Die Unternehmensmitbestimmung: neues Modell für Kirche und Caritas
Unternehmensmitbestimmung findet nach deutschem Recht im Aufsichtsrat eines Unternehmens statt, der anteilig mit Vertreter:innen der Anteilseigner sowie mit Vertretern der Beschäftigten des Unternehmens zu besetzen ist. Hierdurch können die Vertreter:innen der Beschäftigten Einfluss auf das Unternehmen als Ganzes nehmen. Dadurch unterscheidet sich Unternehmensmitbestimmung von betrieblicher Mitbestimmung, die durch die Mitwirkung von Betriebsräten in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten auf Betriebsebene stattfindet.
Anfänge in der Weimarer Republik und in der Montanindustrie
Erste Formen unternehmerischer Mitbestimmung fanden sich in der Weimarer Republik. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde gerade in der für den Wiederaufbau wichtigen Kohle- und Stahlindustrie das sogenannte Montanmitbestimmungsmodell eingeführt, wonach Unternehmen der Montanindustrie bis heute verpflichtet sind, Aufsichtsräte zu bilden, in denen Beschäftigte und Anteilseigner paritätisch vertreten sind und die entscheidende Stimme im Aufsichtsrat von einem neutralen Dritten kommt. Mitte der 1950er-Jahre wurden auch für andere Unternehmen mit mehr als 500 beziehungsweise 2000 Beschäftigten mitbestimmte Aufsichtsräte verpflichtend, die jedoch nicht vollständig paritätisch besetzt sind. In ihnen hat die Anteilseignerseite letztlich die Mehrheit.
Die Unternehmensmitbestimmung war in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ein Mittel zur Demokratisierung der Gesellschaft und zur Identifizierung von Beschäftigten mit ihren Arbeitgebern. Mehr als 50 Jahre später wurde dies in Deutschland und in anderen EU-Mitgliedstaaten teilweise anders gesehen. So wundert es nicht, dass die EU-Kommission neue Wege ging und im Rahmen ihrer Möglichkeiten, zum Beispiel bei der Einführung der sogenannten Europäischen Aktiengesellschaft, Mitbestimmungssysteme schuf, bei denen sich Anteilseigner und Beschäftigte über die Form und den Umfang der Unternehmensmitbestimmung einigen sollen. Deutschlandweit sind aktuell bei einer Gesamtzahl von 3,4 Millionen Unternehmen lediglich circa 2200 Unternehmen im Aufsichtsrat mitbestimmt.
Unternehmensmitbestimmung in Kirche und Caritas
Kirchliche Einrichtungen verstehen sich nicht als weltliche Unternehmen. In Letzteren arbeiten die Anteilseignerseite und die Beschäftigten zwar oftmals vertrauensvoll zusammen, haben aber letztlich doch gegensätzliche Interessen. Kirchliche Einrichtungen verstehen sich hingegen als Dienstgemeinschaften, in denen sich Menschen im Geiste der Nachfolge Jesu zusammenfinden, um gemeinsam mit christlichem Anspruch zu arbeiten. Vor dem Hintergrund dieses Selbstbildes sollte der Gedanke an eine gewisse institutionalisierte Form von Unternehmensmitbestimmung in Kirche und Caritas nicht von vornherein ausgeschlossen werden.
Die Bischöflichen Erläuterungen zur neuen Grundordnung des kirchlichen Dienstes greifen dies mit einem Prüfauftrag auf:
"Obwohl die Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen vom weltlichen Unternehmensmitbestimmungsrecht ausdrücklich ausgenommen sind, wird zu prüfen sein, ob und inwieweit Mitarbeitende im kirchlichen Dienst unter Berücksichtigung der besonderen kirchlichen Aspekte und in der vom kirchlichen Selbstverständnis gebotenen Form wirtschaftliche und unternehmerische Entscheidungen mitbeeinflussen und an der Aufsicht über kirchliche Unternehmen teilhaben können."
Sollte es also zu einer Entscheidung über die Einführung von Mitbestimmungssystemen in katholischen Einrichtungen kommen, so wird dabei das Selbstverständnis dieser Einrichtungen als Dienstgemeinschaften eine zentrale Rolle spielen. Eine bloße Übertragung der oben genannten hergebrachten gesetzlichen Mitbestimmungssysteme auf das Mitbestimmungsrecht der katholischen Kirche scheint daher zumindest auf den ersten Blick fraglich, da diese Systeme gerade nicht auf Dienstgemeinschaften zugeschnitten sind.
Bisherige Formen der Mitbestimmung in kirchlichen Einrichtungen
Schon heute finden sich Mitbestimmungssysteme in katholischen Einrichtungen. So ist in § 27 b Abs. 7 der MAVO im Bistum Osnabrück festgelegt, dass die Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen, in denen Aufsichtsräte existieren, durch gewählte Vertreter:innen mit Sitz und Stimme repräsentiert sind. Die Anzahl der Vertreter:innen der Beschäftigten im Aufsichtsrat hängt von der Größe des Aufsichtsrats selbst ab. Die im Bistum Osnabrück praktizierte Unternehmensmitbestimmung bezieht sich inhaltlich vor allem auf wirtschaftliche Angelegenheiten, so dass gerade im Kernbereich unternehmerischer Entscheidungen eine intensive Einbindung der Beschäftigten gewährleistet ist.
Das Osnabrücker Modell enthält also einerseits Elemente, wie sie auch aus dem gesetzlichen Mitbestimmungsrecht bekannt sind, nämlich einen Aufsichtsrat, in dem die Beschäftigtenseite vertreten ist, andererseits flexible Regelungen, die dem Selbstverständnis einer kirchlichen Einrichtung entsprechen.
Weitere Besonderheiten kirchlicher Unternehmen
Auf einem Fachtag der Caritas-Dienstgeberseite im April 2024 wurden die Besonderheiten kirchlicher Einrichtungen sowie die Umsetzbarkeit verschiedener Mitbestimmungsmodelle diskutiert. Die Veranstaltung war der Auftakt für eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema.
Kirchliche Einrichtungen sind in einer Vielzahl von Rechtsformen organisiert, wie zum Beispiel GmbHs, Stiftungen und Vereine. Personengesellschaften wie BGB-Gesellschaften sind jedoch nach den Regeln des staatlichen Mitbestimmungsrechts nicht der Mitbestimmung unterworfen. Hier stellt sich die Frage, ob das für kirchliche Einrichtungen ebenfalls gelten soll. Andere Rechtsformen wie zum Beispiel Vereine sind von ihrer Struktur her nicht auf eine Unternehmensmitbestimmung ausgerichtet, weil die Kontrolle des Vereinsvorstands bei der Mitgliederversammlung liegen soll und nicht bei den Beschäftigten. Eine andere Frage ist, wie mit Unternehmen zu verfahren ist, die von kirchlichen Orden getragen werden. Wie soll ein ausgewogenes Verhältnis zwischen einem Orden als Träger und einem Aufsichtsrat als Kontrollorgan ausgestaltet werden? Kann sich die Kontrolle eines Aufsichtsrats am Ende auch auf Teile des Ordensvermögens erstrecken, das zur Absicherung der Ordensmitglieder dient? Kurzum: Rund um die Vielfältigkeit der Rechtsformen kirchlicher Unternehmen gibt es noch zahlreiche offene Fragen, die zu klären sind. Auch die unterschiedlichen bestehenden Aufsichtsstrukturen stellen in der Diskussion eine Herausforderung dar.
Mitbestimmungssysteme müssen sorgfältig geprüft werden
Noch ist die Diskussion über mitbestimmte Aufsichtsräte in katholischen Einrichtungen ganz am Anfang. Die Dienstgeberseite wird versuchen, Antworten auf die Frage zu finden, wie "Unternehmensmitbestimmung auf katholisch" aussehen könnte. Besonders aufmerksam werden dabei Mitbestimmungssysteme geprüft und diskutiert, die viele flexible Regelungen enthalten, um auf diese Weise der Vielfältigkeit katholischer Einrichtungen Rechnung zu tragen und sowohl Dienstgebern als auch Mitarbeitenden die Verantwortung zukommen zu lassen, die sie für eine Dienstgemeinschaft tragen sollen. Auch müssten Regelungen - ähnlich wie im Bereich der Diakonie - großzügige Umsetzungsfristen beinhalten und für einen Erprobungszeitraum die Möglichkeit freiwilliger Anwendung geben. Schließlich wird es ein vorgelagerter Auftrag sein, die bestehenden Aufsichtsstrukturen in kirchlichen Einrichtungen auf ihre Kompatibilität mit Modellen der Unternehmensmitbestimmung hin zu untersuchen.