Haltung zeigen
"Wir können und dürfen uns als Christen nicht wegducken, wir müssen für Vielfalt und Menschenwürde eintreten", sagt Ingrid Reidt, Betriebsseelsorgerin in Südhessen und Mitglied der "Initiative Sozialpastoral", die einmal pro Jahr zu dem Forum einlädt - diesmal eben als Online-Veranstaltung.
Nicht nur Ingrid Reidt erlebt, dass rechtspopulistische Strömungen sich immer weiter ausbreiten - mit der Folge, dass zunehmend Menschen ausgegrenzt werden. Im Austausch der Teilnehmer zeigt sich: Viele machen diese Erfahrungen. Sei es, dass in einem Mietshaus für alle Verstöße gegen die Hausordnung "automatisch" der Afrikaner aus dem dritten Stock verantwortlich gemacht wird. Sei es, dass die Hilfe bei der Wohnungssuche ohne Erfolg bleibt, weil die angebotene Wohnung plötzlich "doch schon belegt" ist, wenn sich herausstellt, dass der Interessent Ausländer ist.
Dass Schüler sich wegen ihrer Hautfarbe die unfreundliche Aufforderung gefallen lassen müssen: "Schwarzer, geh nach Hause." Oder dass ausländische Mitbürger, geflüchtete und asylsuchende Menschen bei Brotkörben und Tafeln von Mitarbeitenden und anderen Kunden argwöhnisch beäugt und beurteilt werden: "Die kommen hierher und kriegen alles."
Nicht allein wegen ihrer Hautfarbe, Herkunft oder Nationalität erleben sich Menschen einer "gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit" ausgesetzt, wie Manfred Forell in dem Workshop "Vernetzt gegen Rechts" erläuterte: Antisemitimus und Muslimfeindlichkeit sind ebenso an der Tagesordnung wie die Ausgrenzung von Sinti und Roma. Homosexuelle und Transmenschen werden ebenso abgewertet wie Menschen mit Behinderungen, langzeitarbeitslose oder wohnungslose Menschen.
Vieles dreht sich an diesem Tag um den Rassismus. Doch was genau ist Rassismus? Ist es schon rassistisch, Unterschiede festzustellen und zu benennen? Jan Niklas Collet vom katholischtheologischen Institut der Universität Köln und engagiertes Mitglied im Arbeitskreis Politische Theologie, zeigt in seinem Referat "Vielfalt - Menschenwürde - Antirassismus!" auf: Rassismus ist dadurch gekennzeichnet, dass aus Unterschieden Überlegenheit oder Minderwertigkeit abgeleitet wird und daraus Herrschaftsverhältnisse konstruiert werden. Im Alltag trete solches Herrschaftsgebaren beispielsweise zutage, wenn Menschen aufgrund ihrer Andersartigkeit einen Arbeitsplatz oder eine Wohnung nicht bekämen. Die Theologie Jesu ist eine antirassistische, verdeutlichte der Referent. Jesus habe die alttestamentliche Theologie des Reiches Gottes aufgegriffen und sie im zeitgenössischen Zusammenhang gedeutet. Das Reich Gottes, wie Jesus es verkündet, ist immer universal, es geht um das Heil für alle Menschen. Wohl enthält es auch eine parteiliche Perspektive - die jedoch nicht auf einer nationalen Zugehörigkeit basiert, sondern auf der Option für die Armen.
"Wenn wir in gesellschaftlich-politischen Fragen aktiv werden wollen, braucht es die theologische Vergewisserung", fühlt sich Ingrid Reidt am Ende des Tages bestätigt. "Gott hat keine Rassen geschaffen, sondern den Menschen in seiner Vielfalt", fasst Diakon Heinz Lenhart, ebenfalls Mitglied der Initiative Sozialpastoral, seine Glaubensüberzeugung zusammen. "Menschen mit gleichen Rechten und Pflichten - allen hat er die Schöpfung anvertraut mit der gleichen Verantwortung." Wie Ingrid Reidt fühlt er sich ermutigt, sich stärker gegen rechte Parolen zu positionieren. Auch, weil der Tag gezeigt hat: Es gibt unterstützende Systeme, und es ist gut, sich zusammenzuschließen.
Für Pfarrer Michael Tomaszewski, Schulseelsorger am Gymnasium Theresianum in Mainz, hat der Tag einmal mehr gezeigt, wieviel verdeckten Rassismus es im alltäglichen Leben gibt. "Rassismus kommt oft nicht mehr so platt daher", stellt er fest. Rechtspopulisten gingen sehr tückisch vor, um Menschen auf ihre Seite zu ziehen. Nicht zuletzt hat das Forum Sozialpastoral ihn neu für das Thema sensibilisiert und angeregt, noch stärker auch auf die eigene Sprache zu achten.
"Ich weiß, dass ich noch dazu lernen und an mir arbeiten muss", sagt auch Günter F. Schulze. Der Jurist im Ruhestand engagiert sich unter anderem ehrenamtlich bei der Tafel in Alzey. Es hat ihn gereizt, an der Online-Veranstaltung teilzunehmen - und es war die Zeit wert, betont er. Das Thema beschäftige ihn, auch, weil er viel im Internet "unterwegs" ist und sieht, wieviel "brauner Müll" dort verbreitet wird. "Ich halte es für sehr wichtig, dass die Kirchen klar Position gegen Rechtspopulisten und Faschisten beziehen und entsprechende Initiativen aktiv unterstützen", sagt er. "Schließlich lässt sich Menschenverachtung nicht mit dem Christentum vereinbaren."
Besonders begeistert hat Schulze der Workshop "Vernetzt gegen Rechts" mit Manfred Forell, Ehrenamtlicher Integrationsbeauftragter, Mitarbeiter im Demokratiezentrum Südhessen und Aktivist in der Initiative "Vielfalt.Jetzt". Die vielfältige Vernetzung im Einsatz für Demokratie und gegen Menschenfeindlichkeit habe ihn beeindruckt, sagt Schulze. Doch was ist Voraussetzung für eine solche gelingende Vernetzung? Forell fasst zusammen: Vertrauen aufbauen. Sich selbst etwas zutrauen. Keine Angst vor Kooperation mit anderen, über die Kirche hinaus. Sich von Bedenkenträgern nicht entmutigen lassen. Und: Dranbleiben. Ohne "langen Atem" gehe es nicht.
Text - Maria Weißenberger