Ethisch entscheiden heißt die Interessen aller achten
"Ethisch entscheiden" heißt das Entscheidungsinstrument, das in einem zweijährigen Projekt des Deutschen Caritasverbandes (DCV) von Leitungs- und Führungspersonen gemeinsam mit Ethikexpert(inn)en entwickelt und erprobt wurde.1 Es gibt nur wenige ausgearbeitete
ethische Orientierungshilfen, die Leitungspersonen kirchlicher Organisationen in ihren ökonomischen und organisatorischen Entscheidungen unterstützen. Demgegenüber betonen viele Leitungspersonen, der DCV und die deutschen Bischöfe, dass für eine christliche Unternehmenskultur eine ethische Reflexion bei Entscheidungsträger(inne)n unverzichtbar sei. Das Projekt "Ethik im Management christlicher Organisationen" antwortet auf diesen Bedarf mit einem leicht handhabbaren und schnell einsatzfähigen Leitfaden. Damit können Leitungspersonen und -gremien konkrete Herausforderungen und Handlungsmöglichkeiten in einem christlichen Wertrahmen reflektieren. Die Entscheidung kann argumentativ gestützt und allgemein verständlich kommuniziert werden. Für den Prozess der Instrumentenentwicklung war deshalb die Leitfrage wichtig, ob das Instrument die Qualität der Entscheidung verbessere.
Leiten heißt entscheiden
Täglich werden im Management viele Entscheidungen auf der Grundlage von Erfahrung, Sachwissen und Intuition getroffen. Einige Entscheidungen scheinen ethisch neutral zu sein. Bei anderen besteht der Eindruck, dass sie dem Leitbild einer Einrichtung entsprechen oder zumindest nicht widersprechen. Hier wird sich eine explizite ethische Reflexion in der Regel erübrigen. Manche Entscheidungen sind jedoch ethisch komplex, wenn jede Handlungsoption mit gewichtigen Nachteilen und Werteverletzungen verbunden ist. In diesem Fall ist eine sorgfältige Güterabwägung notwendig. Hier kann es gut sein, eine Entscheidung mit dem Instrument "Ethisch entscheiden" zu durchdenken. Es zeigte sich, dass ethische Überlegungen vor allem bei Kündigungen, im Umgang mit Überlastungsanzeigen, bei Rationierungs- oder Umstrukturierungsmaßnahmen und in der Gestaltung von Arbeitsverträgen außerordentlich bedeutsam sind. Wertekonflikte können auf verschiedenen Ebenen entstehen: Ein(e) Entscheider(in) sieht sich selbst in einem Wertekonflikt, in einem Entscheidungsgremium oder zwischen Entscheidungsverantwortlichen und -betroffenen bestehen gravierende Unterschiede in der ethischen Bewertung oder präferierte Entscheidungen stimmen mit den Werten der Organisation nicht überein. Bei ethischen Fragen ist mindestens eine Konfliktebene betroffen, häufig sind es aber auch zwei oder alle drei. In einer Umfrage berichteten uns fünfundzwanzig Leitungspersonen, in welchen Entscheidungsfeldern ethische Aspekte für sie besonders wichtig sind.
Sie entscheiden, wie Sie entscheiden!
Das hier vorgestellte Instrument schlägt einen Weg der ethischen Reflexion vor, der von den Entscheidungsträger(inne)n beziehungsweise -gremien selbst angewendet werden kann. Gut verantwortbare Entscheidungen müssen sich nicht nur am Ergebnis allein, sondern auch am Prozess selber messen lassen. Daher fördert der Leitfaden einen Entscheidungsprozess, der die Perspektiven und Interessen aller betroffenen Personen achtet und die Entscheider(innen) unterstützt, gemeinsam eine anstehende Entscheidung zu prüfen. Außerdem waren für die Entwicklung des Instruments folgende Aspekte wichtig:
- Einheit von Entscheidungs- und Ausführungsverantwortung: Es gibt die Sorge, dass Personen, die aufgrund ihrer Position im Unternehmen nicht die Verantwortung für die Entscheidung und Ausführung tragen müssen, moralischen Druck ausüben und realitätsfern argumentieren. So werden Entscheidungsträger zu einem Handeln genötigt, welches die notwendigen Kompromisse zum Beispiel zwischen Ethik und Ökonomie nicht mehr zulässt. Zudem sind viele Fälle diskret zu behandeln.
- Strukturierte und multiperspektivische Situationsanalyse: Die kognitiven und emotionalen Kompetenzen von verschiedenen Personen und Professionen können für die Analyse eines Problems und zur Entwicklung von Lösungsoptionen genutzt werden, wenn sie in einem strukturierten und moderierten Dialog gebündelt werden.
- Systematische Entwicklung und Prüfung von Optionen: Die Entwicklung von verschiedenen Handlungsoptionen kann aus einer dilemmatischen Engführung heraushelfen. Mittels vorgegebener ethischer Kriterien kann eine ethisch gut begründete Option identifiziert werden.
- Nachhaltige Förderung der Kommunikations- und Entscheidungskultur im Unternehmen: Die so gewonnene Entscheidung kann, auch wenn sie schwer zu tragen ist, besser vermittelt werden, wenn den betroffenen Personen deutlich wird, dass es sich die Entscheider(innen) nicht leicht gemacht haben, sondern einen sorgfältigen Abwägungsprozess zwischen den Interessen der beteiligten Personen und den zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen gesucht haben.
Die Struktur des Leitfadens
Wenn eine Leitungsperson oder ein -gremium den Eindruck gewinnt, dass eine anstehende Entscheidung ethisch komplex ist, kann das Instrument "Ethisch entscheiden" bei der Klärung helfen. Der Leitfaden bietet drei Anwendungsmöglichkeiten:
- Die Entscheider nutzen das Instrument für eine Einzelreflexion, um eine eigene Position zu entwickeln und argumentativ abzusichern;
- in einer Konferenz werden Entscheidungskonflikte anhand des Instrumentes gemeinsam beraten;
- die Einzelreflexion wird als Vorbereitung für die anschließende Konferenz genutzt.
- Das Instrument sieht fünf Prozessschritte vor, die in einer chronologischen Abfolge bearbeitet werden:
Klärung der Fragestellung: Der/Die Entscheider(in) klärt das Anliegen und die Fragestellung, die zur Anwendung des Instrumentes geführt haben. - Beschreibung des Sachverhaltes: Der Sachverhalt wird aus möglichst vielen der betroffenen Perspektiven beschrieben. Die Verschiedenheit der Perspektiven kann ein Spiegel werden für die Komplexität der Fragestellung und Quelle für mögliche Lösungsoptionen sein.
- Benennung von Handlungsmöglichkeiten: Um nicht voreilig Optionen zu wählen oder zu verwerfen, wird empfohlen, zunächst möglichst viele Handlungsmöglichkeiten vor der Bewertung zu sammeln, diese dann gegebenenfalls zu kombinieren oder auch zu bündeln.
- Bewertung von Handlungsmöglichkeiten: Die Bewertung der Handlungsoptionen geschieht anhand von acht Kriterien, die nach Prüfung von über zwanzig Ethikberatungsmodellen und mehrerer normativer Texte für die Caritas aus dem Blickwinkel einer christlichen Wertorientierung und erfahrungsbasiert entwickelt worden sind. Die vier zuerst genannten Kriterien (Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Frieden und Treue) stehen für ausdrücklich theologisch-ethische Kategorien. Aber auch die anderen vier Kriterien (Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit, Legalität und Transparenz) sind für eine ethische Reflexion unverzichtbar. Im Leitfaden werden die Kriterien jeweils durch Unterfragen erläutert und in einem eigenen Kommentar vertieft. Die ethische Bewertung soll anhand aller acht Kriterien vorgenommen werden. Die jeweilige Bewertung der unterschiedlichen Optionen wird durch eine Matrix oder Netzwerkgrafik veranschaulicht. Diese Visualisierungshilfen reduzieren die Komplexität eines Problems. Sie sind nicht dazu gedacht, die ethische Reflexion zu mathematisieren (s. Grafik oben).
- Empfehlung und Entscheidungsfindung: Das Ergebnis der Einzelreflexion beziehungsweise der Konferenz besteht - je nach Kompetenz der Person oder des Gremiums - in einer Empfehlung für den Entscheider oder in der Entscheidung selbst.
Langer Atem lohnt sich
Der Leitfaden "Ethisch Entscheiden" möchte Leitungspersonen und -gremien helfen, in komplexen, ethisch fordernden Situationen Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln, argumentativ zu bewerten und zu kommunizieren. Das Instrument bietet einen wichtigen Beitrag zu einer ethisch verantworteten Organisationskultur. Es ist ein Baustein neben einem Leitbild, Ethikrichtlinien, Corporate-Social-Responsibility-Konzepten, Code of Conduct und Corporate Governance bis hin zur Etablierung eines Ethikbeauftragten. Der Entschluss, das Instrument einzuführen, kann allerdings auch erhebliche Widerstände und Bedenken (beispielsweise Zeitaufwand, Wahrung der Diskretion, Trennung von Entscheidung und Verantwortung) hervorrufen. Diese Einwände wurden in der Entwicklung dieses Instrumentes sehr ernst genommen und berücksichtigt. Im Leitfaden finden sich daher auch Empfehlungen für die Einführung. Zusätzlich gibt es Fortbildungsangebote, in denen Leitungspersonen oder Moderator(inn)en erste Anwendungserfahrungen mit dem Instrument sammeln können. Dessen ungeachtet ist der Leitfaden so konzipiert, dass er selbsterklärend ist. Der Leitfaden ist als PDF unter www.caritas.de/caritas-und-management kostenlos abrufbar. Ferner finden Sie dort Informationen zu Fortbildungsangeboten, weitere interessante Beiträge und das Instrument als Excel-Formular zum Herunterladen. Eine eigene Publikation zum Projekt wird zum Jahresende im Lambertus-Verlag erscheinen. Dort werden die Erkenntnisse, zentrale Themen und Erfahrungen rund um das Projekt gesammelt und vertieft.
Mit dem Leitfaden "Ethisch entscheiden" steht nun kirchlichen Organisationen im Sozial- und Gesundheitsbereich eine effiziente Hilfe für ethisch verantwortete Managemententscheidungen zur Verfügung. Er unterstützt Leitungspersonen und -gremien in ihrer Problemanalyse, Entscheidungs- und Handlungssicherheit sowie Kommunikationsfähigkeit. Die Rückmeldungen in der Testphase waren sehr ermutigend. So schrieb uns ein Führungsteam: "Ein gut handbares Instrument, das ohne großen Aufwand im Arbeitsalltag untergebracht werden kann und die interne Kommunikation sehr verbessert. Hilft, schwierige Entscheidungen gut zu reflektieren und als Teamentscheidung von allen besser mitgetragen zu werden."
Anmerkung
1. Mitglieder der Projektgruppe waren: Georg Beule, Dr. Tobias Böcker (bis August 2013), Prof. Dr. Michael Fischer, Franz von Harnoncourt, Wolfgang Heinemann, Christel Müller, Paul Neuhäuser, Dr. Brigitte Saviano; Projektleitung: Dr. Alexis Fritz.
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