Junge Peer-Beraterin im Rollstuhl
Voll ärgerlich war das damals, erinnert sich Saskia. Beim Konzert von Lena Meyer-Landrut in Hannover. Nicht mal Behindertentoiletten habe es gegeben. Das war ihr eine Lehre. Von dem Tag an hat sie bei Konzerten immer vorgesorgt.
Denn Saskia Busjahn liebt Konzerte und Kino: die 29-Jährige, die sich vor kurzem zur Peer-Beraterin hat ausbilden lassen. Das heißt, dass sie als Frau, die ihr Leben im Rollstuhl verbracht hat und es nach menschlichem Ermessen weiter dort verbringen wird, andere Menschen mit Handicap berät.
"Warum nicht", habe sie damals gedacht, als ihr Wohnheimleiter sie auf das Angebot des Landes-Caritasverbandes für Oldenburg hinwies. "Mal was anderes sehen als nur das Wohnheim", habe sie gedacht. Mit zehn weiteren Personen mit Handicap saß sie in Vechta fünf Tage lang jeweils von 9.00 bis 16.30 Uhr im Gruppenraum. Weitere 13 Peer-Berater(innen) wurden im Landkreis Cloppenburg ausgebildet. Für Saskia eine Abwechslung zur Arbeit in der Werkstatt, in der sie sonst unter anderem Autozubehör montiert.
Die gebürtige Mönchengladbacherin mit den langen blonden Haaren spürt ihre Behinderung jeden Tag, jeden Moment: Durch eine Gehirnblutung während ihrer zu frühen Geburt ist sie unfähig, ihre Arme und Beine voll einzusetzen. "Tetraspastik", sagt sie, heiße das in der Fachsprache. Mit einer Art Fahrrad, dem "Motomed", könne sie sich zwar fortbewegen. Oder mit dem Rollator, erzählt Saskia Busjahn und muss ihren Kopf dabei immer wieder nach oben richten. "Aber ohne Hilfsmittel geht gar nichts." Selbst zum Aufstehen brauche sie immer einen Haltegriff.
Solidarisch und sachkundig
Schon solche Kleinigkeiten könnten Leute ohne Behinderung häufig nicht nachvollziehen, erlebt die Frau mit der warmen Stimme. "Ich meine das nicht böse, aber ein guter Freund, dem es ähnlich geht wie mir, der kann das besser verstehen", ist sie überzeugt. Wenn sie Angst vor etwas habe, sage ihr Freund: "Ja, so fühle ich mich auch manchmal." Das Sich-Einfühlen auf Augenhöhe ist für Saskia Busjahn das entscheidende Plus der Peer-Beratung. "Türöffner" sollen sie sein, so das Credo des zuständigen Caritas-Mannes Norbert Krümpelbeck. "Mitgehen zum Meister, zur Betreuerin, zum Kollegen", wünscht sich der Koordinator, selbst Vater eines behinderten Sohnes. "Um sich dann auch wieder zurückzuziehen."
Und sie sollen auf die professionelle Beratung der EUTB hinweisen, der "Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung" - das ist der Caritas-Referentin für Behindertenhilfe, Nicole Nordlohne, wichtig. Damit die Betroffenen erfahren, welche Ansprüche und welche Rechte sie im Blick auf ihren jeweiligen Bedarf haben.
Wer kennt sich aus im Bussystem?
Dass der Kurs alleine schon für die Teilnehmer(innen) mit Behinderung ein Gewinn war, davon ist Krümpelbecks Pendant in Cloppenburg, Helmut Strey, überzeugt. Wissbegierig seien die Lernenden gewesen und engagiert. Neben den 13 im Cloppenburger Kurs hätten weitere auf der Warteliste gestanden. Alle Männer und Frauen seien durch den Kurs gewachsen. Hätten beispielsweise ein Gespür für das neue Bundesteilhabegesetz bekommen. Ein voller Erfolg für Helmut Strey, der als Kursleiter selbst "größten Bammel" vor der Ausbildungswoche hatte.
Saskia kann sich vorstellen, künftig über "Mobil Plus" zu informieren, das Bussystem im Kreis Vechta. "Auch, wenn ich mich da selbst noch mehr reinfuchsen muss." Oder als jemand, der seit 2008 in einem Wohnheim lebt, Tipps für Neue geben, wie man da gut zurechtkommt. Ihr Spezialgebiet ist aber: andere informieren, wie man als Mensch mit Behinderung Konzertkarten bestellt. Für Ed Sheeran beispielsweise, für den hatte sie nämlich sechs Karten geordert. Und wie man davor genau nachfragt, ob es vor Ort tatsächlich Behindertentoiletten gibt oder durch welchen Eingang man fährt. Bei 75.000 angereisten Fans in Hannover keine einfache Frage.
Beratung muss geschützt sein
Und auch zu Fragen von Beziehung und Sexualität will sie Auskunft geben. Denn auch da habe sie Erfahrung. Ihr Wunsch: ein abgeschlossener Raum an ihrem Arbeitsplatz, in dem die Beratung stattfinden könne. "Denn in der Pausenhalle will ich das nicht besprechen."
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Bildungsberater mit
geistiger Behinderung
Die Hochschule Magdeburg-Stendal bildet in Kooperation mit dem Institut für Inklusive Bildung sechs Menschen mit geistigen Behinderungen beziehungsweise Lernschwierigkeiten zu Bildungsfachkräften aus. "Diese sollen nach ihrer Ausbildung Studierenden, Schülerinnen und Schülern, aber auch Lehr-, Fach- und Führungskräften einen Einblick in ihre Lebenswelten, Fähigkeiten und spezifischen Bedarfe geben", sagt Projektkoordinatorin Wiebke Bretschneider.
Eine der künftigen Bildungsberaterinnen ist Sabine Schulze. Sie hat ihre künftige Aufgabe so auf den Punkt gebracht: "Wir tun die Menschen und andere Leute aufklären von unserem Leben. Dass sie mit uns klarkommen. Dass sie sehen, dass wir normal arbeiten können, dass sie uns verstehen", sagte sie gegenüber dem Deutschlandfunk. Und sie kennt den Bedarf aus erster Hand: "Menschen mit Behinderungen haben Schwächen und Stärken, manche brauchen Hilfsmittel, alle eine Leichte Sprache."
Warum sie die Ausbildung macht? Damit alle Menschen wissen, wie Menschen mit geistiger Behinderung ticken und die Barrieren in den Köpfen verschwinden. Den Ansatz des Projekts bereits umgesetzt hat das Institut für Inklusive Bildung in Kiel.