Zwischen Fairness und Finanzierung
Ein höherer Mindestlohn ist für jeden arbeitenden Menschen sinnvoll und wichtig. Um den Lebensunterhalt bestreiten und an der Gesellschaft teilhaben zu können, braucht es eine angemessene Bezahlung.
Wie hoch der Mindestlohn sein muss und darf, darüber wurde im Vorfeld der Europawahl öffentlich gestritten wie lange nicht. Das Bündnis Sahra Wagenknecht brachte schon im April eine Forderung nach 14 Euro Mindestlohn in den Bundestag ein. Wenig später will ihn auch die Kanzler-Partei schrittweise auf 15 Euro anheben. FDP und Union sehen das kritisch. Rückenwind bekommt Scholz von Grünen, Gewerkschaften und einigen Sozialverbänden. Die Debatte hat eine Vorgeschichte: Der Mindestlohn wurde zum 1. Oktober 2022 erstmals in seiner Geschichte per Gesetz auf zwölf Euro angehoben. Die Bundesregierung hatte mit der einmaligen Erhöhung ihr Wahlversprechen erfüllt. Seitdem hat die Mindestlohnkommission lediglich eine Erhöhung in zwei Schritten (zum 1. Januar 2024 und 2025) um jeweils 41 Cent vorgeschlagen. Dabei hat die Kommission, bestehend aus Vertreter:innen der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite, erstmals keinen Kompromiss gefunden. Die Arbeitgeberseite überstimmte die Arbeitnehmerseite.
Das zeigt: Das bisherige System steckt in einem Dilemma. Und auch die Bundesarbeitsgemeinschaft Integration durch Arbeit (BAG IDA) steht in der Debatte vor einem Dilemma. Denn klar ist: Das Anheben hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass die Lohnungleichheit sinkt, dass der Niedriglohnsektor schrumpft und Menschen in Ost- und Westdeutschland gleichermaßen vom erhöhten Mindestlohn profitieren.
Klar ist aber auch: Eine weitere Anhebung wird nicht ohne negative Effekte ausfallen. Die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro führte zwar, wie wir dank Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung wissen, zu keiner nennenswerten Zahl an Entlassungen. Die Lohnerhöhung wurde von vielen Unternehmen durch Anhebung der Preise oder Rückstellung von Investitionen kompensiert.
Eine weitere Erhöhung des Mindestlohns bringt die Mitgliedseinrichtungen der BAG IDA aber in größte Schwierigkeiten: Da die meisten unserer Einrichtungen Träger der Beschäftigungs- und Qualifizierungsförderung oder Integrationsunternehmen sind, ist das Betriebsportfolio selten so ausgerichtet, dass Lohnsteigerungen durch Preiserhöhungen erwirtschaftet werden können. Ohne eine staatliche Refinanzierung der steigenden Lohnkosten würden sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse abgebaut werden müssen. Eine wahlkampfbedingte Forderung nach schnellen Lösungen bringt also nichts.