Mehr Aufklärung ist nötig
Für Empfänger von ALG II ist es nach wie vor sehr schwer, ihre Rechte durchzusetzen. Hauptursache: Die Arbeitslosengeld-Bescheide sind intransparent und unverständlich. Dahinter liegt eine sehr komplexe Rechtsmaterie. In der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) gibt es mehr als 70 Änderungsgesetze und eine Vielzahl von unbestimmten Rechtsbegriffen. Dies führt zu einer hohen Fehlerquote bei den Bescheiden. Längst nicht alle Betroffenen legen Widerspruch ein. Dennoch hat sich die Anzahl der außergerichtlichen und gerichtlichen Verfahren zehn Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes auf hohem Niveau stabilisiert. Im April 2015 gab es bundesweit über 178.000 Widersprüche und rund 200.000 Klagen gegen Bescheide der Jobcenter. 2005 waren es noch 56.578 Klagen.
Viele Arbeitslosengeld-II-Bezieher kennen ihre Rechte nicht
Nach dem Sozial- und Rechtsstaatsprinzip muss der Gesetzgeber dafür sorgen, dass auch mittellose Personen ihre Rechte wahrnehmen können und nicht an Kostenrisiken scheitern. Daher muss Beratungs- und Prozesskostenhilfe gewährleistet sein. Doch längst nicht alle Arbeitslosengeld-II-Bezieher nehmen diese staatlichen Leistungen in Anspruch. Viele kennen ihre Rechte nicht und akzeptieren die Bescheide einfach. Andere scheitern an den bürokratischen Hürden für einen Beratungshilfeschein oder für den Antrag auf Verfahrens- oder Prozesskostenhilfe. Doch wenn das verfügbare Geld gerade das Nötigste abdeckt, ist es unabdingbar, dass Arbeitslose und Aufstocker schnell und unkompliziert Rechtsrat erhalten. Andernfalls drohen oftmals Stromsperren oder Wohnungskündigungen.
Statt die Rechte im SGB II zu vereinfachen, hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Änderung des Prozesskosten- und Beratungshilferechts zum 1. Januar 2014 die Mitwirkungspflicht der Antragsteller erheblich erhöht. Für die Betroffenen ist der bürokratische Mehraufwand deutlich gestiegen. Zudem wird in der Beratungshilfe eine anwaltliche Vertretung nur noch dann bewilligt, wenn der Rechtsuchende nach einer Beratung nicht in der Lage ist, seine Rechte selbst wahrzunehmen. Diese Einschnitte mögen verfassungsrechtlich noch vertretbar sein, sozialpolitisch sind sie völlig verfehlt. Wichtig ist eine frühzeitige Beratung, die Gerichtsprozesse zu vermeiden hilft.
Bedürftige dürfen nicht länger die Verlierer bleiben
Mit den 2014er-Reformen sollen die Länder Kosten einsparen. Das Ergebnis ist geradezu grotesk: Zum einen werden die Rechte derjenigen eingeschränkt, die existenziell darauf angewiesen sind. Schaffen sie aber ohne Anwalt den Weg vor Gericht, geschieht es häufig, dass die Sozialrichter die Ersten sind, die den Rechtsuchenden die Bescheide überhaupt zum ersten Mal erklären – mit der Folge, dass die Klage wegen Aussichtslosigkeit zurückgenommen wird.
Frühzeitige Beratung und eine Rechtsvereinfachung, die diesen Namen wirklich verdient, sind dringend erforderlich. Auch die Politik hat dies erkannt und für April 2015 eine Gesetzesänderung im SGB II geplant. Allerdings wurde bis heute kein Entwurf vorgelegt, weil sich die Koalition nicht einigen kann. Die Verlierer sind einmal mehr die Bedürftigen.