Weihnachtsfreude unverpackt
Ihr war angst und bange beim Einkaufen im Supermarkt. Sie musste sparen. Fisch für Spieße an Heiligabend - so wie sonst jedes Jahr? Unmöglich, wenn sie an die drohende Heizkostennachzahlung dachte. Geschenke für ihren Mann und die Mädchen? Sie schlug vor, reihum jeweils eine Aufmerksamkeit im Wert von maxi mal zehn Euro zu schenken. Doch ihre Töchter blieben stur: "Wir haben nur einen einzigen Wunsch zu Weihnachten: endlich eine neue Frisur für dich. Dazu legen wir alle zusammen." Ihr Mann nickte heftig. Mit feuchten Augen wiegelte Heidi ab: "Lieb von euch, aber ich habe schon für alle etwas."
Und dann war am dritten Advent plötzlich der Backofen kaputtgegangen. Weih nachten ohne Plätzchen? Die Kinder sagten tapfer: "Kein Problem. Wir verzichten auf den Weihnachtsbaum und kaufen dieses Jahr Stollen und Zimtsterne beim Bäcker." So ging das nicht weiter.
Schließlich hatte sich Heidi ein Herz gefasst und einen Zettel an die Biete-suche-Pinnwand im Supermarkt gehängt. "Biete Auftritt für Kinder als Weihnachtsfrau, suche Haarschnitt." Dazu ihre Handynummer. Die erste Anruferin war eine einsame Witwe. Einen kurzen Moment hatte Heidi überlegt, die freundliche Frau zu bitten, gemeinsam in deren Küche Plätzchen zu backen. Der zweite Anrufer wollte offensichtlich etwas völlig anderes. Erst am Morgen des Heiligen Abends klingelte ihr Handy erneut. Die Anruferin klang verzweifelt. "Könnten Sie vielleicht kurzfristig heute Abend - verstehe ich das recht - als Weihnachtsfrau verkleidet zu unseren Kindern kommen? Der Weihnachtsmann aus der Nachbarschaft hat Corona. Meine Freundin ist Friseurin, die hat danach eine ganze Stunde Zeit für Sie."
Mein Weihnachtswunder, dachte Heidi. Sie war immer noch ein wenig benommen, als die Mädchen mittags zur Bescherung riefen. Alles war unverpackt: eine gebrauchte Hundeleine der großen für die kleine Schwester. "Damit kannst du den süßen Collie von der Nachbarin ausführen." Weiterhin ein Gutscheinheft der Kleinen für die Große: Aufräumen und Schuhe putzen, plus eine Dose Kekse von beiden Töchtern. "Haben wir im Pfarrheim gebacken." Ihr Mann entschuldigte sich: "Mein Geschenk dauert noch. Die Küche ist bis auf weiteres gesperrt." - "Wir brauchen auch noch etwas", riefen die Mädchen und verschwanden in ihrem Zimmer. "Wie sich das fügt", murmelte Heidi, schnappte sich ihr Weihnachtsfraukostüm und verließ die Wohnung.
Als sie zurückkehrte, duftete es im ganzen Treppenhaus nach köstlichen Fischspießen und in der Küche leuchtete das Licht im Backofen. "Frohe Weihnachten", strahlte ihr Mann. "Der neue Heizstab hat nur 24 Euro gekostet. Die Anleitung zum Einbau haben die Mädchen im Internet gefunden." Noch ein Weihnachtswunder, dachte Heidi. "Guck mal, wir haben einen Weihnachtsbaum à la ,Weihnachten mit Pettersson und Findus!‘, riefen die Mädchen. Er bestand aus leeren Papprollen, Tannenzweigen und allerlei buntem Krimskrams.
"Das ist ja wie eine zweite Bescherung", lachte Heidi. "Nur, wenn du endlich deine Wollmütze abnimmst", meinte ihr Mann und gab seiner verdutzten Frau einen Kuss. "Wir lieben es doch unverpackt." Daraufhin nahm Heidi ihre Mütze ab und wurde - frisch frisiert - freudestrahlend von ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in den Arm genommen.