Von der Freiwilligkeit zur Pflicht
Die katholische Kirche beschreitet mit dem in den Erläuterungen zur neuen Grundordnung nachzulesenden Prüfauftrag zur Teilhabe von Mitarbeitenden an der Aufsicht kirchlicher Unternehmen einen Weg, der in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) spätestens seit dem Jahr 2011 eingeschlagen wurde. Eine vom Rat der EKD eingesetzte Arbeitsgruppe schlug damals vor, "in einer Verbandsempfehlung der Diakonie eine Beteiligungsmöglichkeit für Mitarbeiter:innen an den Sitzungen der Aufsichtsorgane rechtlich selbständiger diakonischer Einrichtungen ab einer bestimmten Einrichtungsgröße vorzusehen." Dabei sei "die Praxis einiger größerer diakonischer Einrichtungen zu berücksichtigen". Bis zur tatsächlichen Normierung einer Unternehmensmitbestimmung dauerte es jedoch noch bis zum Jahr 2017, in dem das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung (EWDE) die "Verbandsempfehlung für eine Regelung zur Ermöglichung von Mitwirkungspflichten für die Mitarbeitenden in Aufsichtsorganen Diakonischer Einrichtungen" beschloss. Diese Verbandsempfehlung existiert bis heute und ist seit dem Jahr 2018 auch Teil des Diakonischen Corporate Governance Kodex (DGK). Die Verbandsempfehlung ist - nomen est omen - nicht zwingend, sondern freiwillig umzusetzen.
Verbindliche Regelung im MVG-EKD
Inhaltlich wird diakonischen Unternehmen ab einer Größe von 500 Beschäftigten empfohlen, Mitarbeitende (nicht Dritte von außerhalb) in ihren Aufsichtsgremien zu beteiligen. Entsendeberechtigt sind die Mitarbeitervertretungen (MAV beziehungsweise Gesamt-MAV), wobei die entsendeten Personen nicht zwingend Mitglieder der MAV sein müssen. Die Empfehlung sieht vor, bei kleineren Aufsichtsorganen einen Vertreter beziehungsweise eine Vertreterin, bei über achtköpfigen Gremien zwei Personen der Mitarbeiterschaft zu entsenden.
Soweit im Satzungsrecht der Unternehmen trägerindividuelle persönliche Anforderungen an die Mitgliedschaft im Aufsichtsgremium existieren (insbesondere konfessionelle Bindung), müssen diese auch von den entsandten Mitarbeitenden erfüllt werden. Deren Rechte und Pflichten entsprechen denen der anderen Mitglieder des Aufsichtsorgans. Sie üben ihr Amt als speziell geregeltes Ehrenamt aus (insbesondere hinsichtlich Freistellung und Schulung sowie mit einem dem Mitarbeitervertretungsgesetz der EKD (MVG-EKD) nachgebildeten Benachteiligungs- und Begünstigungsverbot).
Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des MVG-EKD vom März 2023 wurde dann ein Versuch gestartet, die bisherige Verbandsempfehlung quasi inhaltsgleich zwingend im MVG-EKD aufzunehmen. Gegen diese zwingende Art der Ausgestaltung sprachen und sprechen diverse Gründe, von denen hier nur zwei angerissen werden können. Diese dürften auch für die Diskussion in der katholischen Kirche relevant sein.
1. Die Mitarbeitenden in kirchlich-diakonischen Unternehmen bedürfen keines Schutzes vor den Kapitalinteressen der Anteilseigner. Dieser Schutzgedanke ist das Begründungsfundament der Unternehmensmitbestimmung in der säkularen Wirtschaft. Unabhängig davon, ob diese Begründung überzeugend ist, muss doch festgestellt werden, dass Unternehmen der Diakonie ausnahmslos gemeinnützig sind, weshalb die Ausschüttung von Gewinnen verboten ist. Damit wird schon durch das Steuerrecht der mit der säkularen Unternehmensmitbestimmung primär verfolgte Schutzgedanke erreicht. Dieses Argument hat der staatliche Gesetzgeber im Übrigen auch selbst gesehen, als er in den diversen Mitbestimmungsgesetzen nicht nur die "Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen"1 aus der Anwendungspflicht ausgenommen hat, sondern sämtliche "Unternehmen, die unmittelbar oder überwiegend politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen dienen".2
2. Diakonische Unternehmen existieren in einer enormen Rechtsformvielfalt. Diese Rechtsformen kennen teilweise zwingende Aufsichtsorgane (insbesondere gemeinnützige Aktiengesellschaften) oder nur fakultativ zu bildende Aufsichtsgremien (insbesondere eingetragene Vereine und GmbHs). Daneben existieren Stiftungen, deren Binnenverfassungen (also auch die Existenz und Besetzung von Aufsichtsgremien) auf der gegebenenfalls uralten Stiftungssatzung beruhen.
Hier ergeben sich erhebliche Probleme durch eine undifferenziert zwingende Unternehmensmitbestimmung. Müssten dann in sämtlichen Rechtsformen Aufsichtsgremien gegründet werden?
Noch viel dringlicher: Wie funktioniert die Entsendung in den Aufsichtsrat einer gemeinnützigen Aktiengesellschaft? Unabhängig vom steuerrechtlichen Status bleiben diese Gesellschaften Aktiengesellschaften im Sinne des Aktiengesetzes. Dieses Gesetz schreibt aber unter Vorbehalt staatlicher Mitbestimmungsgesetze vor, dass allein die Anteilseigner (sprich Aktionäre) den Aufsichtsrat besetzen.3 Es ist völlig offen, ob ein kirchliches Gesetz (MVG-EKD) das staatliche Aktiengesetz in gleicher Weise modifizieren kann, wie die staatlichen Mitbestimmungsgesetze.
Es braucht Ausnahmen für Stiftungen und ihre Satzungen
Ähnlich verhält es sich mit Stiftungen: Ob Aufsichtsgremien in Stiftungen existieren und wie diese besetzt sind, ergibt sich aus deren Satzungen. Diese können nicht einfach dahingehend geändert werden, dass Vertreter beziehungsweise Vertreterinnen der Mitarbeiterschaft entsendet werden können. Stiftungssatzungen können nur mit Zustimmung der Stiftungsaufsichten angepasst werden und auch nur dann, wenn dies dem (potenziellen) Willen der Stifter:innen entspricht. Es hat also einen guten Grund, warum Stiftungen aus den staatlichen Mitbestimmungsgesetzen ausgenommen sind.
Die verbindliche Übernahme ins MVG-EKD wurde daher gegenüber der EKD als Ordnungsgeber im Gesetzgebungsverfahren richtigerweise kritisiert. Eine Verbandsempfehlung, die aus den genannten (und weiteren) guten Gründen unverbindlich war, kann nicht ohne Modifikationen zwingend verbindlich im Gesetz vorgesehen werden.
Hinzu kommt, dass nach der Herbstumfrage 2023 des Verbands diakonischer Dienstgeber in Deutschland (VdDD) im diakonischen Bereich bereits 28 Prozent der Unternehmen eine Beteiligung der Mitarbeitenden in den Aufsichtsgremien vorsehen. Verglichen mit dem säkularen Bereich ist das ein sehr hoher Wert. Nach den letzten bekannten veröffentlichten Zahlen der Hans-Böckler-Stiftung
werden in Deutschland 652 Unternehmen nach dem Mitbestimmungsgesetz paritätisch mitbestimmt (~ 0,0002 Prozent aller Unternehmen). Etwa 1500 Unternehmen fallen unter das Drittelbeteiligungsgesetz (~ 0,00045 Prozent aller Unternehmen) und circa 30 Unternehmen unterliegen dem Montanmitbestimmungsgesetz (= 0,00001 Prozent aller Unternehmen). Eine gesetzliche Verbindlichkeit kann also auch nicht der Gleichstellung mit dem säkularen Bereich dienen.
Beschluss der EKD-Synode
Im Herbst 2023 hat die EKD-Synode vor dem Hintergrund dieser Kritik einen angepassten Gesetzentwurf beschlossen. Der zum 1. Januar 2024 wirksame § 6 b Abs. 1 MVG-EKD sieht nunmehr nur noch das "Ob" der Unternehmensmitbestimmung in diakonischen Unternehmen (nicht in Einrichtungen der verfassten Kirche) ab 500 Mitarbeitenden vor, allerdings unter dem Vorbehalt des Bestehens eines Aufsichtsgremiums.
§ 6 b Abs. 2 MVG-EKD überantwortet die nähere Ausgestaltung (das "Wie") dem EWDE, das eine verbindliche verbandliche Regelung treffen soll. Darin kann eine Umsetzungsfrist für die Unternehmen bis Ende 2028 vorgesehen werden.
Das EWDE plant den Beschluss einer seine Mitglieder bindenden "Rahmenbestimmung" auf Grundlage der derzeit noch geltenden Verbandsempfehlung. Dabei sollen jedoch die oben genannten (sowie weitere) Problemstellungen bestmöglich adressiert werden. Eine entsprechende Arbeitsgruppe zur Formulierung der Rahmenbestimmung hat bereits die Arbeit aufgenommen. Nach einem Stellungnahmeverfahren wird der Beschluss der Rahmenbestimmung durch die dafür zuständige Konferenz Diakonie und Entwicklung Ende 2024 erwartet.
1. Vgl. beispielsweise § 1 Abs. 2 Satz 2 DrittelbG.
2. Vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 a) DrittelbG.
3. § 96 Abs. 1 AktG.