirkungsbefugten Mitarbeitendenvertreter eingeführt und klargestellt, dass die Rechte und Pflichten der mitwirkenden Mitarbeitenden in Aufsichtsgremien sich in entsprechender Anwendung nach den Vorschriften für MAV-Mitglieder richten (vgl. § 27 b Abs. 7 Satz 5 MAVO Bistum Osnabrück).
Die praktischen Erfahrungen in den Einrichtungen im Bistum Osnabrück zeigen: Mit dieser Verbindlichkeit ist die Unternehmensmitbestimmung auch in der Fläche der Einrichtungen angekommen.
Unterschiede zur Diakonie
Die Regelung zur Unternehmensmitbestimmung im Bistum Osnabrück geht über die Regelung in der evangelischen Kirche hinaus. Denn § 6 b Abs. 1 des Kirchengesetzes über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (MVG-EKD) in der Fassung der Änderung vom 5. Dezember 2023 sieht lediglich vor, dass in diakonischen Einrichtungen ab einer Größe von 500 Mitarbeiter:innen diese durch eine Vertretung an den Aufgaben des Aufsichtsorgans der Einrichtung zu beteiligen sind, sofern ein solches gebildet ist. § 6 b Abs. 2 MVG-EKD sieht weiter vor, dass Näheres durch das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung durch eine verbindliche verbandliche Regelung festgelegt wird, die eine Umsetzungsfrist bis spätestens zum 31. Dezember 2028 einräumen kann.10 Damit ist die Einführung der Unternehmensmitbestimmung in der evangelischen Kirche eher eine programmatische Perspektive, deren Umsetzung noch bis zu fünf Jahre dauern kann.
Wer das Anliegen der echten Beteiligung von Mitarbeitenden an der Unternehmensentwicklung ernst nimmt, sollte sich deshalb in künftigen rechtlichen Regelungen am Osnabrücker Modell der Unternehmensmitbestimmung orientieren.
Denn das Einbringen der Mitarbeitendenperspektive in die strategische Entwicklung von kirchlichen und caritativen Unternehmen sollte nicht als unerwünschte Einmischung in Entscheidungskompetenzen der Unternehmensleitung angesehen werden. Es ist ein wichtiger Beitrag engagierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, denen eine erfolgreiche Unternehmensentwicklung gleichermaßen am Herzen liegt wie den Leitungsverantwortlichen!
1. Koalitionsvertrag "Mehr Fortschritt wagen", Abschnitt IV: Respekt, Chancen und soziale Sicherheit in der modernen Arbeitswelt, S. 56, vgl. www.spd.de/koalitionsvertrag2021
2. Vgl. Verdi-Petition "Gleiches Recht für kirchlich Beschäftigte", https://tinyurl.com/nc24-verdi
3. https://tinyurl.com/nc24-ArbRecht
4. Ebd.
5. § 1 Abs. 4 Satz 2 MitbestG; § 1 Abs. 2 Satz 2 DrittelbG.
6. https://tinyurl.com/nc24-GO-Bistum, S. 290
7. https://tinyurl.com/nc24-AVR-Bistum
8. Das Drittelbeteiligungsgesetz gilt für Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden, das Mitbestimmungsgesetz für Unternehmen mit über 2000 Mitarbeitenden.
9. https://tinyurl.com/nc24-MAVO