Statement: Lioba Ziegele
Seit die Idee eines allgemeinen "Sozialtarifs" geboren wurde, ist sie zum Kristallisationspunkt der Hoffnungen, aber auch der Befürchtungen einer ganzen Branche geworden. Daran lässt sich ablesen: Die großen Akteure in der Sozialwirtschaft eint der Wunsch nach einem Mittel gegen den verschärften Lohnkostenwettbewerb und eine zu kleinteilige Tariflandschaft.
Dort, wo bereits Fakten geschaffen werden, geraten die Caritas-Vertreter ins Dilemma: Wer sich jetzt nicht zum "Sozialtarif" positioniert, läuft Gefahr, ins Hintertreffen zu geraten. Wer ihn befürwortet, erweckt den Anschein, den Dritten Weg infrage zu stellen. Wer ihn ablehnt, steht als Verhinderer besserer Bedingungen in der Sozialwirtschaft da. Angesichts der Fülle ungelöster - und teils zu diesem Zeitpunkt schlicht unlösbarer - Fragen muss die Caritas das aber aushalten und umsichtig und möglichst koordiniert aktiv werden. Selbst wenn der Druck seitens der Einrichtungen, der anderen Wohlfahrtsverbände
und der Politik wächst.
Verschiedene Stellen innerhalb der Caritas bemühen sich derzeit, abzuwägen, welche Folgen allgemeinverbindliche (Mindest-)Arbeitsbedingungen für die AVR-Tarife und die Dienste und Einrichtungen hätten. Aufschlussreich ist aber auch ein Blick auf die Verfahren: Die Dienstgeberseite der Arbeitsrechtlichen Kommission vertritt die Ansicht, dass das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen es verhindert, dass der Staat ihnen das Tarifvertragssystem aufzwingt. Die Kirchen oder die kirchlichen Einrichtungen könnten jedoch selbst erklären, dass sie den für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag anwenden wollen. Für die Dienstgeberseite wäre das nur unter der Bedingung denkbar, dass die Arbeitsrechtliche Kommission in die Verhandlungen zum "Sozialtarif" gleichberechtigt eingebunden würde. Das setzt allerdings voraus, dass die Gewerkschaften den Dritten Weg anerkennen. Äußerungen beispielsweise von Verdi dazu lassen dies jedoch nicht vermuten. Ziel der Dienstleistungsgewerkschaft, wenn sie kirchengemäße Tarifverträge schließt, scheint eher ein Übergang zum Zweiten Weg zu sein. Die Caritas ist auf jeden Fall gut beraten, sich jeden Schritt gut zu überlegen. Das Selbstbestimmungsrecht steht auf dem Spiel, denn ist es einmal freiwillig aufgegeben, könnte der Rückweg verwehrt werden.
Es ist mehr als unsicher, ob der Zweite Weg und allgemeinverbindliche Tarifverträge der Caritas das brächten, was sich viele erhoffen: Frieden mit der Gewerkschaft, Kontrolle des nicht tarifgebundenen Wettbewerbs und eine bessere Refinanzierung. Zum einen ist nicht absehbar, wie sich die Vertretung der Seiten im Tarifgeschäft entwickeln wird. Möglich ist, dass sich neben Verdi neue Spartengewerkschaften gründen, die beispielsweise die Pflegekräfte vertreten. Jede Gewerkschaft, die für die Branche zuständig ist, kann vom Rechtsträger den Abschluss eines Haustarifvertrages verlangen, möglich ist dann auch ein Niveau unter der für allgemeinverbindlich erklärten Lohnuntergrenze. Auch auf ihr Streikrecht verzichten die Gewerkschaften bislang bei Verhandlungen zu kirchengemäßen Tarifverträgen nicht.
Die allgemeinen Bestrebungen hin zu Tarifverträgen zeigen, wie schwierig es auf dem Zweiten Weg offenbar ist, sogar innerhalb eines Betriebes für gleiche Arbeitsbedingungen zu sorgen. Am Ende nehmen wir in Kauf, dass auch bei der Caritas für die gleiche Arbeit nicht mehr das Gleiche bezahlt wird.
Zum anderen: Selbst wenn sich die Politik dazu bekennt, den Wert der sozialen Arbeit steigern zu wollen, bleibt bisher ungeklärt, wie höhere Kosten seitens der Kostenträger zu finanzieren wären. Überhaupt ist fraglich, wie sich die allgemeinverbindlichen Lohnuntergrenzen auf die Caritas auswirken würden: Wird ein "Sozialtarif" unter AVR-Niveau zum Standard bei der Refinanzierung, haben die Einrichtungen der Caritas Wettbewerbsnachteile. Gesetzt den Fall, der bundesweite Tarifvertrag Soziales würde dagegen TVöD-Niveau erreichen, so würde die Caritas als Arbeitgeber ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal in der Konkurrenz um Fachkräfte verlieren: das flächendeckende relativ hohe Lohnniveau.
Es wird für die Caritas aufschlussreich sein, zu beobachten, wie sich die Pilotprojekte zum "Sozialtarif" in den Regionen Nord und Ost, aber auch in Bayern und Baden-Württemberg entwickeln werden.
Selbstverständlich ist es wünschenswert, dass Konkurrenz über Qualität ausgetragen wird und nicht über die Löhne der Mitarbeitenden. Es gilt dieses Ziel im Auge zu behalten und auch über Alternativen nachzudenken, beispielsweise, ob es möglich ist, über Vergabeverfahren Anreize dafür zu setzen, Mitarbeitende nach Flächentarifen zu bezahlen. Die Dienstgeberseite der Arbeitsrechtlichen Kommission (AK) wird weiter abwägen und wirbt dafür, in der Debatte um den "Sozialtarif" nicht abseits zu stehen, sich jedoch auch nicht in etwas drängen zu lassen, dessen Ausgang zu viele Risiken für die Caritas birgt.
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Statement: Thomas Rühl
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