Bärendienst für die Jugend
Diskutieren Sie mit: Schreiben Sie hier Ihren Kommentar.
Seit 2013 wird diskutiert. Jetzt endlich wurde der Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des SGB II Anfang Februar im Kabinett beschlossen. Euphemistisch trägt er den Namen "Rechtsvereinfachung". Aber genau das findet nicht statt.
Alle Beteiligten, die Leistungsberechtigten, deren Berater(innen) und die Sachbearbeiter(innen) ringen tagtäglich mit dem SGB II. Selbst die Gerichte üben harsche Kritik an den gesetzlichen Regelungen als "außerordentlich kompliziert, detaillastig und damit in der Anwendung fehleranfällig", so das Landessozialgericht NRW.
Die Grundsicherung für Arbeitsuchende steht in einem Spannungsfeld. Kein anderes Gesetz durchdringt in vergleichbarer Weise wie das SGB II die auch intime Lebenswirklichkeit der Leistungsberechtigten und versucht diese im Detail zu regeln. So unterliegen beispielsweise unter 25-Jährige besonderen Sanktionsregelungen. Ihnen verwehrt man bei der ersten Pflichtverletzung die Finanzierung ihres Lebensunterhalts, in einem zweiten Schritt sogar die Kosten der Unterkunft. Sachbearbeiter(innen) haben keine Möglichkeit, auf diese Sanktionen zu verzichten. Die individuellen Folgen des Wegfalls für den Einzelnen spielen dabei keine Rolle.
Die Mehrheitsmeinung wurde mit Stammtischparolen untergraben
Der Änderungsentwurf beseitigt - trotz massiver Kritik von allen Seiten - diese ungerechtfertigte Ungleichbehandlung nicht. Die Vorstellung, junge Menschen müssten härter bestraft werden, ist absurd. Sie resultiert aus einer überholten pädagogischen Sicht. Dieser liegt nach wie vor die Haltung zugrunde, die in ein offizielles Papier des Bundesarbeitsministeriums (!) Eingang gefunden hat: "Gegen Missbrauch, ,Abzocke‘ und Selbstbedienung im Sozialstaat". Solche Stammtischparolen haben es geschafft, die ursprüngliche Mehrheitsmeinung der Politiker(innen) zu untergraben und die ungerechtfertigte Benachteiligung junger Menschen aufrechtzuerhalten.
Gleichzeitig werden junge Menschen bei Aufnahme einer Ausbildung in ein selbst für erfahrene SGB-II-Kundige kaum überschaubares Labyrinth von Regelungen geschickt. Hier hätte ihnen eine "Rechtsvereinfachung" den Weg aus der Hilfebedürftigkeit ebnen können.
Irren ist bekanntlich menschlich, hat aber unterschiedliche Konsequenzen: Ein junger Mensch kann sowohl bei einem Meldeversäumnis (wegen Sanktionen) wie aber auch oftmals bei Aufnahme einer Ausbildung (wegen komplizierter Regelungen) seinen Lebensunterhalt nicht finanzieren. Sollte der Gesetzgeber eine Regelung geschaffen haben, die das Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt, werden dadurch entstandene Benachteiligungen rückwirkend nicht mehr beseitigt. Denn die bisherige Möglichkeit der Betroffenen, eine Nachzahlung dessen zu erhalten, was ihnen eigentlich zustünde, wird nunmehr abgeschafft.
Wünsche werden manchmal wahr, vor allem möchte man glauben, wenn sie mehrheitlich ausgesprochen wurden. Aber dafür scheint gerade die falsche Jahreszeit zu sein. Es ist verquere Fastenzeit. Während den einen Not durch Entzug ihres Lebensunterhalts beschert wird, verzichten die angeblichen Reformer zu deren Lasten auf wichtige Reformschritte.