Denkzettel an die Politik
Suzanne, 48, lebt von Hartz IV und ärgert sich als Mutter von vier Kindern und Zweifach-Oma vor allem über die Familienpolitik:
Für die Kinder muss dringend mehr getan werden. Das sind schließlich die Wähler von morgen. Familien, die von Hartz IV leben, müssen mehr finanzielle Unterstützung bekommen. Abgesehen vom Spielplatz kostet fast alles Geld. Wenn meine Enkel ein Eis haben wollen, muss ich sagen, dass das nicht geht, dass in meinem Portemonnaie "Ebbe" herrscht.
Brian, 30, lebt auf der Straße und bezeichnet sich als "leidenschaftlicher, positiver Freak". Meckern? Er habe eigentlich nichts zu meckern, sagt er:
In Berlin ist es super, da kümmert man sich um die Obdachlosen. In Einrichtungen wie dem Caritas-Café hier in der Großen Hamburger Straße, aber auch was Polizei und Ordnungsamt angeht. Man wird nicht weggejagt von Plätzen und Bahnhöfen, sondern geduldet, in anderen Städten ist das anders. Als der Platz geräumt werden sollte, wo ich mein Zelt zu stehen hatte, wurde ich frühzeitig vom Ordnungsamt informiert. Das ist okay. Diese Erfahrungen als Obdachloser hier in Berlin sind für mich Beispiele von menschlicher Politik.
Eugenia, 28, promovierte Philologin, ist regelmäßig im Projekt Kulturbuddys der youngcaritas Berlin dabei. Hier treffen sich junge Berliner, teils gerade zugewandert oder geflüchtet, teils schon länger in der Stadt, um kulturelle Unternehmungen zu machen und sich kennen zu lernen. Eugenia ist gern auf Wanderschaft und Reisen. Einen Blick jenseits des Geldflusses zu riskieren fordert sie auch von der Politik: Für mich bedeutet menschliche Politik, sich um Lebensqualität zu kümmern und nicht nur den Profit zu sehen.
Stephanie, 31, Mutter von drei Kindern. Eines leidet an Laktose-Intoleranz, die anderen beiden sind nierenkrank. Von Hartz IV eine adäquate Mahlzeit auf den Tisch zu zaubern - eine tägliche Herausforderung, sagt sie:
Die Politiker sollen selbst einmal mit dem Geld für die Kinderanzahl gesund und ausgewogen kochen. Ich glaube nicht, dass sie das hinbekommen. Und es ist dringend nötig, dass Kinderkrankheiten wie Laktose-Intoleranz anerkannt werden. Es ist nicht möglich, so wie behauptet wird, sich bei dieser Krankheit so zu ernähren, dass man keine speziellen, teuren Lebensmittel kaufen muss. Es kostet alles Geld: Schulsachen, Eis essen, Sport... Wie soll man das alles bezahlen, mal ganz abgesehen davon, wenn noch eine Krankheit dazukommt.
Herbert, 54, vor fünf Jahren aus Bayreuth in Berlin gestrandet. Auch er lebt auf der Straße. Vielleicht klappt es bald mit einem neuen Job. Das Angebot von einem Berliner Filmcaterer klingt vielversprechend. Dann wäre es auch einfacher mit einer eigenen Wohnung:
Das ist ein Teufelskreis: Ohne Arbeit bekommst Du keine Wohnung und ohne festen Wohnsitz keinen Job. Dagegen muss etwas getan werden. Außerdem muss es dringend mehr Sozialwohnungen geben. Das ist gerade in Berlin ein Problem. Es gibt ein leerstehendes Gebäude und statt für dringend benötigten Wohnraum zu sorgen, der bezahlbar ist, kommt da Zalando rein. Beeindruckt bin ich von der Berliner Polizei. Die ist wirklich human. Ich schlafe unter der Warschauer Brücke, die Streifen wissen das. Im Winter fahren sie zum Beispiel immer langsam bei mir vorbei, um zu sehen, ob es mir gut geht.
Aufgewachsen in Ost-Berlin, noch immer da zuhause, aber immer wieder auf Erkundungstouren im Westen der Stadt und im Umland. Seinen Namen möchte er nicht nennen, zu sagen hat er "denen da oben" aber eine ganze Menge:
Unter anderem sollen die mal genau überlegen, warum so etwas wie AfD und Pegida entstanden sind und nicht nur dagegen wettern. Meistens sind die, die am lautesten schimpfen nicht ganz unschuldig daran. Die Politiker sollen nicht nur von ihren guten Absichten reden, sondern sie auch umsetzen. Für die alte Oma kann kein Rollstuhl finanziert werden, aber plötzlich sind wieder 20 Milliarden da. Es muss gerechter zugehen und einfach mehr für die sozial Benachteiligten getan werden. Die müssen ernst genommen werden und nicht als sozialer Dreck angesehen werden. So fühlen wir uns momentan.
Dennis, 31, Industriemechaniker mit großem Herz und unerschütterlicher Lebensfreude - dem Behördenfrust zum Trotz. Vor zwei Monaten hat der zweifache Vater gemeinsam mit seiner Freundin die drei Kinder seiner obdachlosen Tante bei sich aufgenommen:
Ich erwarte von der Politik, dass sie den sozial Schwachen hilft. In meiner Situation fühle ich mich komplett im Stich gelassen, vom Jugendamt und vom Jobcenter. Weil irgendwelche Papiere fehlen, kann ich mit den Kindern meiner Tante nicht zum Arzt gehen, zahlt uns das Jugendamt keinen Cent. Für die drei Kinder mussten wir Betten, Schränke und Kleidung kaufen. Wenn mir Frau Stark von der Allgemeinen Sozialen Beratung der Caritas nicht unbürokratisch mit 200 Euro ausgeholfen hätte, hätte ich vergangenen Freitag den fünf Kindern sagen müssen, es ist nichts im Kühlschrank, wir haben schlicht kein Geld mehr. Jetzt haben wir Monat drei und stehen wieder fast am Anfang.
Info: Die Aktion Denkzettel ist eine Initiative der Caritas im Osten Deutschlands zur Bundestagswahl am 24. September 2017 im Rahmen der Kampagne www.waehltMenschlichkeit.de
Text: Christina Bustorf